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Genetischer Code: Stille Mutationen entscheiden über das Schicksal von Proteinen

Transkription
Viele Änderungen des Erbgutes sind so genannte stille Mutationen, die keine Auswirkungen auf den Aufbau des kodierten Proteins haben. Trotzdem können solche vermeintlich bedeutungslosen Veränderungen sehr wohl tiefgreifende Auswirkungen haben, wie US- Forscher jetzt an dem Zellskelett-Protein Aktin demonstrierten. Das Aktin kommt in der Zelle in verschiedenen Formen vor. Zwei von ihnen sind nahezu identisch aufgebaut, und doch gibt es gravierende Unterschiede zwischen ihnen: Das beta-Aktin trägt an seinem Ende eine zusätzliche Aminosäure, die ihm nach seiner Herstellung zusätzlich angehängt wird. Diese Veränderung führt dazu, dass beta-Aktin hauptsächlich bei der Fortbewegung zum Einsatz kommt, während das unveränderte gamma-Aktin lange, die Zelle stabilisierende Fasern bildet.

Die Unterschiede in den beiden Proteinen sind jedoch viel zu gering, um zu erklären, weshalb ein Aktin nach seiner Entstehung weitere Veränderungen erfährt, das andere jedoch nicht. Dieses Rätsel löste jetzt ein Forscherteam um Fangliang Zhang von der Universität Pennsylvania in Philadelphia. Die gravierenden Unterschiede in der Funktion der nahezu identischen Aktin-Arten kommen dadurch zustande, dass die Proteine im Erbgut verschieden kodiert werden.

Dass beide Proteine praktisch identisch aufgebaut sein können, obwohl sich ihre Gene unterscheiden, liegt daran, dass das Erbmolekül DNA die Proteinbausteine auf verschiedene Weise verschlüsseln kann. Zum Beispiel steht die Basensequenz AAA – drei mal die Base Adenin – genauso für die Aminosäure Lysin wie die Sequenz AAG, in der die letzte Base durch Guanin ersetzt wurde. Durch diesen Effekt unterscheiden sich die RNA-Stränge, die dem Ribosom die Instruktionen für die Herstellung der beiden Aktine übermitteln, deutlich in ihrer Struktur. Das hat später, wenn andere Enzyme dem Aktin während seiner Bildung den Feinschliff verpassen, für einen Teil der Moleküle verhängnisvolle Folgen.

Ein beträchtlicher Teil der neu entstehenden Aktinmoleküle nämlich bekommt die zusätzliche Aminosäure verpasst, die wie ein Adressaufkleber in der Zelle wirkt. Doch das Arginin tut noch etwas anderes: Es aktiviert einen Mechanismus, der das kleine Peptid Ubiquitin an das neu entstehende Protein anhängt – das Zeichen, das ein Protein für die Entsorgung bestimmt ist.

Dazu muss das Ubiquitin im Zielmolekül die Aminosäure Lysin finden. Beide Aktin-Varianten enthalten tatsächlich Lysin, allerdings liegt es im fertigen Protein tief im Inneren der Struktur verborgen und ist für das Ubiquitin normalerweise unzugänglich. Beim gamma-Aktin gilt das jedoch nicht, wie die Wissenschaftler entdeckten.

Dass tatsächlich die scheinbar stummen Ersetzungen auf Gen-Ebene den zerstörerischen Effekt auslösen und nicht die wenigen Unterschiede im Protein selbst, zeigten die Forscher, indem sie einfach die Kodes der beiden Aktin-Varianten vertauschten. Sie erzeugten also ein Gen für beta-Aktin, in der die Aminosäuren auf die für gamma-Aktin typische Weise verschlüsselt war – und umgekehrt. Tatsächlich sorgte dieses Experiment für verkehrte Verhältnisse in der Zelle: Plötzlich war das gamma-Aktin die stabilere Form, die in vier Mal höherer Konzentration auftrat wie die normal Kodierte Variante, während vom beta-Aktin weniger als die Hälfte der normalen Menge vorzufinden war.

Die besondere Kodevariante des gamma-Aktins führt dazu, dass die RNA eine Schleife bildet, die nicht sofort in das Ribosom hineinpasst und erst aufgelöst werden muss. Während dieser Unterbrechung hängt das halbfertige Protein mit seinem ungeschützten Lysin wehrlos im Zellplasma. Trägt es die zusätzliche Aminosäure am Ende, wird es gnadenlos für die Vernichtung markiert: Das Ubiquitin verdammt das gamma-Aktin zu einem schnellen Ende im Proteasom, dem molekularen Schredder der Zelle. Nur der Teil des gamma-Aktins, der ohne zusätzliche Aminosäure bleibt und deswegen kein Ubiquitin angehängt bekommt, ist stabil genug, um seine Aufgabe in der Zelle anzutreten. (lf)

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  • Quellen
Zhang, F. et al.: Differential Arginylation of Actin Isoforms Is Regulated by Coding Sequence–Dependent Degradation. In: Science 329, S. 1534 – 1537, 2010.

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