Stillen: Wer hat die gehaltvollste Muttermilch?
Robben sind nicht für das Leben an Land gemacht. Deshalb kehren sie besser schnell wieder ins Meer zurück, wo sie sich leichter fortbewegen können und die Nahrung schwimmt. Für Jungtiere bedeutet dies jedoch: möglichst schnell wachsen und sich eine Fettschicht zulegen, die vor dem kalten Wasser schützt. Atlantische Kegelrobben (Halichoerus grypus) setzen dazu auf eine hochkomplexe und sehr gehaltvolle Muttermilch, wie eine Analyse von Chunsheng Jin von der Universität Göteburg und seinem Team zeigt. Die Milch weist deutlich mehr unterschiedliche Zucker auf als menschliche Muttermilch, die bereits als sehr reichhaltig gilt. Dies könnte erklären, warum junge Kegelrobben schon nach durchschnittlich 17 Tagen abgestillt werden.
Insgesamt wiesen die Wissenschaftler mithilfe von Massenspektroskopie 332 verschiedene Zucker nach, von denen mindestens 166 neu beschrieben wurden. Menschliche Muttermilch besitzt hingegen »nur« 250 Zuckermolekülarten. Einige Moleküle der Kegelrobbenmilch waren zudem sehr groß und umfassten 28 Einfachzuckereinheiten. Der längste bekannte menschliche Milchzucker endet nach 18 Einheiten. Die meisten Zucker gehören zur Gruppe der Oligosaccharide, also Kohlenhydraten, die aus mehreren gleichen oder verschiedenen Einfachzuckern aufgebaut sind. Sie kommen in der Muttermilch aller Säugetiere vor und haben eine große Bedeutung für die Kindesentwicklung. Unter anderem spielen sie eine Rolle für den Aufbau des Immunsystems und der Darmflora, deren Zusammensetzung ebenfalls für eine gesunde Körperabwehr bedeutend ist.
Somit gelang es Biologen erstmals, die Zusammensetzung der mütterlichen Milch eines wild lebenden Säugetiers über die gesamte Stillzeit hinweg zu beobachten. Dazu sammelte das Team Proben von fünf Kegelrobben an der schottischen Küste. Wie bei Menschen verändert sich die Zusammensetzung der Milch über die Stillperiode hinweg.
Einige der Zuckermoleküle testeten Jin und Co an menschlichen Immunzellen. Sie konnten beobachten, dass diese die Immunabwehr beeinflussten, etwa wie die Zellen auf verschiedene Bedrohungen wie Viren oder Bakterien reagierten. Die Analyse dieser Zucker könnte also dabei helfen, bessere Ersatznahrung für Säuglinge zu erzeugen, wenn Mütter nicht stillen oder Milch abpumpen können. Und vielleicht helfen manche dieser Bestandteile Erwachsenen, deren Verdauungstrakt erkrankt ist und deren Darmmikrobiom wiederhergestellt werden muss.
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