Elemente: Der Streit um die Neuen im Periodensystem
Eigentlich hatten sich die Organisatoren fröhliche Stimmung erhofft auf ihrem Chemie-Symposium in Schweden im Mai 2016. Die Nobelstiftung hatte eingeladen. Der Anlass: Vier neue Elemente, nur wenige Monate zuvor entdeckt, sollten offiziell ins Periodensystem der Elemente aufgenommen werden. So kamen renommierte Physiker und Chemiker aus aller Welt auf dem Schloss Bäckaskog bei Kristianstad zusammen, um sich über den Stand der Atomforschung auszutauschen. Als besonderer Höhepunkt und Ehre für die Entdecker war die feierliche Namensgebung der neuen Elemente geplant. Doch es kam anders.
Zwar würdigten viele der anwesenden Forscher die Entdeckerleistung ihrer Kollegen — und freuten sich über die damit einhergehende Publicity für ihr Fachgebiet. Nicht wenige aber wirkten besorgt, manche gar empört. Denn im Vorfeld der Konferenz hatten sich Indizien gehäuft, dass bei der Begutachtung der Forschungsergebnisse, die die Existenz der neuen Elemente belegen sollten, nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war. Nun fürchteten manche um die Glaubwürdigkeit des Periodensystems.
Zum Ende der Konferenz kam es dann zum Eklat. Ein Redner hatte um Abstimmung per Handzeichen im Saal gebeten. Sollten die Namen der neuen Elemente trotzdem feierlich benannt gegeben werden? Das Ergebnis: Die meisten Forscher votierten dafür, die Namensgebung zu verschieben — zur großen Verärgerung der russischen Forscher, die an der Entdeckung federführend beteiligt gewesen waren. »Entrüstet verließen sie gemeinsam den Saal«, beschreibt der Chemiker Walter Loveland von der Oregon State University die Szene. »So was hatte ich vorher noch nie erlebt.«
Siebte Zeile jetzt vollständig
Trotz der nun offenkundigen Zweifel unter den Experten wurden die Namen der neuen Elemente dann kurz nach der Konferenz von der International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC) bekannt gegeben: Nihonium (Ordnungszahl 113), Moscovium (115), Tenness (117) und Oganesson (118). Zusammen bringen sie die Zahl der bekannten Elemente auf 118 und vervollständigen, rund 150 Jahre nachdem Dmitri Mendelejev das Periodensystem erdacht hatte, seine siebte Zeile.
Dieser Zug der Chemiker-Union verärgerte aber vor allem die Physiker der Schwesterorganisation International Union of Pure and Applied Physics (IUPAP). »Als Forscher kann ich nicht einfach etwas glauben, ohne selbst die Beweise gesehen zu haben«, beschwert sich etwa Atomphysiker Claes Fahlander von der Universität Lund in Schweden. Zwar denkt er, dass die Daten der russischen Forscher ausreichen, um die Entdeckung von Moscovium und Tenness zu untermauern. Die offizielle Anerkennung aber hielt er für verfrüht. Allein ist er mit dieser Einschätzung nicht. Was genau stört die Physiker also?
»Als Forscher kann ich nicht einfach etwas glauben, ohne selbst die Beweise gesehen zu haben«Claes Fahlander
Traditionell fiel den Chemikern allein die Rolle zu, neue Elemente ins Periodensystem aufzunehmen — immerhin hatten sie jahrhundertelang erfolgreich Elemente mit chemischen Mitteln identifiziert. Seit wenigen Jahrzehnten aber führen die Atomphysiker die Jagd nach Elementen an. Mit modernen Beschleunigern bringen sie Atome zur Kollision, und ab und an verschmelzen dabei zwei Atomkerne zu einem schwereren Element.
Auch infolge dieser methodischen Verschiebung werden Entscheidungen über neue Elemente seit 1999 von einem gemeinsamen Komitee aus Experten der IUPAC und der IUPAP gefällt: der so genannten Joint Working Party (JWP). Den Vorsitz hat heute der Nuklearchemiker Paul Karol, emeritierter Professor an der Carnegie Mellon University in Pittsburg (Pennsylvania, USA). Zwischen 2012 und 2016 bestand das JWP aus Karol und vier Physikern.
Geschwisterzank zwischen Chemikern und Physikern
Die Entscheidung des JWP über die vier neuen Elemente hatte das IUPAC in einer Pressemitteilung am 30. Dezember 2015 veröffentlicht. Allerdings ohne vorher die Zustimmung des Exekutivkomitees der IUPAC einzuholen. Das wäre eigentlich der offizielle Weg gewesen. Das Exekutivkomitee reichte seine Zustimmung einen Monat später nach. Entscheidender aber: Die Daten, auf denen die Entscheidung des JWP beruhte, waren den Physikern der IUPAP nicht einmal vorgelegt worden. »Das hätten wir schon erwartet«, moniert Bruce McKellar von der University of Melbourne (Australien), damals Präsident der IUPAP. In einem Interview gestand Paul Karol dem Fachjournal »Nature«, er habe den Inhalt des Abschlussberichts nahezu ausschließlich mit den Chemikern der IUPAC abgesprochen.
Dieser Alleingang des IUPAC brachte den Unmut, der zwischen den Schwesterorganisationen brodelte, zum Überkochen. »Über Jahre hat die Chemiker-Union den Prozess der Prüfung neuer Elemente auf unfaire Weise dominiert«, sagt etwa die Physikerin Cecilia Jarlskog von der Universität Lund. Auf der Konferenz in Schweden ließ Jarlskog, damals Präsidentin des IUPAP, ihrem Frust über die Zustände freien Lauf: Die Chemiker-Union stelle sich mit ihren eigenmächtigen Ankündigungen ins Rampenlicht. Außerdem besäßen »nur Physiker die Kompetenz«, die Daten aus den Teilchenbeschleunigern zu prüfen.
»Über Jahre hat die Chemiker-Union den Prozess der Prüfung neuer Elemente auf unfaire Weise dominiert«Cecilia Jarlskog
Zu dieser Ohrfeige gesellte sich bald heftige Kritik am Prüfverfahren. Die Daten für die Elemente 115, 117 und 118 stammten aus einer russisch-amerikanische Kollaboration unter Leitung des Atomphysikers Yuri Oganessian vom Joint Institute for Nuclear Reserach (JINR) in Dubna (Russland). Die für das Element 116 hatten Forscher des RIKEN Nishina Center for Accelerator-Based Science bei Tokio eingereicht. Den Anspruch auf die Entdeckung der Elemente 115 und 117 leitete die russisch-amerikanische Gruppe aus einer Analyse radioaktiver Zerfallsketten ab, die sich zeigen sollten, wenn die Elemente zeitgleich bei Teilchenkollision entstehen.
Allerdings ist die statistische Analyse solcher Zerfallsketten ausgesprochen anfällig für Fehler, vor allem wenn zwei Elemente mit ungerader Ordnungszahl interagieren können. Claes Fahlander aus Lund etwa berichtete im Jahr 2016, dass die beobachteten Zerfallsverhältnisse nur sehr unwahrscheinlich bei den Elementen 115 und 117 auftreten dürften — ein Kritikpunkt, der dem JWP bereits im Februar 2015 vorlag.
Noch wurde keine Entscheidung widerrufen
Das JWP-Mitglied Robert Barber, Atomphysiker an der University of Manitoba in Winnipeg (Kanada) meint zwar, er und seine Kollegen wären über den Effekt möglicher Interaktionen »sehr besorgt« gewesen. Letztlich sei man sich dann aber einig gewesen, dass es zu den eingereichten Daten keine Alternative gebe. Auch Loveland steht hinter der Entscheidung des JWP. Selbst wenn sich die JWP in ein paar Details geirrt haben sollte, habe das Gremium noch keine seiner Entscheidungen widerrufen müssen, berichtet er. Und der JWP-Vorsitzende Karol wendet ein, man habe sich bei der Prüfung gewissenhaft am offiziellen Kriterienkatalog orientiert. »Alles in allem waren wir sehr zufrieden mit dem Abschlussbericht«, sagt er.
Doch nicht alle Forscher überzeugen solche Antworten. Sogar der Atomphysiker und Mitentdecker Vladimir Utyonkov kritisiert die Zusammensetzung des JWP. Zwar hält auch er das Argument über mögliche Interaktionen für nicht stichhaltig. Dennoch findet er, dass im JWP zu wenige Forscher mit Expertise in der Synthese schwerer Elemente sitzen. Das habe deutlich aus den Entwürfen für den Abschlussberichts gesprochen. Die meisten Teilnehmer der schwedischen Konferenz stimmten dieser Kritik zu: Als der Atomphysiker David Hinde von der Australian National University in Canberra fragte, ob sie die Schlüsse des Gremiums »aus wissenschaftlicher Sicht zufrieden stellend« sind, bejahten nur eine Hand voll der rund 50 Anwesenden die Frage.
Unsaubere Prüfung
Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass die Prüfung durch das JWP nicht sauber war. Laut der Geschäftsführerin der Chemiker-Union Lynn Soby war das JWP dabei in zwei Schritten vorgegangen. Erst wurden die eingereichten Daten an mehrere Labore geschickt, mit der Bitte um Begutachtung. Auf der Grundlage der Gutachten schrieb das JWP dann abschließende Bewertungen, die zur Freigabe noch an das Komitee für Terminologie, Nomenklatur und Symbole der Chemiker-Union geschickt wurden, allerdings nur, um auf sprachliche und Formatierungsfehler hin geprüft zu werden, berichtet Soby.
Jedoch waren einige der Forscher, die die Forschungsergebnisse begutachten sollten, selbst an der Datenerhebung beteiligt gewesen. Und mindestens einer der vermeintlich unabhängigen Gutachter war von einem der Entdeckerlabore vorgeschlagen worden. Wenn das stimmt, hat die Verantwortung für die wissenschaftliche Prüfung fast vollständig in den Händen jener Labore gelegen, die die Ergebnisse produziert hatten.
Das hält Soby durchaus für angemessen. Immerhin seien die Gutachter ja Experten auf ihrem Fachgebiet, unterstreicht sie. Der Mitentdecker Vladimir Utyonkov war einer von ihnen. Er selbst aber war davon ausgegangen, dass der Chemikerverband 15 unabhängige Experten mit der wissenschaftlichen Prüfung beauftragt hatte. Aus seiner Perspektive sollten er und zwei seiner Kollegen aus Dubna nur die Fakten und Abbildungen in den Berichten auf Korrektheit prüfen. »Mir ist schleierhaft, wie man uns als unabhängige Prüfer sehen konnte«, sagt er.
Elemente unten rechts sind notorisch instabil
Auch McKellar (der damalige IUPAP-Präsident) sagt, er habe Zweifel an der Arbeitsweise des JWP gehabt, betont aber, dass die meisten Physiker und Chemiker, die er damals befragte, die Prüfergebnisse des JWP für weitgehend schlüssig hielten. Jan Reedijk, damals Präsident der Abteilung für Anorganische Chemie des IUPAC verteidigt die frühe Pressemeldung mit dem Hinweis, man habe nur versuchen wollen, Leaks zu vermeiden und die Labore mit Anspruch auf die Entdeckerehre nicht zu lange warten zu lassen.
Elemente unten rechts im Periodensystem sind notorisch instabil und brechen oft in Sekundenbruchteilen durch radioaktiven Zerfall auseinander. Die Forscher hatten daher Jahre gebraucht, um genügend Daten zu sammeln. Als im Dezember 2015 dann das Peer-Rewiew des Journals »Pure and Applied Chemistry« überstanden war, habe man die Entdeckung einfach zügig bestätigen wollen, erklärt McKellar. »Als klar war, dass das Review erfolgreich war, habe ich eine Stunde später meine Zustimmung erteilt.«
»Ich kriege heute noch Albträume, wenn ich daran denke, wie fahrlässig wir waren«Cecilia Jarlskog
Um weiteren Ärger zu vermeiden, haben die beiden Verbände sich nun auf eine neue Verfahrensweise für die Prüfung chemischer Elemente geeinigt. Laut der erweiterten Vorschriften, die im Mai 2018 veröffentlicht wurden, sollen die Präsidenten sowohl der IUPAC als auch der IUPAP die Gelegenheit haben, die Schlüsse des JWP zu überprüfen bevor eine öffentliche Erklärung abgeben wird. Und um die Qualität des Prüfverfahrens selbst zu gewährleisten, soll das JWP in Zukunft einen (wirklich) unabhängigen Peer-Review-Prozess beauftragen.
Kritiker wie Cecilia Jarlskog beruhigt das wenig. »Ich glaube nicht, dass sich durch die neuen Regeln etwas ändern wird«, spekuliert sie. Im Rückblick wünsche sie sich, sie und der Rest der Physikergemeinde hätten besser aufgepasst und den Prozess der Prüfung besser überwacht, insbesondere die Auswahl der Gutachter durch das JWP. »Ich kriege heute noch Albträume, wenn ich daran denke, wie fahrlässig wir waren«, sagt sie.
Der Text ist im Original unter dem Titel »The battle behind the periodic table’s latest additions« am 13. Juni 2018 in »Nature« erschienen: Nature 558, 175-176 (2018)doi: 10.1038/d41586-018-05371-y
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