Stress: Den Montagsblues gibt es wirklich

Seit Jahrzehnten steht der Begriff »Montagsblues« für das kollektive Stöhnen zu Beginn einer jeden Arbeitswoche. Er ist auch in medizinischen Statistiken gut dokumentiert. Montags treten im Vergleich zu anderen Tagen häufiger Angst, Stress und sogar Selbstmord auf. Länderübergreifende Studien zu diesem Phänomen haben ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen Herztodes durch bestätigte Herzinfarkte und andere kardiovaskuläre Ereignisse an Montagen um 19 Prozent zunimmt, und zwar bei Männern und Frauen aller Altersgruppen.
Nun stellt sich heraus, dass die Auswirkungen des Montags weit über flüchtige Stimmungsschwankungen hinausgehen können. Tarani Chandola entdeckte kürzlich, dass Menschen, die angeben, sich montags ängstlich zu fühlen, über Monate hinweg eine erhöhte Aktivität des körpereigenen Stressreaktionssystems aufweisen. Überraschenderweise hielt dieser Effekt auch bei älteren Erwachsenen an, die nicht mehr im Berufsleben standen, was darauf hindeutet, dass Montagsstress für manche Menschen eine lebenslange Belastung darstellt.
Die biologischen Hintergründe des »Montagseffekts« waren jedoch lange Zeit unklar. Ist der Stress und die Angst, die am Montag erlebt werden, biologisch bedingt? Und könnte dies im Körper der Menschen Spuren hinterlassen, auch wenn sie nicht mehr arbeiten?
Um diese Fragen zu beantworten, konzentrierte sich Chandola auf das Stresshormon Cortisol. Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse), ein zentraler Regelkreis, der Gehirn und Körper miteinander verbindet, steuert einen Großteil der Reaktion des Menschen auf Stress. Wenn wir einem Stressor ausgesetzt sind — sei es etwas Psychologisches, wie ein drohender Abgabetermin, oder eine körperliche Belastung, wie ein beißender kalter Morgen —, löst das Gehirn die Ausschüttung von Cortisol aus. Das Hormon hilft uns, kurzfristigen Stress zu bewältigen, indem es Energie mobilisiert und die Konzentration schärft. Ein chronisch hoher Cortisolspiegel stört jedoch das Gehirn und die Körpersysteme, erhöht das Risiko von Angstzuständen, Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Fettleibigkeit und beeinträchtigt die Immunfunktion.
Frühere Forschungsarbeiten hatten gezeigt, dass der Cortisolspiegel an Wochentagen höher sein kann als an Wochenenden, aber nur wenige Studien hatten direkt untersucht, ob der Montag auf biologischer Ebene besonders stressig ist. Um dies weiter zu untersuchen, wandte sich Chandola an die English Longitudinal Study of Aging (ELSA), die mehr als 10 000 Erwachsene im Alter von 50 Jahren und älter in England verfolgt.
Chandola konzentrierte sich auf eine Untergruppe dieser Teilnehmer und stellte ihnen Fragen wie »Wie ängstlich haben Sie sich gestern insgesamt gefühlt?« Die Teilnehmer gaben auch an, welcher Wochentag »gestern« war. Um die langfristige biologische Belastung durch stressige Tage zu bewerten, wurden in der Studie die Cortisolwerte in den Haarproben der Teilnehmer analysiert, um die kumulative Cortisolproduktion der letzten zwei bis drei Monate zu messen.
Von den 3 511 Teilnehmern gaben 281 Personen an, sich an einem Montag ängstlich zu fühlen, und 1 080 an einem anderen Tag der Woche. Einige dieser Freiwilligen gaben auch eine Haarprobe ab, so dass Chandola analysieren konnte, wie die Cortisolwerte in den Haaren im Vergleich zwischen den Gruppen aussahen. Bei der Studie wurde auch berücksichtigt, ob die Teilnehmer noch arbeiteten oder bereits im Ruhestand waren, um festzustellen, ob der Montagseffekt mit den nur allzu hohen Anforderungen zu Beginn der Arbeitswoche zusammenhing.
Die Ergebnisse waren verblüffend. Ältere Erwachsene, die angaben, sich montags ängstlich zu fühlen, wiesen im Durchschnitt 23 Prozent höhere Cortisolwerte in ihren Haarproben auf, die bis zu zwei Monate später entnommen wurden, verglichen mit denen, die sich an anderen Tagen ängstlich fühlten. Dieser Zusammenhang war am stärksten bei denjenigen mit den höchsten Cortisolwerten — einer Gruppe mit einem besonderen Risiko für Gesundheitsprobleme im Zusammenhang mit chronischem Stress.
Im Gegensatz dazu sagten Angstgefühle an anderen Tagen der Woche keine höheren Cortisolwerte voraus. Und der Effekt war nicht auf diejenigen beschränkt, die noch arbeiten; auch Rentner, die sich montags unruhig oder gestresst fühlten, wiesen erhöhte Cortisolwerte auf. Mit anderen Worten: Die biologischen Auswirkungen der Montagsangst scheinen auch dann noch anzuhalten, wenn die Arbeitswoche aus dem Alltag verschwunden ist.
Ein Grund dafür, dass Menschen montags einen erhöhten Cortisolspiegel aufweisen, ist, dass sie sich an diesen Tagen unruhiger fühlen als an anderen. Aber das ist nicht die ganze Erklärung. Die Daten zeigen, dass die Auswirkung von Angst auf den Cortisolspiegel an Montagen verstärkt wird. Mit anderen Worten: Wenn man sich am ersten Tag der Arbeitswoche gestresst fühlt, hat das eine viel stärkere Wirkung auf die Stresshormone des Körpers als wenn man sich an anderen Tagen gestresst fühlt.
Warum könnte gerade der Montag eine so starke Wirkung auf den Körper ausüben? Eine Möglichkeit ist, dass der Übergang vom Wochenende zu den strukturierten Anforderungen der Woche von Natur aus stressig ist, und dass sich manche Menschen besser daran gewöhnen als andere. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Montag ein höheres Maß an Unsicherheit mit sich bringt. Frühere Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass Vorfreude und Ungewissheit wichtige Faktoren für Stress und Angst sind. Bei Menschen, die sich nicht an den Wochenzyklus anpassen, kann sich der wiederholte Stress des Montags im Laufe des Lebens akkumulieren und schließlich zu langfristigen Problemen in der Fähigkeit des Körpers führen, das Stresssystem zu regulieren, was wiederum das Krankheitsrisiko erhöhen kann.
Es ist auch möglich, dass manche Menschen montags so routinemäßig gestresst werden, dass dies zu einer automatischen körperlichen Reaktion wird, die auch dann noch anhält, wenn der ursprüngliche Auslöser (z. B. ein stressiger Arbeitsplatz) nicht mehr vorhanden ist. Dieser Effekt könnte Ausdruck tief verwurzelter Gewohnheiten von Geist und Körper sein, die durch jahrzehntelange Routine geprägt sind.
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Montagsblues für manche Menschen nicht nur eine kleine Unannehmlichkeit ist, sondern ein anhaltender Stressfaktor mit langfristigen — vielleicht lebenslangen — schädlichen Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit. Das erhöhte Risiko von Herzinfarkten und anderen gesundheitlichen Ereignissen an Montagen ist wahrscheinlich kein Zufallstreffer. Krankenhäuser und Kliniken müssen sich möglicherweise auf eine Häufung von Ereignissen zu Beginn der Woche einstellen, insbesondere bei älteren Erwachsenen.
Darüber hinaus könnten Maßnahmen, die darauf abzielen, die Menschen bei der Anpassung an den Wochenbeginn zu unterstützen, langfristige gesundheitliche Vorteile haben. Die Stressreaktion des Gehirns ist plastisch, das heißt, sie kann sich verändern. Praktiken, die die Emotionsregulierung unterstützen, wie z. B. Meditation, Achtsamkeit, regelmäßige körperliche Betätigung oder eine gute Schlafhygiene, können dazu beitragen, den Wochenzyklus des Gehirns wiederherzustellen und stressbedingte Gesundheitsrisiken abzuschwächen.
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sollten untersuchen, warum manche Menschen gegen die Montagsangst resistent sind, andere dagegen nicht. Diese Frage könnte künftige Studien und Strategien für die psychische Gesundheit leiten und die Tür zu Maßnahmen öffnen, die den Menschen helfen, die Woche nicht nur mit einem Stöhnen, sondern mit größerer Widerstandsfähigkeit zu beginnen.
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