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Schwarze Löcher: Gravitationswellen erzeugen hochdimensionale Donuts

Mit Techniken aus der Quantenphysik haben Forschende Gravitationswellen extrem genau berechnet – und stießen dabei auf Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten, die sonst nur in der Stringtheorie auftauchen.
Ein leuchtender, digitaler Torus auf dunklem Hintergrund, bestehend aus einem Netzwerk von gelben Lichtpunkten und Linien, die ein komplexes, dreidimensionales Gittermuster bilden. Die Struktur erinnert an ein futuristisches oder wissenschaftliches Konzept, das möglicherweise Datenverbindungen oder ein Netzwerk symbolisiert. Die violette Farbgebung verstärkt den technologischen und abstrakten Charakter des Bildes.
Sechsdimensionale Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten übersteigen die menschliche Vorstellungskraft. Sie lassen sich aber als hochdimensionale Verallgemeinerung eines Torus verstehen.

Es ist ein historischer Moment: Mehr als eine Milliarde Lichtjahre entfernt rasen zwei gigantische Schwarze Löcher umeinander herum und stürzen schließlich ineinander. Der heftige Zusammenprall erschüttert Raum und Zeit – und zwar so stark, dass im September 2015 erstmals irdische Messgeräte in den US-Bundesstaaten Washington und Louisiana ausschlagen. Das bestätigt erneut Albert Einsteins Theorie der Schwerkraft, die allgemeine Relativitätstheorie, die er 100 Jahre zuvor formuliert hatte. Ähnlich wie elektrische Ladungen kann demnach auch Masse Energie in Form von Wellen abstrahlen. Statt Licht sind es in diesem Fall aber Gravitationswellen, welche die Raumzeit verformen.

Inzwischen haben Labors auf der ganzen Welt mehr als 200 Gravitationswellenereignisse verzeichnet. Sie rühren von sich umkreisenden Schwarzen Löchern und Neutronensternen her, die ineinanderstürzen. In den kommenden Jahren sollen noch sensiblere Detektoren wie das geplante unterirdische Einstein-Teleskop oder der Satellitenverband LISA eingesetzt werden, um die Verformungen in der Raumzeit mit noch nie da gewesener Präzision aufzuspüren. Neben einem enormen experimentellen Aufwand verlangt das auch Fortschritte auf der mathematischen Seite. Theoretische Physikerinnen und Physiker müssen die Genauigkeit ihrer Berechnungen anpassen, um die einlaufenden Signale für verschiedene Fälle vorhersagen zu können: Wie viel Energie strahlen zwei Schwarze Löcher in Form von Gravitationswellen ab? Welche Bahnkurve legen sie dabei zurück?

Im Fachjournal »Nature« stellen Fachleute um den Physiker Jan Plefka von der Humboldt-Universität zu Berlin die bislang genauesten Berechnungen solcher kosmischen Ereignisse vor. »Ihre hochpräzisen Ergebnisse werden die Entwicklung von noch genaueren Modellen von Gravitationswellen vorantreiben«, schreibt der Physiker Zhengwen Liu von der chinesischen Southeast University in Nanjing, der nicht an der aktuellen Studie beteiligt war, in einem bei »Nature« erschienenen Artikel. »Diese werden für die Interpretation der Beobachtungen künftiger Gravitationswellenexperimente entscheidend sein.«

Während ihrer Arbeit sind Plefka und sein Team auf eine überraschende Verbindung zur algebraischen Geometrie gestoßen: Wenn zwei Schwarze Löcher aneinander vorbeirasen, taucht bei der Berechnung der abgestrahlten Energie ein seltsames geometrisches Objekt auf, das als Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit bekannt ist. Es sind gewissermaßen hochdimensionale Donuts, und sie spielten bislang nur in abstrakten Gebieten der Mathematik und der Stringtheorie eine Rolle – aber nicht in physikalischen Berechnungen, die messbare Phänomene beschreiben. Doch das ändert sich nun, ist Plefka überzeugt, wie er »Spektrum« gegenüber erklärt: »Die Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten werden bleiben; sie werden höchstwahrscheinlich auch in der Quantenphysik auftreten.«

Quantenphysik hilft der allgemeinen Relativitätstheorie

Im Jahr 1915 krempelte Albert Einstein unsere Vorstellung der Welt um, indem er ein völlig neues Bild der Schwerkraft zeichnete: Demnach verändern Materie und Energie die Form der Raumzeit – und diese Krümmung beeinflusst wiederum, wie sich die Objekte im Universum bewegen. Doch auch wenn Forschende seit mehr als 100 Jahren die allgemeine Relativitätstheorie untersuchen, bereitet sie ihnen weiterhin Probleme. Denn die Theorie beschreibt Gleichungen, die nichtlinear sind und Ableitungen enthalten. Diese lassen sich lediglich für extrem vereinfachte Spezialfälle (etwa einen leeren und nicht gekrümmten Raum) exakt lösen. Für die meisten anderen – interessanten – Fälle ist man hingegen auf erhebliche Computerunterstützung und Näherungen angewiesen.

Wenn es um die Berechnung von Gravitationswellen geht, kommen die bisherigen Methoden an ihre Grenzen. Teilweise müssen leistungsstarke Computer wochenlang rechnen, um verlässliche Ergebnisse zu liefern, die mit der Präzision der Detektoren mithalten können. Deswegen feilen theoretische Physiker und Physikerinnen unentwegt an den genutzten mathematischen Methoden. Gerade mit Blick auf die künftige Generation von Gravitationswellendetektoren sind neue Berechnungsmethoden unerlässlich. In den vergangenen Jahren hat sich dabei ein ungewöhnlicher Zugang entwickelt: Fachleute greifen für ihre kosmologischen Berechnungen auf Ansätze der Quantenfeldtheorie zurück – was zu weit reichenden Fortschritten geführt hat.

Die Quantenfeldtheorie ist ein völlig anderer Bereich der Physik, der augenscheinlich nichts mit der allgemeinen Relativitätstheorie gemeinsam hat. Während letztere von einer einzigen, kontinuierlichen Raumzeit ausgeht, tauchen die meisten Größen in der Quantenphysik in kleinen Häppchen auf und legen dabei ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag. So kann sich ein Teilchen gewissermaßen an zwei Orten gleichzeitig befinden, zudem lassen sich bestimmte Eigenschaften nicht einmal mehr mathematisch beliebig genau bestimmen – die Quantenphysik enthält eine grundlegende Unschärfe. Die Unvereinbarkeit von Einsteins Gravitationstheorie und der Quantenphysik treibt Fachleute schon seit mehr als 100 Jahren um.

Und doch lassen sich Konzepte der einen Theorie auf die andere übertragen. »Schwarze Löcher sind hauptsächlich durch drei Eigenschaften bestimmt«, erklärt Plefka. »Ihre Masse, ihren Spin und ihre Ladung – so wie Elementarteilchen auch.« Aus diesem Grund greifen er und sein Team auf einen Ansatz zurück, den der renommierte Physiker Richard Feynman in den 1960er Jahren entwickelt hat: die quantenphysikalische Störungstheorie.

Der Gedanke dahinter ist simpel. Wenn ein Problem zu kompliziert ist, um es zu lösen, vereinfacht man es hierfür zunächst so sehr, bis man es lösen kann. Für zwei Schwarze Löcher heißt das: Man betrachtet zunächst den Fall, dass sie sich gar nicht anziehen. Und dann fügt man kleine »Störungen« hinzu: Was ist, wenn sie sich ganz leicht anziehen; wie verändert das ihr Verhalten? Nach und nach berücksichtigt man immer mehr Störungsterme und untersucht, wie diese das System beeinflussen. Solche Berechnungen werden allerdings schnell unübersichtlich. Es entstehen zahlreiche komplizierte Integrale, weshalb Feynman eine Notierung mit Diagrammen erfand, welche die verschiedenen Vorgänge anschaulich darstellt. Gleichzeitig folgt die visuelle Darstellung klaren Regeln, so dass sich jedes Diagramm wieder eindeutig in einen mathematischen Ausdruck aus Integralen übersetzen lässt.

Die Störungstheorie ist in der Quantenphysik seit Jahrzehnten etabliert. »Hiermit kommt man viel weiter als mit Methoden aus der allgemeinen Relativitätstheorie«, erklärt Plefka im Gespräch mit »Spektrum«. Mehrere Arbeitsgruppen auf der Welt haben daher diesen Ansatz verfolgt – wenn auch auf unterschiedliche Weise. »Lange hatten die Kollegen aus der USA bei den Berechnungen die Nase vorn«, sagt Plefka. »Aber das hat sich nun geändert.«

»Um das Team zu motivieren, habe ich deshalb regelmäßig eine Flasche Wein ausgesetzt für denjenigen, der sie findet«Jan Plefka, Physiker

Um die nächste Stufe der Genauigkeit zu erzielen, die für die künftigen Gravitationswellendetektoren nötig ist, musste Plefka mit seinem Team insgesamt 426 Feynman-Diagramme berechnen, die sich zu mehreren Millionen Integralen übersetzen lassen. Den Physikern gelang es, diese gigantische Menge an Termen auf mehrere hundert »Masterintegrale« zu reduzieren und diese zu lösen. Dafür griffen sie auf massive Computerunterstützung zurück – doch auch das läuft nicht immer ohne Schwierigkeiten ab. »In so einem komplexen Projekt treten stets Fehler im Computercode auf, die man finden muss«, sagt der Physiker. »Um das Team zu motivieren, habe ich deshalb regelmäßig eine Flasche Wein ausgesetzt für denjenigen, der sie findet.« Und das hat sich wohl gelohnt: Zusammen mit seinen Kollegen konnte er nun die bislang genaueste Berechnung für den Vorbeiflug zweier Schwarzer Löcher vorlegen. »Diese Arbeit markiert einen Durchbruch in der analytischen Relativitätstheorie«, schreibt Zhengwen Liu.

Sechsdimensionale Donuts

Als das Forschungsteam untersuchte, welche Energie die Schwarzen Löcher abstrahlen, wenn sie aneinander vorbeifliegen, entdeckte es eine unerwartete geometrische Form: die Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit. »Es ist oft so, dass in Zwischenergebnissen, also einzelnen Feynman-Diagrammen, komplizierte Funktionen auftauchen, die sich dann aber in der Summe wegheben«, erklärt Plefka. Das heißt, bei der Berechnung von physikalischen Messgrößen tauchen komplizierte Formen wie Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten (sechsdimensionale Verallgemeinerungen von Donuts) nicht auf. Doch in diesem Fall sind die komplexen Terme stehen geblieben.

Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten hatten bisher lediglich in der hochspekulativen Stringtheorie eine Rolle gespielt. Die Theorie besagt, dass unser Universum aus neun Raumdimensionen besteht, von denen wir nur drei wahrnehmen, weil die übrigen sechs winzig klein in Form von Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten aufgerollt sind. Nun zeigt sich aber: Auch in messbaren physikalischen Prozessen wie der Entstehung von Gravitationswellen durch zwei Schwarze Löcher spielen die abstrakten geometrischen Gebilde eine Rolle. Und dabei wird es wahrscheinlich nicht bleiben, glaubt Plefka.

»Das ist eine ganz neue Klasse an Mathematik für die Teilchenphysik«Jan Plefka, Physiker

Die Fachleute vermuten, dass die komplizierten Formen in der Störungstheorie irgendwann zwangsweise auftauchen, wenn man genügend Terme berücksichtigt – unabhängig vom genauen Phänomen, das untersucht wird. Und tatsächlich ist das störungstheoretische Ergebnis der Physiker nicht nur das präziseste, das bisher in der Kosmologie erzeugt wurde – auch die Genauigkeit der Resultate in der Teilchenphysik übertraf das Team damit. Deshalb ist Plefka überzeugt, dass die hochdimensionalen Donuts dort ebenfalls eine Rolle spielen werden: »Generell glauben wir, dass die Zukunft der störungstheoretischen Quantenfeldtheorie nicht umhinkommen wird, sich mit Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten zu beschäftigen. Das ist eine ganz neue Klasse an Mathematik für die Teilchenphysik.«

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  • Quellen
Plefka, J. et al.: Emergence of Calabi–Yau manifolds in high-precision black-hole scattering. Nature, 2025

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