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Grenzflächenchemie: Strömendes Wasser energetisiert die Oberfläche

Neue Forschungsergebnisse werfen bisherige Annahmen über die chemischen Vorgänge zwischen Wasser und Feststoffen über den Haufen. Die Grenzfläche erweist sich als weit dynamischer als erwartet.
Rostendes Auto

Ob sich Zucker im Kaffee auflöst oder das Auto durchrostet – bei vielen alltäglichen Vorgängen wechselwirken feste Materialien mit flüssigem Wasser. Entscheidend dafür ist die so genannte elektrochemische Doppelschicht: In der Flüssigkeit bildet sich eine bis zu zehn Nanometer dicke Grenzschicht aus, die gelöste Ionen enthält und entgegengesetzt zur Oberfläche geladen ist. Außerdem bilden die Wassermoleküle eine Struktur, die Eis ähnlicher ist als flüssigem Wasser. Bisher ging man davon aus, dass diese Schicht sehr stabil ist – dass zum Beispiel Strömungen sie nicht stören und dass der Feststoff der angrenzenden Oberfläche sehr gut löslich sein muss, um ihre Zusammensetzung merklich zu verändern. Ein Team um Dan Lis von der Universität Namur in Belgien und Mischa Bonn vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz hat jetzt jedoch gezeigt, dass diese Annahmen falsch waren – tatsächlich ist die Grenzfläche weit dynamischer, als irgendjemand vermutet hätte.

Das Team um Lis verwendete ein neues Verfahren namens Summenfrequenzerzeugungsspektroskopie (Sum Frequency Generation Spektroscopy), das die Ausrichtung von Wassermolekülen in ebenjener Grenzfläche misst. Flüssiges Wasser erzeugt kein Signal, da die Moleküle zufällig in alle Richtungen zeigen. Die Grenzschicht jedoch, mit ihrer stärkeren Ordnung, ist für das Verfahren sichtbar. Mit dieser Technik untersuchten sie, wie sich die Oberflächenladung von Kalziumfluorid und Glas abhängig von pH-Wert und Strömung verändert. Dabei zeigte sich, dass besonders strömendes Wasser die Chemie an der Oberfläche drastisch verändert.

Der Effekt basiert schlicht darauf, dass fließendes Wasser Teilchen aus der Doppelschicht abtransportiert – was man bisher nicht vermutet hatte. Dadurch verändert sich das Gleichgewicht zwischen der Oberfläche und ihren Komponenten, die in der Doppelschicht gelöst sind – und das Ladungsmuster verändert sich gegenüber dem strömungsfreien Zustand erheblich. Bei Kalziumfluorid, das aus zwei unterschiedlichen Atomsorten besteht, löst sich das Fluor besser als das Kalzium. Ohne Strömung spielt das keine Rolle – mit Strömung jedoch führt der Effekt zu einer deutlich positiven Oberflächenladung. Dieser Effekt, der Struktur und Chemie der Doppelschicht deutlich verändert, ist keineswegs klein: In einem Versuch hatte fließendes Wasser den gleichen Effekt wie eine Senkung des pH-Werts um zwei Einheiten – eine Konzentrationsänderung um den Faktor 100.

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