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Energieversorgung: Strom für die Stadt der Zukunft

Eine Großstadt wie Frankfurt am Main kann sich laut aktuellen Modellen allein aus erneuerbaren Energien versorgen. Viele Details zur Stromversorgung der Zukunft sind aber noch völlig unklar. Allen voran die Sicherheit.
Virtuelles Stromnetz

Es gibt kein Wasser mehr, Telefon und Internetverbindungen sind tot, die Regale der Supermärkte leer, Menschen rauben sich gegenseitig aus, die Notstromversorgung in den Krankenhäusern bricht zusammen: Wie schnell ein Blackout in einer Großstadt die westliche zivile Gesellschaft in einen Bürgerkrieg stürzen kann, beschreibt der Autor Marc Elsberg in seinem Roman "Blackout" eindrücklich: innerhalb weniger Tage. Elsberg hat für sein Buch gründlich recherchiert – das Szenario ist weniger abwegig, als man auf den ersten Blick denkt und hofft. Auch die Ursache des Stromausfalls ist nicht aus der Luft gegriffen: Hacker manipulieren intelligente Stromzähler und lassen so das Netz zusammenbrechen. Der Blackout entsteht aus den Schwächen einer solchen Stromversorgung der Zukunft: weniger stabile Netze und die Anfälligkeit moderner Kommunikationstechnologie für Angriffe.

Wer die Vorgänge über den Start dieser Smart Meter in Deutschland verfolgt hat, erinnert sich sicher an jenen Fall, in dem Wissenschaftler gänzlich ungeschützte Daten einiger Stromzähler abfingen und daraus berechnen konnten, welchen Film die Bewohner eines Hauses gerade schauten. Die Befürchtung, dass die noch recht junge Technologie lange nicht gut genug gegen Angriffe von außen gesichert sei, ist daher wohl berechtigt.

Frankfurt leuchtet | Frankfurts Wolkenkratzer verschlingen riesige Mengen an Strom: für Beleuchtung, Aufzüge, Klimaanlagen, Computer und so weiter. Dennoch könnte die Stadt allein aus erneuerbaren Quellen versorgt werden.

Dennoch kommen wir um diese Technologie nicht herum, denn eine von vielen Grundlagen dieser Stromversorgung der Zukunft ist die Kommunikation zwischen Anbieter und Kunde, um Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen. "Das größte Problem erneuerbarer Energien ist, dass sie schwer vorhersagbar und nicht zu speichern sind", sagt Wilfried Elmenreich vom Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme an der Universität Klagenfurt. Um die sichere Versorgung einer Stadt zu gewährleisten, sind das denkbar schlechte Voraussetzungen. "Ohne einen signifikanten Teil von steuerbaren Kraftwerken wird das Netz instabil", befürchtet der Professor für Smart Grids.

Wechselspiel der Strompreise

Deshalb sei es wichtig, den Verbrauch mittels intelligenter Stromzähler entsprechend an das Energieangebot anzupassen. Die Energiewende wird die Strompreise einschneidend verändern: Strom wird dann günstig sein, wenn Sonne oder Wind vorhanden sind. Smarte Technologie kann dem Verbraucher helfen, den Strom idealerweise dann zu verbrauchen. "Die Frage ist, ob das sozial gerecht ist", zweifelt Elmenreich: Schließlich haben beispielsweise viele Arbeitnehmer nicht die freie Wahl, wann sie Wäsche waschen oder kochen. "Sie bezahlen dann ins System ein." Einfacher ist es bei Kühlgeräten wie Kühlschränken oder Klimaanlagen. Denn deren Bedarf kann man automatisch steuern, der Bewohner gibt nur eine maximale Temperatur an, und das Gerät kühlt dann, wenn Strom im Überfluss vorhanden und damit günstig ist. Nicht zuletzt wäre es für die Stromanbieter günstig, wenn sie einzelne Nutzer kurzfristig abschalten könnten, um eine Überlastung zu vermeiden. In den USA gibt es in einigen Staaten bereits entsprechende Stromverträge: Wer seinem Energieanbieter erlaubt, große Haushaltsgeräte bei Bedarf kurzfristig abzuschalten, bekommt Rabatt. Auch keine optimale Lösung, findet Elmenreich: "Der Durchschlag des gordischen Knotens wäre, wenn genügend Speicher vorhanden wären." Aber während sich etwa Österreich mit seinen Pumpspeicherkraftwerken gerade eine goldene Nase verdient, ist Deutschland als Vorreiter im Bereich "erneuerbare Energien" kaum mit Speichermöglichkeiten gesegnet.

Wer weniger speichern will, braucht entweder große Stromtrassen, um die Energie aus dem Norden Deutschlands mit seinen vielen Windkraftwerken in den Süden zu transportieren – oder er muss den Strom dort erzeugen, wo er gebaucht wird. Das stellt allerdings gerade Großstädte vor eine Herausforderung: Es fehlt nicht nur die Fläche für Wind- und Solaranlagen, auch leben viele Verbraucher auf engem Raum, die häufig zu ähnlichen Zeiten Strom benötigen. Dazu kommen Industrie- und Gewerbebetriebe, die besonders viel Energie verbrauchen. Dennoch sieht Gerhard Stryi-Hipp vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE gerade die Städte in der Pflicht: "Sie sind für 70 Prozent des Energiebedarfs verantwortlich." Deshalb werden sie auch in der Energieversorgung der Zukunft eine wichtige Rolle spielen, davon ist der Forscher überzeugt: "Beispielsweise müssen Gebäude zu Energieerzeugern werden – Dächer und Fassaden bieten genügend Flächen für Fotovoltaik- und Solarwärmeanlagen."

Aber auch die Städte stehen vor dem Problem der unzureichenden Speicherkapazität. Angesichts der aktuellen etwa 30 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien halten sich Erzeugung und Verbrauch noch die Waage. "Mittel- bis langfristig müssen wir jedoch mit steigenden Anteilen an Solar- und Windstrom in Speicher investieren", sagt Stryi-Hipp. Die viel zitierten Akkus der Elektrofahrzeuge sind nicht die Lösung: Zu schlecht ist die gegenwärtige Batterietechnologie, die Lebensdauer der Akkus leidet zu sehr unter ständigem Laden und Entladen, was diese Speicherart extrem teuer werden ließe. "Man könnte allerdings die Ladezeiten entsprechend steuern", sagt Elmenreich. Mit wachsender Bedeutung der E-Mobilität kann das ein entscheidender Faktor sein, der von der Logistik her allerdings komplex ist; schließlich werden E-Autos in der Regel nachts geladen – und da gibt es zumindest keinen Solarstrom.

Frankfurt autark

Dass es auch für eine Großstadt wie Frankfurt am Main möglich ist, sich aus erneuerbaren Energien der Region zu versorgen, hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE mit einer Computermodellierung gezeigt: Die Stadt braucht dafür jedoch die Unterstützung des Umlands, aus dem etwa die Hälfte der Energie kommt. Ob es sinnvoll ist, dass sich Frankfurt dabei allein auf die Energiequellen der Region verlässt, ist eine Optimierungsfrage. Denn würde sich die Metropole im Extremfall komplett vom Netz abkoppeln wollen, bräuchte sie nach Fraunhofer Berechnungen Stromspeicher mit einer Kapazität von neun Gigawattstunden. Das wäre teuer und aus Gerhard Stryi-Hipps Sicht nicht sinnvoll. "Die entscheidende Frage ist: Lässt man es zu, dass Strom in begrenztem Umfang importiert wird?", so der Forscher. Die günstigste Variante in seinem Modell verzichtet gänzlich auf neue Stromspeicher, benötigt dann allerdings ein Drittel importierten Strom, zum Beispiel aus Norddeutschland. Das birgt wiederum ein Risiko, denn keiner kann vorhersagen, wie sich die Strompreise in Zukunft entwickeln. Mit diesem Anteil könnte die Großstadt zu abhängig von eventuell teurem Importstrom sein und wäre auch weit vom Ziel einer regionalen Versorgung entfernt.

Eisenbahn | Unser tägliches Leben wird durch die verlässliche Stromversorgung erleichtert: Ohne Elektrizität würde kaum ein Zug fahren, automatische Türen würden sich nicht öffnen, Supermarktkassen nicht funktionieren, die Nächte wären stockfinster. Die nötige Infrastruktur dafür ist aber gewaltig.

Stryi-Hipp schlägt deshalb einen Kompromiss vor: Das aus seiner Sicht optimale Modell geht von einem Import von durchschnittlich zehn Prozent Strom im Jahr und einer zusätzlichen Stromspeicherkapazität von zwei Gigawattstunden aus. Damit ließe sich Frankfurt zu jeder Stunde im Jahr zu akzeptablen Kosten sicher und vollständig mit erneuerbaren Energien versorgen. "Das gelingt allerdings nur, wenn das Energiesystem deutlich effizienter wird", schränkt er ein. Gebäude müssen besser gedämmt und verbrauchsintensive Haushaltsgeräte ersetzt werden. Nicht zuletzt muss sich die E-Mobilität durchsetzen. Und das wird sie aus seiner Sicht tun, allein aus Effizienzgründen. Der Forscher begründet das mit einem eindrücklichen Exempel: Wer auf einer Fläche von 100 Quadratmetern Biomasse anbaut, um daraus Biosprit zu erzeugen, kann damit im Jahr 250 Kilometer mit dem Auto zurücklegen. Installiert man auf derselben Fläche eine Fotovoltaikanlage, bringt diese Energie für 15 000 Kilometer mit dem Elektroauto.

Autark ist eine Stadt aber auch dann noch lange nicht, wenn sie nur ihren eigenen Energiebedarf komplett produziert, betont der Innsbrucker Professor für energieeffizientes Bauen, Wolfgang Streicher: "Der Energieaufwand, mit dem importierte Güter erzeugt werden, erhöht etwa die Kohlendioxidemissionen indirekt um annähernd die Hälfte." Schließlich gehe es bei der Idee einer Stadt, die sich selbst mit Energie versorgt, nicht um die von manchen Politikern beworbene reine Stromautarkie, sondern um Änderungen des gesamten Energiesystems in allen Sektoren wie Verkehr, Industrie oder Gebäude. Politisch sollte im Vordergrund stehen, wie die Energiewende umgesetzt werden könne. "Wir werden beispielsweise auch in Zukunft große Netze und einige große Kraftwerke brauchen, um die Stromnetze stabil zu halten", sagt er. Fraunhofer-Forscher Stryi-Hipp sieht darin eine der großen Unsicherheiten bei den Strompreisen der Zukunft: "Die Übertragungsnetzbetreiber garantieren heute die Sicherheit, aber deren Geschäftsmodell steht mittelfristig in Frage." Je weniger Strom wir aus zentralen Kraftwerken beziehen, umso weniger lukrativ wird dieses Geschäft. Um trotzdem Versorgungssicherheit garantiert zu bekommen, werden wir dann womöglich einen hohen Grundpreis zahlen müssen.

Scheitert die Theorie an der Realität?

Und am Ende droht die Theorie an der Realität zu scheitern, denn die Umsetzung der hehren Ziele ist noch völlig unklar: Während Städte normalerweise in einem Zeitraum von zwei bis fünf Jahren planen, dauert der Umstieg im Szenario für Frankfurt 35 Jahre. "Wir sind es nicht gewohnt, solche langfristigen Prozesse einer Transformation zu planen und die Pläne so flexibel zu gestalten, dass sie sich problemlos an sich verändernde Randbedingungen anpassen lassen", sagt Stryi-Hipp. Wir wissen heute noch nicht genau, welche Technologie in den 35 Jahren welche Fortschritte macht. Und auch der Mensch spielt eine Rolle – schließlich sieht der Plan der Fraunhofer-Forscher auch Energieeinsparungen vor, unter anderem indem Gebäude gedämmt werden. Das machen jedoch viele Investoren derzeit nicht, weil es sich für sie auf Grund der günstigen Energiepreise nicht rechnet. "Trotzdem sind solch umfassende Konzepte sehr hilfreich, denn wir wissen, dass wir unser Energiesystem auch auf kommunaler Ebene vollständig umbauen müssen", betont Stryi-Hipp. Smart-Grid-Experte Wilfried Elmenreich verweist ebenfalls auf wirtschaftliche Probleme: "In vielen Fällen ist ein Kohlekraftwerk die billigste Lösung – häufig sogar, wenn es erst noch gebaut werden muss." Aber das erzeugt extrem viel Kohlendioxid – was jedoch China nicht daran hindert, auf Kosten der Umwelt in großem Stil in diese Technik zu investieren.

Die Menschen in den Privathaushalten zum Sparen zu bringen, ist die zweite große Herausforderung. "Wir sind darauf angewiesen, dass der Mensch mitmacht", sagt Elmenreich. Dafür muss man seiner Erfahrung nach das Thema auch emotional verpacken. Geräte wie den Schweizer Wassermesser "Amphiro", der direkt an der Duscharmatur anzeigt, wie viel Wasser der Duschende schon verbraucht hat, hält er dabei durchaus für hilfreich: Es zeigt einen Eisbären auf einer Eisscholle, die mit fortschreitendem Wasserverbrauch immer weiter schmilzt. Dieser emotionale Zugang ist für technisch orientierte Wissenschaftler wie ihn eher ungewohnt. "Der Mensch in der Schleife macht das Ganze unberechenbar, das ist spannend", so Elmenreich.

Auch die Akzeptanz von intelligenten Stromzählern in der Bevölkerung steht noch in den Sternen. Ob diese je gänzlich sicher vor Hackerangriffen sind, bezweifelt Elmenreich. "Wichtig wäre ein diverses System", sagt er. Je mehr verschiedene Stromzähler es gibt, umso wahrscheinlicher ist im Falle eines Angriffs nur ein Teil der Zähler betroffen.

Doch wenn am Ende der Mensch unterstützt von smarter Technologie Jagd auf günstige Strompreise macht, kann das mitunter nach hinten losgehen, wie Wissenschaftler des Instituts für Theoretische Physik der Universität Bremen zeigten: Stefan Bornholdt hat mit Kollegen eine entsprechende Situation simuliert, in der intelligente Stromzähler unter anderem dafür sorgten, dass massenhaft Waschmaschinen zum gleichen Zeitpunkt starten, weil der Strom günstig ist. "Dann wird ein kollektiver Lawinenmechanismus ausgelöst, der die Stromnetze extrem belastet", warnt Bornholdt. Im Extremfall könne das zu Blackouts führen. Deshalb sieht Bornholdt in dem Gesetz, nach dem Neubauten seit 2010 mit Smart Metern ausgestattet werden müssen, einen Schnellschuss, "der nicht zu Ende durchdacht ist." Vielleicht braucht die Gesellschaft der Zukunft also gar keine Hacker, um sich selbst mit Hilfe von smarten Stromzählern lahm zu legen.

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