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News: Strukturelle Achillesferse

Mit raffinierten Schachzügen entwischt das HI-Virus immer wieder dem menschlichen Immunsystem. Doch unsere Körperabwehr hat auch noch ein paar Tricks auf Lager - etwa ein ungewöhnliches Antikörperdesign, um Tarnmechanismen des Erregers zu unterlaufen.
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Viele hoffnungsvolle Therapieansätze und einige vermeintlich wirksame Impfverfahren wurden schon vorgestellt, gelegentlich gar das endgültige Überwinden der viralen Verteidigungslinien prognostiziert. Meist hoffnungsvoll überoptimistisch: Die wandlungsfähigen HI-Viren töten weiter, unsere beste Waffe bleibt simple präservative Prävention.

Wenig tröstlich für bereits Infizierte – sie überleben mit Hilfe neuer Medikamente zwar heute länger, als dies vor noch zehn Jahren für möglich gehalten wurde. In seltenen Fällen aber scheint das Immunsystem der Betroffenen doch die Oberhand zu gewinnen. Doch worin unterscheidet sich deren überlegenes Immun-Waffenarsenal von dem vieler anderer HIV-Opfer?

Wissenschaftler um Hermann Katinger von der Landwirtschaftlichen Universität Wien nahmen vor bereits mehr als zehn Jahren das Immunsystem eines ehemals HIV-positiven Patienten unter die Lupe, der die Infektion niedergekämpft und überlebt hatte. Sie isolierten schließlich einen ungewöhnlichen Antikörper, der offenbar für den selten glücklichen Ausgang des Virus-Mensch-Duells entscheidend gewesen war. Nach Untersuchungen verschiedener Teams legen Katinger, Ian Wilson und Dennis Burton vom Scripps Research Institute sowie Kollegen der Oxford University und der Florida State University Ergebnisse vor, welche die Besonderheiten des wirkungsvollen Antikörpers deutlich machen.

Als noch wenig aufregend hatten sich zunächst die beiden antigenbindenden Regionen des Antikörpers namens "2G12" erwiesen, die für die Erkennung charakteristischer Merkmale eines körperfremden Eindringlings verantwortlich sind. Bei 2G12 binden sie schlicht an so genannte Oligomannose-Zuckerketten, die auch auf menschlichen Körperzellen weit verbreitet sind. Daher nutzt auch das HI-Virus diese Ketten, um sich zu tarnen: Bei ihm sitzen sie an der Spitze länglicher Proteinmoleküle und verdecken so die verräterische virentypische Oberflächenstruktur. So entgeht das Virus, vermutete man bisher, einer Erkennung durch die Immunabwehr.

Doch lässt sich 2G12 davon nicht in die Irre führen, wie seine mit Hilfe von Röntgenstrukturanalyse aufgeklärte, außergewöhnliche räumliche Struktur vermuten lässt. Die beiden zuckerbindenden, kurzen Arme des Y-förmigen Antikörpers sind deutlich miteinander verschränkt und ineinander verdrillt. Und indem sie sich dann mit Nachbarn zusammentun, sind sie bestens darauf eingerichtet, Oligomannose-Ketten zu erkennen, die in der HI-Viren typschen räumlichen Position zueinander stehen. Auf menschlichen Zellen sind die Zuckerketten anders angeordnet. Somit entlarvt 2G12 die Zuckermaskerade – die Tarnkappe des Virus wird zu seiner Achillesferse.

Solche strukturellen Meta-Antikörper sind etwas Neues: "Bislang wurde derartiges noch niemals beschrieben", meint Wilson. Vielleicht, ergänzt Burton, könne man nun ähnlich organisierte Antikörper produzieren, die ganz neue Molekülgruppen binden.

Ein erster Schritt hin zu einem HIV-Impfstoff wäre, ein ungefährliches, vielleicht künstliches Antigen zu entwickeln, welches das menschliche Immunsystem zur massenhaften Produktion der wirkungsvollen 2G12-Antikörper veranlasst. Bis ein solcher Impfstoff allerdings entwickelt, getestet und verfügbar ist, bleibt noch ein langer Weg – und damit weiterhin der notwendige Griff zu den heute bereits verfügbaren Präventivmaßnahmen.

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