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Saturn: Sturz ins Ungewisse

Heute ist es soweit: Nach sieben Jahren Anreise, drei Wochen Alleinflug und ein wenig Fallschirmspringen lernt die europäische Saturnsonde Huygens die Bodenbeschaffenheit des Mondes Titan kennen - ob gewaltsam oder eher sanft werden wir frühestens am Nachmittag erfahren. Zuerst im europäischen Kontrollzentrum der Esa in Darmstadt, dann erdweit.
Huygens im Anflug auf Titan
Weihnachten wurden zwei Einzelsonden aus der Doppelsonde: Am 25. Dezember löste sich der Crash-Lander Huygens planmäßig von der Nasa-Sonde Cassini, mit der er 2714 Tage lang quasi per Anhalter gemeinsam zum Saturn gereist war. Seitdem befindet sich Huygens auf geplantem Kollisionskurs mit dem mysteriösesten aller Monde des Sonnensystems: Titan. Und heute, am 14. Januar, wird der Höhepunkt einer Mission erreicht, bei der sich im voraus nur eines genau vorhersagen lässt: Am Ende wird man nie wieder etwas hören von der Sonde Huygens – sie wird erfroren, zerschmettert oder für immer versunken sein. Die Daten aber, die Huygens bis zu seinem sicheren Abgang in die Rekorder der am Mond vorbeirauschenden Cassini-Sonde übertragen hat, sollen den Aufwand des extraterrestrischen Crashtests mehr als lohnen. Ein Überblick über die letzten Stunden von Huygens:

Erdzeit 10.06 Uhr MEZ, 1270 Kilometer über Titan-Normalnull – Eintritt in die Atmosphäre

Cassini und Huygens getrennt | Am ersten Weihnachtstag trennten sich Huygens und Cassini – der Lander befand sich seitdem in Kollisionskurs mit Titan. Nach Eintritt in die dichte Stickstoffatmosphäre des Mondes bleiben Huygens weniger als drei Stunden, um seine Messdaten an den vorbeirauschenden Cassini zu übermitteln.
Damit Huygens den großen Tag nicht im elektronischen Tiefschlaf verpasst, schrillen vor dem Mondrendezvous drei Wecker, bevor die Sonde – plangemäß um 10.06 Uhr – mit Mach 20 steil in die obersten Atmosphärenschichten eintaucht. Hoffentlich voran der große Hitzeschild, denn nun wird's heftig: Bald werden, so in rund 400 Kilometern Höhe, bis zu 1100 Grad Celsius am Schild durch Reibung auftreten, während der Lander heruntergebremst wird. Die dabei anfallende Bremsbelastung dürfte das 16fache der Erdbeschleunigung erreichen.

Bei einer Geschwindigkeit von etwa 1300 Kilometern pro Stunde öffnet sich dann der erste kleine Fallschirm in der dichter werdenden Titan-Atmosphäre – er zieht, wenn alles gut geht, einen Schutzdeckel von der Sonde. Dann erst kommt der gut achteinhalb Meter große Hauptschirm zum Einsatz, der Huygens ziemlich abrupt auf etwa 180 Kilometer pro Stunde Fallgeschwindigkeit bringen soll.

Erdzeit 10.10 Uhr MEZ, 170 Kilometer über Titan-Normalnull – Reißleinenziehen zwischen Methanschwaden

Huygens soll fotografieren | Huygens wird bei seinem Abstieg einige unterschiedlich detailreiche Bilder aus verschiedenen Höhen aufnehmen: Aus 150 Kilometer Höhe soll etwa die grün umrandete Fläche in einer Auflösung von 150-1160 Metern pro Pixel fotografiert werden. Der gelbe Punkt markiert den geplanten Landepunkt der Sonde.
Kurz nach dem Entfalten des großen Schirms hat Huygens Ballast abgeworfen – der Hitzeschild wird nicht länger benötigt. Pendelnd am Fallschirm nehmen nun die wissenschaftlichen Instrumente ihre Arbeit auf. Sie sollen die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre und ihre physikalischen Eigentümlichkeiten bestimmen sowie Fotos und Spektralanalysen aufnehmen. Rund fünfzehn Minuten hängt Huygens am Schirm – irgendwo zwischen 110 und 140 Kilometer Höhe hat der Hauptschirm dann ausgedient.

Erdzeit 10.25 Uhr MEZ, 140 Kilometer über Titan-Normalnull – Schnell runter jetzt

Geglückte Generalprobe | Der Fallschirm von Huygens sollte eigentlich funktionieren – eine simulierte Generalprobe auf der Erde verlief im Juni 2003 jedenfalls weitgehend problemlos.
Beim Abschied des Schirms pendelt Huygens mit gut 140 Kilometern pro Stunde Richtung Titan-Boden – und wird vielleicht ziemlich heftig von Stürmen durchgerüttelt, die in der oberen Atmosphäre wohl schon mal mit 700 Kilometern pro Stunde blasen können. Um nicht allzu weit verweht zu werden und den Titan-Boden zu erreichen, wird nun der große Fallschirm abgeworfen und ein zweiter, mit drei Metern kleinerer Schirm gezogen. Die Fallgeschwindigkeit steigt wieder an, auf etwa 360 Kilometer pro Stunde. Dies wird auch notwendig, weil sonst die Datenrelaisstation von Huygens zu schnell außer Reichweite gerät: Wenn die im All vorbeirauschende Cassini-Sonde – welche die Ergebnisse von Huygens zwischenspeichern und später zur Erde übertragen muss – hinter dem Titan-Horizont verschwindet, ist das Ende jeder irdischen Datenverbindung zu Huygens gekommen.

Erdzeit 12.27 Uhr MEZ, knapp über Titan-Normalnull – Auf zum Aufprall

Höchstens 150 Minuten nach dem Eintauchen in die Atmosphäre sollte sich Huygens demnach für einen kräftigen Aufprall rüsten – der Wind lässt eine genaue Berechnug des Zeitpunkts allerdings nicht zu. Mit etwa 18 Kilometern pro Stunde wird die Sonde jedenfalls niedergehen auf ... ja, auf was? Allenfalls spekulativ sind die Hypothesen über die Beschaffenheit der Titan-Oberfläche. Vielleicht platscht Huygens in einen Methansee. Wahrscheinlicher erwartet ihn eine eher harte Oberfläche – gut möglich, dass die Sonde beim Aufprall zerstört wird. Geplant ist aber, dass Huygens auf der Oberfläche noch mindestens drei Minuten durchhält und dabei ein spannendes Oberflächen-Analyse-Experiment erfolgreich zum Abschluss bringt.

Erdzeit gegen 14.37 Uhr MEZ, Titan Normalnull – Adieu, Huygens

Bild | Niemand weiß, was Huygens auf der Oberfläche von Titan erwartet – jedenfalls dürfte das Licht recht schummrig und rötlich scheinen, der Ausblick aber vielleicht nicht nicht ganz so malerisch sein wie auf dieser künstlerischen Illustration. Bei minus 180 Grad Celsius wird das elektrische System von Huygens nicht lange funktionsfähig bleiben – auch wenn der Lander den Aufprall überlebt hat oder nicht in einem tiefen Methansee untergegangen ist.
Eine halbe Stunde, vielleicht sogar etwas länger kann Menschenwerk wie Huygens auf Titans sondenfeindlicher Oberfläche leben – dann wird dem Lander bei etwa minus 180 Grad Außentemperatur für immer Saft und Stromkreis ausgehen. Cassini wird noch bis exakt 14.37 Uhr geduldig auf Lebenszeichen hören, dann aber schleunigst seine Antennen von der zu diesem Zeitpunkt hinter dem Horizont zurückbleibenden Landestelle abwenden und auf die Erde richten: Hier weiß schließlich noch niemand, wie die Mission von Atmosphäreneintritt bis zur harten Landung ausgegangen ist.

Erdzeit, 16.14 Uhr MEZ, 1,2 Milliarden Kilometer von Titan – Die Ausbeuteanalyse

Esa Kontrollzentrum | Auch im Hauptkontrollraum wird vor 16 Uhr MEZ niemand wissen, was mit Huygens passiert ist.
Die ersten Informationen von Huygens' Abenteuer sollten nach einer Datenübermittlungsdauer von 67 Minuten von lauschenden Radioteleskopen in Australien einfangen werden – die werden gute und schlechte Neuigkeiten dann sofort ins europäische Kontrollzentrum in Darmstadt übertragen. Irgendwann nach fünf Uhr nachmittags sollte das Schicksal der Sondenmission dann langsam klar werden – und die vor Ort vertretene Pressefotografenmeute kann Bilder von jubelnden oder trauernden Menschen im Kontrollraum einfangen. Erste Details dürften etwas später offiziell verkündet werden – bis aber alle Huygens-Daten und -Bilder aus Cassinis Zwischenspeicher übertragen sind, wird auf der Erde fast überall Wochenende sein.

Erdzeit ab 17.30 Uhr MEZ – Ergebnisse online

Die ersten Ergebnisse können Sie aber schon früher erwarten: Unsere Kollegen von Astronomie Heute berichten direkt von der Quelle. Fotos und Wissenswertes finden Sie direkt auf Astronomie Heute – und natürlich hier bei spektrumdirekt.

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