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News: Suche ohne Erinnerung

Menschen verbringen viel Zeit damit, nach Dingen zu suchen - von Wegweisern am Straßenrand und Autoschlüsseln bis hin zu Büchern auf Regalen und Gesichtern in einer Menge. Bei all diesen Aufgaben wendet sich die Aufmerksamkeit von einem Objekt im Gesichtsfeld zum nächsten, bis der gesuchte Gegenstand gefunden ist. Der gesunde Menschenverstand würde annehmen, daß sich das Gehirn als unpassend eingestufte Objekte merkt, so daß diese nicht wieder und wieder untersucht werden. Anscheinend irrt der gesunde Menschenverstand.

Bisher glaubte man, daß auch visuelle Suchaufgaben so gemeistert werden, wie ein ordentlicher Mensch ein Puzzle legt. Er vergleicht jedes Teilchen der Reihe nach mit dem Ziel. Paßt es nicht, legt er es getrennt von den anderen ab, damit er es nicht noch einmal in die Hand nimmt. Eine unordentliche Person würde die nicht passenden Puzzleteile wieder auf den großen Haufen zurücklegen und sie dann unweigerlich immer wieder kontrollieren. Diese planlose, "vergeßliche" Suchmethode erscheint unglaublich unneffizient. In Nature vom 6. August 1998 zeigen Todd Horowitz und Jeremy Wolfe vom Brigham and Women's Hospital und der Harvard Medical School jedoch, daß Menschen beim visuellen Suchen wohl tatsächlich so vorgehen.

Die Wissenschaftler ließen Versuchspersonen auf einem Computerbildschirm voller "L"s nach einem "T" suchen. Der gesuchte Buchstabe war allerdings nicht bei jedem Versuch auf dem Bildschirm sichtbar. Die Probanden hatten die Aufgabe, so schnell wie möglich festzustellen, ob das "T" unter den "L"s versteckt war oder nicht. Bei der ordentlichen, erinnerungsgestützten Methode würde die Suche umso länger dauern, je mehr Objekte man überprüfen müßte. Auch sollte es mehr Zeit in Anspruch nehmen, zu einem entschiedenen "Nein" zu finden als zu einem sicheren "Ja": Wenn ein "T" vorhanden war, mußte nicht immer der gesamte Bildschirm durchsucht werden, denn es konnte auch einmal ganz am Anfang stehen. Das Experiment bestätigte beide Annahmen.

Das Problem bei dieser speziellen Suchaufgabe war, daß die Buchstaben ungefähr neunmal pro Sekunde willkürlich neu geordnet wurden, so daß es unmöglich war, auf dem Laufenden zu bleiben. Für eine erinnerungsgestützte Suchstrategie wäre das verhängnisvoll. In der Untersuchung von Horowitz und Wolfe blieb die Effizienz der Suche jedoch bemerkenswert unverändert. Anscheinend benutzten die Versuchspersonen ihre Gedächtnis gar nicht.

Ist unsere Art, nach Dingen zu suchen, also uneffizient? Auf der Suche nach Autoschlüsseln, die sich ja selten fortbewegen, ist das anscheinend so. Die Forscher glauben jedoch, daß eine erinnerungsgestützte Suche dem Menschen in seiner biologischen Umwelt nicht sehr nützlich wäre. Dort springen dem Suchenden oft Merkmale wie Farbkontraste oder Bewegungen ins Auge. Das Gedächtnis mit solch unwichtigen Details zu belasten, wäre eine sinnlose Anstrengung. Gerade Farben und Bewegungen gehören zu den Informationen, die gleichzeitig im gesamten Gesichtsfeld rezipiert und vom Gehirn verarbeitet werden können. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und den komplexen Stimulus, der sie hervorbringt – und so eventuell auch in die Nähe der gesuchten Objekte (Guided Search model).

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