Evolution: Dieser Einzeller lebt wie ein Virus

Ein winziger Parasit schiebt die Grenze zwischen Leben und Nichtleben weit in eine umstrittene Grauzone hinaus. Denn der Einzeller Sukunaarchaeum mirabile verhält sich wie ein Virus: Sein Erbgut beschränkt sich fast vollständig auf Gene, die seiner seiner eigenen Vervielfältigung dienen. In einer noch ungeprüften Vorabveröffentlichung berichtet eine Arbeitsgruppe um Ryo Harada von der Dalhousie University in Halifax, dass Sukunaarchaeum nahezu seinen gesamten Stoffwechsel an seinen Wirtsorganismus ausgelagert habe – selbst ein Einzeller, der zur Gruppe der Dinoflagellaten gehört. Es gibt zwar andere Einzeller, die vergleichbar reduziert sind, doch diese übernehmen bestimmte Stoffwechselfunktionen für den Wirtsorganismus. Bei dem neu entdeckten Mikroorganismus gibt es dafür nach Angaben der Arbeitsgruppe keine Anzeichen. Damit ist er mutmaßlich ein Parasit und ähnelt eher den Viren – die erste zelluläre Lebensform, die eine solche Strategie evolviert hat.
Ursprünglich untersuchte das Team die Gemeinschaft symbiotischer Bakterien, die mit dem Dinoflagellaten Citharistes regius zusammenlebt. Dabei stieß es jedoch auf sehr ungewöhnliche Erbgutschnipsel. Sie gehörten nicht zu einem Bakterium, sondern zu einer Archäe – einer Art von Einzeller, die äußerlich Bakterien ähnelt, jedoch ein separater, eigenständiger Zweig des Lebens ist. Doch die eigentliche Überraschung war, wie viel in diesem neuen Genom fehlt: eigentlich alles. Mit einer Länge von rund 238 000 Bausteinen ist es kleiner als das Genom mancher Viren. Unter den zellulären Organismen haben nur diejenigen kleinere Genome, die weit auf dem Weg zum Endosymbionten, einem festen Teil ihres Wirts, fortgeschritten sind. Doch solche Lebewesen enthalten noch jenen Stoffwechselweg, den sie eben zu ihrem Wirtsorganismus beitragen. Sukunaarchaeum dagegen trägt wohl nur zu seiner eigenen Vermehrung bei – er ist ein Parasit.
Genetisch ähnelt der Organismus damit auch den Viren, den ultimativen Parasiten. Der Einzeller frisst nicht und atmet nicht. Das Erbgut enthalte nahezu keine Gene, die mit dem Stoffwechsel zusammenhängen, berichtet die Arbeitsgruppe. Alles, was er braucht, besorge er sich von der Wirtszelle, eben wie ein Virus. Allerdings gibt es einen grundlegende Unterschied zwischen Viren und dem kuriosen Sukunaarchaeum: Während Viren die biochemischen Maschinen ihrer Wirtszelle kapern, um ihr eigenes Erbgut zu vervielfältigen, besitzt der Parasit noch alle Enzyme, um sein eigenes Genom zu verdoppeln. Daneben gibt es Indizien, dass er auch seine eigene Zellmembran unabhängig von der Wirtszelle herstellt. Damit ist der Parasit keineswegs das fehlende Glied zwischen Bakterien und Viren. Er ist zwar ebenfalls eine extrem reduzierte Lebensform – aber eben auf völlig andere Weise.
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