Pioniere der Sternexplosionen: Die historische Supernova des Jahres 1885

Am Donnerstag, den 20. August 1885, machte der damals erst 34-jährige Ernst Hartwig am Observatorium in Dorpat, dem heutigen Tartu in Estland, eine Entdeckung, die seinen Platz in den Geschichtsbüchern der Astronomie sicherstellte (siehe »Der Supernova-Pionier«).
Geboren am 14. Januar 1851 in Frankfurt am Main, hatte Hartwig nach seiner Schulzeit in Frankfurt und Nürnberg Mathematik, Physik und Astronomie in Erlangen, Leipzig, Göttingen und München studiert und war dann 1874 nach Straßburg gezogen. Dort hatte die deutsche Besatzungsmacht des Elsass nach dem Krieg gegen Frankreich 1870/71 an der Universität eine moderne Sternwarte errichtet. Hartwig arbeitete in Straßburg zunächst als Gymnasiallehrer, bevor er eine Assistentenstelle an der Universität erhielt. Seine Aufgabe war die Vermessung der Daten des Durchgangs der Venus vor der Sonne im Jahr 1872. Da er dazu das dabei benutzte Teleskop gut verstehen musste, führte Hartwig sehr viele Beobachtungen durch, bei denen er unter anderem am 27. August 1879 den Kometen C/1879 Q2 (Hartwig) entdeckte und die Mondlibrationen vermaß. Letztere waren das Thema seiner von August Winneke betreuten Dissertation im Jahr 1880. Kurz danach fand Hartwig seinen zweiten Kometen namens C/1880 S1 (Hartwig).
Das Heureka-Erlebnis
Hartwig wollte in der Wissenschaft bleiben, aber schon damals war die Stellensituation für Wissenschaftler sehr schlecht. Der erhaltene Briefwechsel deutscher Astronomen belegt jedoch, dass Hartwig in der Wissenschaft gut bekannt war, sodass er von Arthur Auwers (Berlin) gebeten wurde, eine der vier deutschen Expeditionen zur Beobachtung des Durchgangs der Venus vor der Sonne im Jahr 1882 zu leiten. Die von Hartwig geführte Expedition brachte ihn nach Bahía Blanca, Argentinien.
Wieder in Straßburg angekommen, fand Hartwig eine in Auflösung befindliche Arbeitsgruppe vor, da August Winneke aus Krankheitsgründen nicht mehr in der Lage war, seine Arbeit zu verrichten. Nachdem andere Mitarbeiter ebenfalls Straßburg verlassen hatten und sich lokal niemand mehr für ihn einsetzen konnte, nahm Hartwig 1884 eine besser bezahlte Stelle am russischen Observatorium in Dorpat an.
Dort führte Hartwig verschiedene Beobachtungen durch und muss wohl auch Bekannten die Sterne durch das Teleskop gezeigt haben. Am besagten 20. August 1885 hatte Hartwig den Philosophieprofessor Gustav Teichmüller und Mathilde Boettcher, geb. Neumann, die Frau des Medizinprofessors Jakob Boettcher, mit ihren Kindern zu Besuch. Wie Hartwig im Jahr 1920 beschrieb, hatte sich die Gruppe um die Kant-Laplace-Theorie der Entstehung der Sterne aus Gaswolken unterhalten. Um diese zu illustrieren, stellte Hartwig im großen Refraktor der Sternwarte – einem Refraktor mit neun Zoll Öffnung – den Andromedanebel ein, um sehr überrascht auszurufen: »Da ist schon die Zentralsonne im Nebel!«
Hartwig war klar, dass es sich hier um ein neues Phänomen gehandelt haben musste, da er neun Tage vorher ebenfalls mit Teichmüller den Andromedanebel beobachtet und das Objekt nicht gesehen hatte. Aufgrund von Vollmondschein und schlechtem Wetter erlaubte es der Direktor der Sternwarte, Ludwig Schwarz, nicht, die Entdeckung bekanntzumachen. Hartwig konnte erst am 27. August mit einem 3-Zoll-Refraktor, der Teichmüller gehörte, die Existenz des Objekts verifizieren, beobachtete dann seine Entwicklung mehrfach bis zum 31. August, wobei er feststellte, dass der Stern schnell lichtschwächer wurde. Er erhielt jetzt endlich die Erlaubnis, die Entdeckung der astronomischen Gemeinschaft über ein Telegramm an die Zentralstelle für Astronomische Telegramme in Kiel mitzuteilen. Das von ihm entdeckte Objekt wird heute S Andromedae (S And) genannt.
Ein kurioser Postraub
Direkt nach dem ersten Telegramm verfasste Hartwig am 1. September 1885 eine längere Veröffentlichung seiner Beobachtungen für die Fachzeitschrift »Astronomische Nachrichten«, die er am 2. September 1885 in den Briefkasten des nach Pleskau abfahrenden Dampfers einwarf. Ferner schickte er am 3. September eine Kurzmitteilung mit Ankündigung des Manuskripts per Postkarte an die »Astronomischen Nachrichten«. Es muss Hartwig sehr überrascht haben, dass die in der Ausgabe des 14. September 1885 der »Astronomischen Nachrichten« abgedruckte Veröffentlichung, die am 21. September 1885 in Dorpat eintraf, den Text seiner Postkarte und nicht die ausführliche Beschreibung der Beobachtungen enthielt. Sein Manuskript war nie angekommen. Hartwig hatte einen Abdruck behalten, den er sofort an die »Astronomischen Nachrichten« schickte, wo sie schließlich vier Ausgaben später erschien. Es stellte sich heraus, dass eine unbefugte Person den Briefkasten des Dampfers regelmäßig geleert hatte, um die Briefmarken zu stehlen.
Wegen der zunächst durch Schwarz und dann den Dieb verursachten Verzögerung bei der Veröffentlichung gab es in den folgenden Wochen und Jahren unangenehme Versuche, Hartwig die erste Entdeckung von S And abzusprechen. Wie Gérard-Henri de Vaucouleurs und Harold Corwin im Jahr 1985 zeigen konnten, sind die von anderen publizierten Informationen jedoch nicht mit einer Supernova vereinbar. Ernst Hartwig ist daher der erste Entdecker einer extragalaktischen Supernova und reiht sich in Pioniere wie Tycho Brahe und Johannes Kepler ein. Mit seiner Leistung hat er es auch als einer der wenigen Astronomen in die Popkultur geschafft und wird bespielsweise im Kultcomic »Watchmen« von Alan Moore erwähnt.
Die Entdeckung von S And war für Hartwig das Ticket für eine bessere Stelle: Am 18. Dezember 1885 nahm er die Direktorenstelle der neugegründeten Dr. Karl Remeis-Sternwarte in Bamberg an, die er am 15. Januar 1886 erreichte und wo er bis zu seinem Tod am 3. Mai 1923 wirkte (siehe »Observatorium in Bamberg«).
Was ist eine Supernova?
Eine Supernova, wie sie von Ernst Hartwig beobachtet wurde, ist ein plötzliches, helles Aufleuchten am Himmel, das durch die Explosion am Ende des Entwicklungswegs eines Sterns verursacht wird. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder hat der Stern eine große Masse, und in seinem Zentrum findet Kernfusion von Wasserstoff zu Helium, von Helium zu Kohlenstoff und so weiter statt, bis sich ein Eisenkern gebildet hat. Danach kann keine weitere Kernfusion stattfinden, und der Kern kollabiert. Dies wiederum verursacht ein explosives Hinausschleudern der Sternmaterie, die als Kernkollaps-Supernova zu sehen ist. Bei der zweiten Art ist es eine Explosion am Ende der Entwicklung eines Doppelsternsystems aus zwei massearmen Sternen. Einer der beiden Sterne entwickelt sich zu einem Weißen Zwerg und kommt seinem Partner sehr nahe, sodass Materie vom Begleitstern auf den Weißen Zwerg fällt. Die Materie sammelt sich auf der Oberfläche des Weißen Zwergs, bis die Dichte und die Temperatur so hoch werden, dass ein explosives Brennen gezündet wird. Dies führt zu einer thermonuklearen Supernova, in welcher der Weiße Zwerg zerrissen wird.
Bei einer Supernova-Explosion werden Neutrinos, Licht und die Sternmaterie herausgeworfen. Insgesamt wird sehr viel Energie freigesetzt, sodass die Supernova noch Monate später am Himmel zu sehen ist. Außerdem entsteht durch die Explosion eine starke Stoßwelle, die sich zu Beginn mit etwa einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit ausbreitet. Diese Stoßwelle läuft durch das Gas direkt um den explodierten Stern und weiter in das umgebende Gas im interstellaren Medium (siehe »Junger Supernova-Überrest«).
Dadurch wird das umgebende Gas zum Leuchten angeregt, und die Supernova wird mehrere Jahrzehnte nach der Explosion wieder sichtbar. Infolge des Durchlaufens der Stoßfront wird das Gas zu Temperaturen von ein bis zehn Millionen Grad erhitzt und ionisiert. So entsteht eine sich ausbreitende, mit heißem Plasma gefüllte Blase, die als Supernova-Überrest (englisch: supernova remnant, SNR) bezeichnet wird. Die Stoßfront sammelt mit der Zeit das kältere umgebende interstellare Medium auf und formt eine äußere Schale, während die im Inneren befindliche Sternmaterie ebenfalls aufgeheizt wird. Aufgrund der großen Menge an Energie, die in einer Supernova-Explosion freigesetzt wird, breiten sich Supernova-Überreste über mehrere tausend bis zehntausend Jahre aus, bis sie nach etwa 100 000 Jahren in das interstellare Medium übergehen.
100 bis 150 Jahre später
Bei Hartwigs Supernova nimmt man an, dass es sich um eine Explosion eines Weißen Zwergs gehandelt hat, wie Helligkeitsmessungen in den Monaten nach der Entdeckung zeigten (Gaposchkin 1936; de Vaucouleurs & Corwin 1985; van den Bergh 2002). Da sich die Supernova nicht in unserer Milchstraße, sondern in der nächsten großen Spiralgalaxie, der Andromedagalaxie (Messier 31), mit einer Entfernung von etwa 2,5 Millionen Lichtjahren ereignet hat, war sie schon kurze Zeit nach der Explosion nicht mehr zu sehen. Erst 100 Jahre später wurde von der Detektion der optischen Emission vom Überrest der Supernova von 1885 mit dem 4-Meter-Teleskop am Kitt Peak National Observatory in den USA (Fesen et al. 1989) berichtet. In den Daten konnte ein Team um Robert Fesen im Jahr 1989 das chemische Element Eisen nachweisen, das in der Supernova-Explosion gebildet worden sein muss. Wiederum zehn Jahre später wurden mit dem Weltraumteleskop Hubble Kalzium und Eisen im Supernova-Überrest von Hartwigs Supernova nachgewiesen (Fesen et al. 1999). Der Supernova-Überrest hatte zu dem Zeitpunkt eine Ausdehnung von (0,70 ± 0,05) Bogensekunden, was einer physikalischen Ausdehnung von 2,6 Parsec oder rund 8,5 Lichtjahren bei einer Entfernung von 780 Kiloparsec (2,5 Millionen Lichtjahren) entspricht. Zum Vergleich: Der nächste Stern, Proxima Centauri, ist 1,3 Parsec (4,2 Lichtjahre) von uns entfernt. Die gemessene Expansionsgeschwindigkeit des Supernova-Überrests beträgt (13 000 ± 1500) Kilometer pro Sekunde – etwa vier Prozent der Lichtgeschwindigkeit.
Sobald die Stoßfront einer Supernova-Explosion genügend Gas in der Umgebung und die herausgeschleuderte Sternmaterie aufgeheizt hat, emittiert der Supernova-Überrest aufgrund der inneren Temperatur von mehr als 1 000 000 Grad hauptsächlich Röntgenstrahlung. Da sich Hartwigs Supernova jedoch außerhalb des Milchstraßensystems bei einer großen Entfernung ereignet hat, ist die Strahlung im Vergleich zu Supernova-Überresten in unserer Galaxis viel schwächer. Um den Überrest der Supernova, die vom ersten Direktor der Dr. Karl Remeis-Sternwarte in Bamberg entdeckt wurde, nachzuweisen, hat die Bachelorstudentin Marie Prucker die Daten vom Röntgenobservatorium Chandra der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA analysiert (Prucker et al. 2025). Chandra ist ein Weltraumteleskop, das seit 1999 in Betrieb ist und insbesondere mit einer hochauflösenden Röntgenkamera, der High Resolution Camera (HRC), ausgestattet ist. Der Himmelsausschnitt, in dem Hartwigs Supernova gesehen wurde, ist mit Chandras HRC in den Jahren von 2001 bis 2012 mit einer Gesamtbelichtungsdauer von 940 000 Sekunden, also ungefähr 260 Stunden, beobachtet worden. Durch das Aufaddieren aller Beobachtungsdaten gelang es, eine Röntgenquelle an der Stelle der Supernova-Explosion nachzuweisen (siehe »Das Überbleibsel im Röntgenbereich«).
Die gemessene Emission ist allerdings schwächer als die Emission, die von einem Supernova-Überrest nach etwa 130 Jahren theoretisch erwartet wird. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Es kann einerseits darauf hindeuten, dass sich der Supernova-Überrest in einem Teil der Andromedagalaxie befindet, in dem es dichte interstellare Wolken oder eine dichte Gasverteilung gibt, sodass die Röntgenstrahlung stark absorbiert wird und nicht zu uns durchdringen kann. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass sich die Supernova im Halo der Andromedagalaxie ereignet hat, in dem die Gasdichte deutlich niedriger ist als in der galaktischen Scheibe, was auch zu einer niedrigen Leuchtkraft des Supernova-Überrests führen kann. Künftige Beobachtungen mit höherer Empfindlichkeit und Auflösung sind notwendig, um die Emission des Supernova-Überrests, seine Entwicklung und die Art der von Ernst Hartwig beobachteten Supernova zu entschlüsseln.
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