Evolution: Superschwerkraft lässt Moos besser wachsen

Die Schwerkraft ist nicht unser Freund. Schon die ganz normale Erdbeschleunigung kann sehr unangenehm sein, wenn man das Gleichgewicht verliert – und mehr als etwa die fünffache Erdbeschleunigung vertragen wir selbst in stabiler Seitenlage nur für kurze Zeit. Ganz anders dagegen verhält es sich beim Kleinen Blasenmützenmoos (Physcomitrium patens). Dieses kleine Pflänzchen fühlt sich erst richtig wohl, wenn wir schon längst platt sind. Wie eine Arbeitsgruppe um Yuko Hanba vom Kyoto Institute of Technology herausfand, wächst das Moos bei sechs- bis zehnfacher Erdbeschleunigung am besten. Für die jetzt in der Fachzeitschrift »Science Advances« veröffentlichte Untersuchung ließ das Team Moos in Zentrifugen bei drei-, sechs- und zehnfacher Erdbeschleunigung wachsen. Anschließend identifizierte es die Gene, die hinter dem höheren Wachstum stecken. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, wie sich Pflanzen womöglich einst an das Leben an Land anpassten und wie man Nutzpflanzen für die Raumfahrt optimieren könnte.
Das Kleine Blasenmützenmoos dient in der Pflanzenforschung oft als Modellorganismus, weil es recht schnell wächst. An ihm untersuchten die Fachleute nun einen der entscheidenden Momente der Evolution. Bereits vor 500 Millionen Jahren nämlich besiedelten die ersten Pflanzen die Ufer der Kontinente. Und damit begann der Ärger mit der Schwerkraft. Im Wasser nämlich reicht ein bisschen Auftrieb, um zuverlässig zum Licht zu wachsen; an Land dagegen muss eine Pflanze sich hochstemmen. Entsprechend veränderte sich die Anatomie der Pflanzen deutlich, und dieses gemeinsame Erbe aller Landpflanzen steckt bis heute in ihrem Genom. Die Arbeitsgruppe um Hanba nutzte die verstärkte Schwerkraft, um Gene zu identifizieren, die bei höherer Schwerebeschleunigung aktiver werden – und diese Funktion womöglich schon in ferner Vergangenheit hatten.
Dabei stieß das Team auf IBSH1, einen Transkriptionsfaktor, der andere Gene reguliert – und bei zehnfacher Erdschwerkraft in besonders großer Menge gebildet wird. Dieses Molekül sorgt dafür, dass das Kleine Blasenmützenmoos unter diesen Bedingungen größere Chloroplasten bildet und besser CO2 aufnimmt. Dadurch treibt es effektiver Fotosynthese und bildet mehr Pflanzenmasse – auch wenn, wenig überraschend, die Stämmchen kürzer sind. Dass das Moos bei extremer Schwerkraft besser zu gedeihen scheint als unter irdischen Bedingungen, ist allerdings kein Hinweis darauf, dass es diese Eigenschaften einst auf einer fernen Supererde mit deutlich größerer Schwerebeschleunigung evolvierte. Vermutlich haben die in der Studie beobachteten Veränderungen durch IBSH1 schlicht langfristige Nachteile, die verhindern, dass bei Erdschwerkraft mehr des Transkriptionsfaktors produziert wird.
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