Rätsel der Kosmologie: Supraleitung inspiriert neuen Kandidaten für Dunkle Materie

Seit mindestens einem halben Jahrhundert fragen sich Physikerinnen und Physiker, warum sich vieles im Universum nicht ohne die Existenz einer für uns Menschen unsichtbaren Form der Materie erklären lässt, die so genannte Dunkle Materie. Sie muss – da sind sich die meisten Experten einig – die Entwicklung des Kosmos, die Entstehung der darin enthaltenen Großstrukturen und die Bildung von Galaxien und Galaxienhaufen entscheidend prägen und geprägt haben. Fachleute schätzen, dass gut 85 Prozent der Gesamtmasse des Universums aus Dunkler Materie bestehen. Doch bislang verlief die Suche nach den theoretisch vorhergesagten Kandidaten für die Substanz, so genannten WIMPs, Axionen und Machos, ergebnislos.
Nun liegt ein neuer Vorschlag auf dem Tisch: Guanming Liang und Robert Caldwell vom Darthmouth College in New Hampshire postulieren im Fachmagazin »Physical Review Letters«, dass sich Dunkle Materie aus »primordialen« Fermionen – masselosen, lichtschnellen Teilchen, die direkt nach dem Urknall die »kosmische Ursuppe« dominierten – gebildet haben könnte. Demzufolge begann die Entwicklung der Dunklen Materie in der Hitze der ersten Sekundenbruchteile nach dem Urknall. In dieser Umgebung verhielten sich die primordialen Fermionen zunächst wie alle anderen im Standardmodell enthaltenen Teilchen. Doch als das Universum sich abkühlte, fingen die Fermionen an zusammenzustoßen und bildeten Paare. Die Art der Paarbildung ähnelt den so genannten Cooper-Paaren, zu welchen sich Elektronen in Supraleitern zusammenfinden und so einen widerstandsfreien Stromtransport ermöglichen.
Caldwell und Liang orientieren sich an der Theorie der Supraleitung und der Existenz solcher Cooper-Paare, um zu erklären, wie sich die primordialen Fermionen zu Dunkler Materie verdichten könnten. Durch die Paarbildung könnten die Teilchen demnach einen Phasenübergang durchlaufen, der sie abkühlt und zu einem massiven Kondensat führt. Das haben die Forscher mit einem mathematischen Modell nachgebildet. »Der unerwartetste Teil unseres Modells war der Energieeinbruch, der die Brücke bildet zwischen den Teilchen hoher Dichte und hoher Energie am Anfang des Universums und den ›klumpigen‹ Teilchen weit niedriger Energie etwas später«, erklärt Liang laut einer Pressemitteilung seiner Universität. In diesem Stadium sei es so, als würden sich die Fermionen-Paare darauf vorbereiten, zu Dunkler Materie zu werden.
Laut Liang und Caldwell stimmt das Verhalten der Fermionen mit dem der kalten Dunklen Materie überein, wie sie im aktuellen Standardmodell der Kosmologie beschrieben wird. Außerdem folge aus diesem Szenario ein leichtes Ungleichgewicht zwischen Fermionen mit unterschiedlichen Chiralitäten (Links- und Rechtshändigkeit), was den Überschuss von Materie gegenüber Antimaterie im Universum erklären könnte – eine Frage, die Fachleute seit Jahrzehnten umtreibt. Und noch viel wichtiger: Das Modell und die zu Grunde liegende Theorie könnten sich in nicht allzu ferner Zukunft überprüfen lassen. Denn die Fermionen müssten eindeutige, möglicherweise beobachtbare Signaturen in der kosmischen Hintergrundstrahlung hinterlassen haben.
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