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CERN: SUSY kollidiert mit Daten aus Teilchenbeschleuniger

Die Supersymmetrie könnte gleich eine Reihe von Problemen in der Teilchenphysik lösen. Doch auch im weltweit größten Beschleuniger fehlt bislang jede Spur der postulierten "Superteilchen". Damit gerät die Theorie mehr und mehr in Bedrängnis.
ATLAS-Experiment
"Wunderbar, wunderschön und einzigartig", so beschreibt Gordon Kane die Theorie der Supersymmetrie. Kane, Physiker an der University of Michigan in Ann Arbor, hat rund 30 Jahre an dieser Theorie gearbeitet und glaubt wie auch viele andere, sie könne eine Reihe von Problemen in der Teilchenphysik lösen und damit unser Verständnis der subatomaren Welt vorantreiben.

Atlas-Detektor | Der Atlas-Detektor (A Toroidal LHC Apparatus) wirkt im Vergleich zu Menschen als Riese – auch wenn er sich auf diesem Bild vom November 2007 noch im Bau befindet.
Doch es wächst die Sorge, dass die Theorie – so elegant sie auch sein mag – falsch sein könnte. Daten aus dem Large Hadron Collider (LHC) zeigen bisher jedenfalls keine einzige Spur der vorhergesagten "Superteilchen" [1-3]. "Wir bringen die Supersymmetrie in die Klemme", sagt Teilchenphysiker Chris Lester von der University of Cambridge in Großbritannien, der am ATLAS-Detektor am LHC mitwirkt. Sowohl im ATLAS- als auch im CMS-Experiment, ebenfalls ein riesiger Teilchendetektor am LHC, haben Wissenschaftler im vergangenen Jahr nach den Superteilchen gejagt. Und sie wollen weitere Daten sammeln, wenn die Protonen im Beschleuniger in den nächsten Wochen mit noch höheren Energien aufeinander prallen. Findet man in den Nachweisgeräten bis zum Jahresende keine Spuren der Superteilchen, könnte die Theorie in ernsthafte Schwierigkeiten geraten.

Die Theorie der Supersymmetrie, kurz SUSY, entstand in den 1970er Jahren. Mit ihr ließ sich ein großes Manko des "Standardmodells der Teilchenphysik", das alle Elementarteilchen und deren Wechselwirkungen beschreibt, umgehen. Jedes vom Standardmodell vorhergesagte Teilchen konnte bisher gefunden werden, mit einer Ausnahme: dem Higgs-Boson, das allen anderen Partikeln ihre Masse verleihen soll.

Das Higgs ist also entscheidend für die Theorie, nur leider unterliegt seine theoretisch vorhergesagte Masse starken Schwankungen, verursacht durch Quanteneffekte von anderen Elementarteilchen. Diese Fluktuationen können die prognostizierte Higgs-Masse so weit erhöhen, dass einige Elementarteilchen viel schwerer wären, als sie es tatsächlich sind – und damit das Standardmodell verletzen.

Spuren des Higgs-Bosons | Laut Computersimulationen könnte sich ein Higgs-Teilchen mit diesen Spuren im Detektor bemerkbar machen.
Physiker sind zwar in der Lage, diese Schwankungen aus ihren Gleichungen zu beseitigen, doch dafür müssen sie die Higgs-Masse auf einen sehr genauen Wert festlegen. Wäre das Teilchen einen Bruchteil schwerer oder leichter, würde das gesamte Theoriegebäude in sich zusammenstürzen. Viele Physiker sind unzufrieden mit einer Theorie, die einer solchen Feinabstimmung bedarf.

SUSY bietet eine Alternative. Die Theorie postuliert, dass jedes Teilchen einen massereicheren supersymmetrischen Partner besitzt. Diese sind in vielen Fällen instabil und treten nur selten mit normaler Materie in Wechselwirkung. Doch ihre Quantenfluktuationen heben sich gerade mit denen der regulären Elementarteilchen auf, wodurch die für das Higgs-Boson veranschlagte Masse in einen akzeptablen Bereich zurückkehrt.

Daneben lassen sich mit SUSY auch noch ganz andere Probleme lösen: Einige der leichtesten supersymmetrischen Teilchen könnten beispielsweise hinter der "Dunklen Materie" stecken, die Kosmologen seit den 1930er Jahren vergebens suchen. Obwohl noch niemand die mysteriöse Materie nachgewiesen hat, sollen rund 83 Prozent der Materie im Universum aus diesem Stoff bestehen – das legen unter anderem Beobachtungen von Galaxienbewegungen nahe.

SUSY eignet sich auch dazu, abgesehen von der Gravitation alle Grundkräfte bei hohen Energien in eine einzige Kraft zu überführen. Damit gelingt ein großer Schritt in Richtung einer "Theorie von Allem", die die gesamte bisher bekannte Physik vereinigt und erklärt – eines der höchsten Ziele der Wissenschaft. Und vielleicht am wichtigsten für einige Theoretiker: "SUSY ist mathematisch ausgesprochen schön", so Ben Allanach von der University of Cambridge.

Detektor | Der 6000 Tonnen schwere Partikeldetektor des Tevatron analysiert die Teilchen, die während der Proton-Antiproton-Kollisionen entstehen.
Ihre Nützlichkeit und ihr mathematischer Anmut haben regelrecht zu einer "religiösen Hingabe" unter den Anhängern von SUSY geführt, meint der Theoretiker Adam Falkowski von der Université Paris-Sud. In den großen Teilchenbeschleunigern dieser Welt gab es bislang aber keine direkten Beweise für die von der Theorie vorhergesagten Superteilchen. Das Tevatron am Fermi National Accelerator Laboratory in Batavia, Illinois, hat beispielsweise bei Energien von bis zu 379 Gigaelektronenvolt keine Anzeichen von supersymmetrischen Quarks, auch Squarks genannt, gefunden.

Mit dem LHC sammeln Forscher nun auch Daten bei höheren Energien und schließen damit immer mehr potenzielle Masseregionen für die Superteilchen aus. Und das bringt SUSY zunehmend in Bedrängnis: Steigt die Masse der Superteilchen nämlich zu sehr an, gleichen sie die störenden Quantenfluktuationen nicht mehr perfekt aus – und das war ja ihre Aufgabe. Zwar können Theoretiker SUSY auch in diesem Fall am Laufen halten, doch dafür müssen sie sehr konkrete Massen für die Superteilchen annehmen. Es wäre also wieder eine Feinabstimmung nötig, die man mit Einführung dieser Theorie ja eigentlich verhindern wollte.

Je mehr Daten die Forscher am LHC sammeln, desto stärker müssen die hypothetischen Massen der Superteilchen in SUSY eingegrenzt werden. Bisher hat der Beschleuniger am CERN die Massengrenze des Tevatrons verdoppelt, doch auch bei Energien von bis zu 700 Gigaelektronenvolt gab es keine Hinweise auf Squarks. Am Ende des Jahres soll der LHC die 1000 Gigaelektronenvolt-Grenze erreichen – dann könnten auch einige der beliebtesten Varianten der Supersymmetrie ausscheiden.

Das CMS-Experiment am CERN | Das CMS-Experiment ist ein Teilchendetektor des Large Hadron Collider am CERN. In seinem Herzen stoßen Protonen mit einigen Teraelektronvolt Kollisionsenergie zusammen. Dabei entstehen neue Teilchen, die in alle Richtungen davonfliegen und vom CMS-Detektor nachgewiesen werden.
"Ich würde nicht sagen, dass ich mir Sorgen mache", sagt John Ellis vom CERN, der jahrzehntelang an der Supersymmetrie gearbeitet hat. Der theoretische Physiker will noch bis Ende 2012 abwarten – wenn etliche Messungen bei hohen Energien abgeschlossen sind –, bevor er SUSY aufgibt. Falkowski, ein langjähriger Kritiker der Theorie, wertet den fehlenden Nachweis dagegen bereits jetzt als Todesurteil für SUSY.

"Insgeheim denken viele Leute, dass SUSY in keiner besonders guten Lage ist", sagt Alessandro Strumia, Theoretiker an der Università di Pisa in Italien. Kürzlich veröffentlichte er eine Studie darüber, wie sich die jüngsten LHC-Ergebnisse auf das Problem der Feinabstimmung auswirken [4]. "Das ist ein großes Politikum in unserem Fachgebiet", ergänzt Strumia. "Für einige bedeutende Physiker geht es um nichts Geringeres als entweder einen Nobelpreis zu gewinnen oder aber zu erkennen, dass sie sich ihr ganzes Leben lang auf dem Holzweg befanden." Ellis stimmt zu: "Ich arbeite nun seit fast 30 Jahren an der Theorie – und ich kann mir vorstellen, dass einige Leute langsam ein wenig nervös werden."

"Viele Dinge werden sich ändern, wenn wir SUSY nicht bestätigen können", sagt Lester. Theoretische Physiker müssen wieder zu ihrem Reißbrett zurückkehren und einen alternativen Weg finden, um die Mängel des Standardmodells zu beheben. Das sei aber nicht zwingend eine schlechte Sache, fügt er hinzu: "Für die Teilchenphysik als Ganzes wird es wirklich spannend."

Maike Pollmann

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