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Täuferreich: Als religiöse Fanatiker ganz Münster in einen Gottesstaat verwandelten

In einer Zeit voller Umbrüche prophezeiten die Wiedertäufer das Ende der Welt. Und stellten dann vor fast 500 Jahren in Münster das Leben der Menschen radikal auf den Kopf.
Ein historisches Gemälde zeigt eine Gruppe von Menschen, die sich um einen Mann in einem weißen Gewand und rotem Umhang versammelt haben. Der Mann steht mit erhobenen Armen vor einem Gebäude, während die umstehenden Personen unterschiedliche Emotionen zeigen, von Anbetung bis zu Erstaunen. Im Hintergrund sind mittelalterliche Gebäude und ein Turm zu sehen. Die Szene vermittelt eine feierliche und bedeutungsvolle Atmosphäre.
Jan van Leiden tauft ein junges Mädchen, das vor ihm kniet. Der Anführer der Wiedertäufer ist in dem Gemälde von Johann Carl Baehr aus dem Jahr 1840 von betenden Anhängern umgeben. Das Täuferreich von Münster bestand von 1534 bis 1535.

Den Untergang des Täuferreichs haben seine Propheten nicht vorhergesehen. Zwar hatten sie das unmittelbar bevorstehende Ende der Welt verkündet, auch sagten sie, die Wiederkunft Christi sei nah und die Getauften würden in ein Paradies auf Erden eingehen. Doch all das trat nicht ein. Stattdessen brach Ende Juni 1535 in Münster die Hölle über die Täufer herein.

Nach monatelanger Belagerung war es den Söldnern des katholischen Landesherrn Fürstbischof Franz von Waldeck (1491–1553) gelungen, in der Nacht auf den 25. Juni in die Stadt einzudringen. Sie fielen gnadenlos über die Verteidiger Münsters her, die von einer Hungersnot stark geschwächt waren. Mehr als 600 Frauen und Männer wurden niedergemetzelt, hunderte mehr in den folgenden Tagen und Wochen. Die überlebenden Anführer der Bewegung, die 16 Monate lang Münster beherrscht und dem Bischof getrotzt hatten, wurden gefangen genommen, vorgeführt, verhört, gefoltert, abgeurteilt und hingerichtet. Ihre leblosen geschändeten Körper überließ man den Vögeln zum Fraß – nichts sollte übrig bleiben vom Täuferreich als die ausgebleichten Knochen seiner Hauptleute.

Nur anderthalb Jahre zuvor, im Januar 1534, waren zwei Abgesandte des täuferischen Propheten Jan Mathijs (1500–1534) in Münster aufgetaucht. Sie hatten das nahe Ende der Welt gepredigt und erste Taufen an Erwachsenen vorgenommen. Binnen weniger Wochen war es den Täufern gelungen, die Stadt völlig unter ihre Kontrolle zu bringen. Kaum waren sie an der Macht, stellten sie auf beispiellose Weise die herrschende Ordnung auf den Kopf.

Sittenstreng, reformatorisch, radikal

Entstanden war die radikalreformatorische Täuferbewegung Mitte der 1520er Jahre in Zürich. In Erwartung der nahen Wiederkunft Christi auf Erden predigten ihre sittenstrengen Anhänger die Abkehr von der Welt. Sie sahen sich in der Nachfolge Jesu, eiferten dem Vorbild der Urgemeinde nach, pflegten Gütergemeinschaft und betrachteten sich selbst als Auserwählte Gottes. Zudem verlangten sie eine wortgetreue Auslegung des Neuen Testaments.

Da das Evangelium von keiner Säuglingstaufe berichtet, lehnten sie diese strikt ab und bestanden auf der Erwachsenentaufe als Ausdruck einer bewussten Bekehrung und eines aktiven Bekenntnisses zu Gott. Ihren katholischen und lutherischen Gegnern galten die Täufer deshalb als Ketzer, da sie in gotteslästerlicher Weise ein zweites Mal, also: wieder getauft wurden – weshalb sie diese als Wiedertäufer schmähten.

Die Bewegung stand von Anfang an unter dem Verdacht, einen Umsturz zu planen. Auch weil sie jedwede weltliche und kirchliche Autorität ablehnte. Sowohl von katholischer als auch lutherischer Seite wurden die Täufer deshalb verfolgt, viele von ihnen eingekerkert oder hingerichtet. Dennoch verbreiteten sich ihre Lehren innerhalb kürzester Zeit weit über die Grenzen der Schweiz hinaus. Im religiös toleranten Straßburg und den Niederlanden entstanden Zentren der Bewegung, aber ebenso in zahlreichen deutschen Städten bildeten sich Täufergemeinden. Daraufhin beschloss der Reichstag zu Speyer 1529 das »Wiedertäufermandat«, mit dem Spende und Empfang der Erwachsenentaufe unter Todesstrafe gestellt wurden.

Medaillon | Die handtellergroße Plakette zeigt ein Bildnis von Jan van Leiden – als König der Stadt Münster, so die Inschrift auf dem Objekt aus den Jahren 1534 bis 1535.

Ständig der Verfolgung ausgesetzt zu sein, bestärkte die Täufer in ihrem Glauben, Gottes Auserwählte zu sein, die sein bevorstehendes Strafgericht unbeschadet überstehen würden. Dass der Tag des Gerichts schon sehr bald kommen würde, davon waren sie überzeugt – und standen damit in Europa am Anfang des 16. Jahrhunderts nicht allein da. Der Glaube an die baldige Wiederkunft Jesu, wie sie die Bibel für das Ende der Zeit prophezeit, war weit verbreitet.

Die Welt war im Umbruch, ihr Ende schien gekommen

Es war viel geschehen vor und nach dem Jahr 1500. Mit der Entdeckung Amerikas 1492 hatte sich die Welt verändert, war größer geworden und fremder. Seit 1520 erschütterte zudem die Reformation die althergebrachte geistliche Ordnung bis ins Mark. Jahrhundertealte religiöse Gewissheiten lösten sich vor aller Augen auf, die katholische Kirche verlor ihren Status als alleinige Heilsbringerin. Dank Johannes Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks um 1450 erfuhr alle Welt davon. Als im Januar 1534 die ersten Täufer in Münster ankamen und begannen, Erwachsene zu taufen, war noch kein Jahrzehnt seit dem Bauernkrieg vergangen, der Revolution der kleinen Leute, die weite Teile Deutschlands erfasst hatte. Und erst fünf Jahre zuvor waren die Türken vor den Toren Wiens gestanden. Die Welt war im Umbruch, ihr Ende schien gekommen.

Die Täufer meinten sogar zu wissen, wann und wo sich die Ankunft des Herrn ereignen sollte. Der Prophet Melchior Hoffmann, einer der bedeutendsten Anführer der Gemeinde, hatte die Wiederkunft Christi für Ostern 1533 angekündigt – und zwar in Straßburg, dem neuen Jerusalem. Inzwischen war der Termin allerdings ohne besondere Vorkommnisse verstrichen, und Hoffmann saß seit Juni desselben Jahres als verurteilter Ketzer in einem Straßburger Kerker. Seine Nachfolge hatte Jan Mathijs angetreten, wie der Historiker Norman Cohn (1915–2007) in seinem Buch »Das neue irdische Paradies« beschrieb. Mathijs lebte in Amsterdam und sandte von dort seine Apostel genannten Prediger in deutsche Städte – unter anderem nach Münster.

Dort zeigte sich der angesehene evangelische Prediger Bernd Rothmann (1495–1535), ein ehemaliger Mönch, offen für täuferische Positionen und sprach sich für die Erwachsenentaufe aus. Als Mathijs' Apostel in die Stadt kamen, gehörte Rothmann zu den Ersten, die sich von diesen taufen ließen. Schon am Tag darauf begann er seinerseits damit, weitere Erwachsene zu taufen. Die Zahl der Täufer in Münster wuchs rasant.

Jan van Leiden (1509–1536), ein enger Vertrauter von Mathijs, der kurz nach dessen ersten Abgesandten in Münster eintraf, fand bereits rund 1400 neu getaufte Frauen und Männer vor – etwa ein Fünftel der erwachsenen Stadtbevölkerung. Und den Einwohnern war es ernst mit dem Täufertum: Wohlhabende Bürger hatten begonnen, ihre Besitztümer an die Armen zu verteilen, ganz im Sinn der christlichen Urgemeinde, erklärt Hubertus Lutterbach, Professor für Historische Theologie an der Universität Duisburg-Essen, in seinem Buch »Das Täuferreich von Münster«.

Eine Wahl änderte die Geschichte

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, forderte der Fürstbischof Franz von Waldeck den Stadtrat von Münster auf, ihm die Täufer zur Bestrafung auszuliefern – was der evangelisch dominierte Rat ablehnte. Daraufhin begann der Landesherr, Söldner zusammenzuziehen, um dem Problem gemäß dem Wiedertäufermandat militärisch zu begegnen. Zur selben Zeit gewannen täuferisch gesinnte Kandidaten die turnusmäßig Ende Februar 1534 abgehaltene Wahl zum Rat. Damit stand Münster unter ihrer Kontrolle.

Die Folgen waren gravierend. »Innerhalb der Stadt veränderte sich das Leben seit der Ratswahl im Februar 1534 Schlag auf Schlag«, schreibt Lutterbach. In rascher Folge setzten die neuen Machthaber ihre Vorhaben um: Klöster wurden gestürmt, Altarbilder zerstört, Musikinstrumente und Spielkarten verbrannt, ebenso Besitzurkunden, Schuldscheine und Rentenbriefe. Auch alle Bücher – ausgenommen die Bibel – landeten in den Flammen. Fortan galt nur noch die Bibel als einzige rechtmäßige Schrift.

Wohl schon Anfang Februar war Jan Mathijs selbst nach Münster gekommen und hatte die Stimmung in der Stadt mit Predigten und Prophezeiungen immer weiter aufgeheizt. Daraufhin verließen zahlreiche Katholiken und nicht täuferische Protestanten Münster. Nun, nach der Stadtratswahl, wurden die letzten Verbliebenen vertrieben: Wer die Taufe verweigerte, hatte zu gehen. Rund 2000 Menschen kehrten Münster daraufhin den Rücken. Ihre Häuser wurden samt Lebensmittelvorräten beschlagnahmt und unter den etwa ebenso vielen täuferisch gesinnten Frauen und Männern verteilt. Diese strömten aus dem Umland und den Niederlanden nach Münster, das Mathijs zum neuen Jerusalem erklärt hatte. Hier, so der Niederländer, würde in wenigen Wochen, spätestens am Ostersonntag, den 5. April 1534, die Wiederkunft Jesu stattfinden.

Flugschrift | Wie die Täuferherrschaft endete, machte 1536 diese Flugschrift publik. Sie zeigt die Leichen der drei Anführer Jan van Leiden, Bernd Knipperdolling und Bernd Krechting, die in »eiserne körb« an der St.-Lamberti-Kirche aufgehängt wurden.

Während derweil die Landsknechte des Bischofs vor den Toren der Stadt ihre Lager aufschlugen und die Belagerung vorbereiteten, verkündete Mathijs in einer seiner allmorgendlichen Predigten die Abschaffung des Privateigentums und der Geldwirtschaft. Kauf und Verkauf von Waren, Produkten oder Dienstleistungen wurden ebenso verboten wie die Lohnarbeit. Alle Einwohner sollten in radikaler Weise gleichgestellt sein.

Nach Mathijs' Tod wurde das Täuferreich noch radikaler

Aus ungeklärten Gründen – vielleicht aber weil Jesus nicht wie angekündigt in Münster auftauchte –, zog Mathijs am Ostersonntag mit einer kleinen Schar von Getreuen aus der Stadt und wurde umgehend von Söldnern des Landesfürsten getötet. Denn inzwischen war der Belagerungsring um Münster weitgehend geschlossen, es gab kein Entkommen mehr.

Doch entfliehen wollten die Eingeschlossenen ohnehin nicht. Unter Jan van Leiden, der nun die Führung übernahm, radikalisierte sich das Täuferreich weiter. »Noch am Ostertag zeigte sich, dass die Münsteraner ihr durch den Tod von Jan Mathijs hervorgerufenes Entsetzen überwanden und unter ihrer verbliebenen prophetischen Lichtgestallt neuen Mut fassten, wie sie in Tänzen und Umzügen zum Ausdruck brachten«, schreibt Lutterbach.

Jan van Leiden verkündete keinen neuen Termin für das Erscheinen Christi, sondern verlangte, Münster habe ein Vorbild für die gesamte Christenheit zu sein. Damit das Heil der Welt wie vorgesehen von dort ausgehen könne, müssten die Münsteraner die Stadt auf die Wiederkunft Jesu vorbereiten. Van Leiden ersetzte den gewählten Stadtrat durch einen Ältestenrat, der sogleich einen Katalog von Vergehen erstellte, auf die zukünftig die Todesstrafe stand – etwa auf Meuterei oder falsche Vorhersagen.

Aus Jan van Leiden wurde König Johann I.

Nach einem vergeblichen Versuch der Belagerer, die Stadt zu stürmen, tat einer der Münsteraner Propheten kund, Jan van Leiden solle König werden. Dieser nahm an und proklamierte das Königreich Zion – und sich selbst zu König Johann I., dem bis zur Ankunft Christi die ganze Welt untertan sei. »Mit einer für Münster beispiellosen Pracht stattete Jan van Leiden seine Herrschaft aus«, berichtet Lutterbach. »Von besonderer Kostbarkeit waren seine königlichen Insignien und der erhöhte Sessel, auf dem er Platz nahm während der Gottesdienste auf dem Prinzipalmarkt oder wenn er zu Gerichte saß.«

Eisenkäfige | Noch heute hängen die drei Eisenkäfige an der Kirche St. Lamberti in Münster. Einzig zwischen 1881 und 1898, als der Kirchturm erneuert wurde, hatte man sie abgenommen.

Im Sommer 1534 führte König Johann die Vielehe für Männer ein und ehelichte selbst insgesamt 16 Frauen. Grund zur Entscheidung könnte das Geschlechterverhältnis in der Stadt gegeben haben, das unter den erwachsenen Personen bei rund 2500 Männern zu 5000 Frauen lag. Doch gegen die erneute Umwälzung der althergebrachten Ordnung regte sich Widerstand, der schnell unterdrückt wurde. 47 der 120 Aufständischen wurden zum Tode verurteilt. Die Hinrichtungen zogen sich über vier Tage hin. »Wer Lust hatte, einen totzuschlagen, der mochte einen nehmen und ihn totschlagen«, berichtet der Augenzeuge und spätere Überläufer Heinrich Gresbeck. Und Frauen, die sich der Zwangsverheiratung widersetzten, sei es nicht anders ergangen. Gresbeck schrieb Jahre später ausführlich über die Ereignisse in Münster. Die Memoiren des Tischlers stellen eine wichtige Quelle für das Täuferreich dar.

Im Frühjahr 1535 gelang es den Belagerern schließlich, Münster komplett vom Umland abzuriegeln – fortan kamen keine Nahrungsmittel mehr in die Stadt. Es dauerte nicht lange, bis eine Hungersnot ausbrach. In ihrer Verzweiflung verrieten Gresbeck und ein weiterer Überläufer den Landsknechten des Bischofs eine Schwachstelle in der Verteidigung, durch die sie in die Stadt gelangten – und in der Folge die Anhänger des Täuferreichs gnadenlos niedermetzelten.

Der Fürstbischof ließ die Rädelsführer gefangen nehmen: Neben Jan van Leiden waren das Bernd Knipperdolling, seit der Ratswahl von Februar 1534 Bürgermeister der Stadt, und Bernd Krechting, ein weiteres Mitglied des täuferischen Hofstaats. Bernd Rothmanns Schicksal war ungewiss, er war spurlos verschwunden. Die anderen drei wurden ein halbes Jahr lang zur Abschreckung durch Westfalen gekarrt und vorgeführt. Zuletzt brachte man sie nach Münster zurück, wo sie am 22. Januar 1536 zu Füßen der städtischen Marktkirche St. Lamberti mit glühenden Eisenzangen zu Tode gefoltert wurden. Ihre Leichen ließ der Bischof in eisernen Körben an den Kirchturm hängen, auf dass sie etwaigen zukünftigen Unruhestiftern zur Warnung dienten.

Mit dieser grausamen Demonstration leitete Franz von Waldeck die Rekatholisierung Münsters ein. Die Stadt ist bis heute überwiegend katholisch – und die Eisenkäfige hängen noch immer am Turm der Lambertikirche. Inzwischen dienen sie aber weniger als Warnung für etwaige Revoluzzer, denn als Kuriosa aus dem Gruselkabinett der Stadtgeschichte.

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  • Quellen

Cohn, N.: Das neue irdische Paradies, 1988

Lutterbach, H.: Das Täuferreich von Münster, 2008

LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Internet-Portal »Westfälische Geschichte«

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