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Pharmakologie: Grippemedikament Tamiflu weniger wirksam

Grippe

Das Grippemedikament Tamiflu ist weniger wirksam als bisher gedacht, erklärt die Cochrane Collaboration in einer Neubewertung von älteren Wirksamkeitsstudien. Zuvor fehlte den Mediziner der Organisation der Zugriff auf diese Daten, weil der Pharmakonzern Roche, Hersteller von Tamiflu, sie nicht vollständig veröffentlicht hatte. Die unabhängige Cochrane Collaboration, eine Netzwerkorganisation von Ärzten und Wissenschaftlern, erstellt systematische Übersichtsarbeiten zur Qualitätssicherung im Medizinbetrieb.

Die neue Metaanalyse weist darauf hin, dass der Tamiflu-Wirkstoff Oseltamivir, vorbeugend eingenommen, zwar die Symptome einer späteren Grippe tatsächlich mindern kann. Die Erkrankung dauere dann auch im Durchschnitt einen halben Tag kürzer. Andererseits könne aus den nun nachträglich analysierten experimentellen Daten der Roche-Wirksamkeitsstudien nicht abgeleitet werden, dass Tamiflu die Häufigkeit schwerer Komplikationen oder von Krankenhausaufenthalten der Erkrankten senkt. Auch die Ausbreitung von Grippeviren werde durch Oseltamivir nicht gestoppt. "Es fehlt jede Grundlage für die Annahme, das Medikament können eine Pandemie verhindern", erklärte ein Autor der neuen Cochrane-Studie, Carl Heneghan von der University of Oxford auf einer Pressekonferenz in London.

Genau auf diese pandemiebremsende Wirkung hatten verschiedene europäische Regierungen gesetzt, als sie Oseltamivir-Medikamente wie Tamiflu oder Relenza in größeren Mengen gegen eine erwartete Grippeepidemie eingelagert hatten.

Die nun erfolgte Neubewertung anhand bisher unveröffentlichter Studiendaten hatte ein jahrelanges, spannendes Vorspiel. Die Cochrane Collaboration führte bereits 2008 eine Metaanalyse über verschiedene Wirksamkeitsstudien von Oseltamivir durch. Mit Hilfe von Expertenzuschriften etwa auf der Webseite der Collaboration war später erkannt worden, dass in die Analyse aber wohl nur rund 40 Prozent aller relevanten Studien eingeflossen sind. Die Mehrzahl der von Roche selbst bei der Medikamentenentwicklung gesammelten Daten waren nie öffentlich publiziert worden. Die Pharmakonzerne sind dazu allerdings auch nicht gesetzlich verpflichtet. Nach intensiven Bemühungen hatte die Cochrane Collaboration im vergangenen Jahr doch alle Daten von Roche für die nun allumfassende Metaanalyse erhalten.

Nach Ansicht der Cochrane Collaboration belegen die Ereignisse, wie wichtig die unabhängige Bewertung von Arzneimitteln ist. Diese könne nur gelingen, wenn sämtliche im Prozess der Wirkstoffentwicklung erhobenen Ergebnisse veröffentlicht werden müssen.

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