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Tardigrada: Bärtierchen tätowiert und wiederbelebt

Mit fokussierten Elektronenstrahlen lassen sich getrockneten, eingefrorenen Bärtierchen feinste Strukturen aufprägen. Die Tiere überstehen die Prozedur und tragen die Muster auch nach der Rehydrierung. Die Technik weist einen Weg für zukünftige Bioelektronik.
Ein Bärtierchen schwebt im Weltraum zwischen Sternen in Richtung einer hellen Lichtquelle.
Bärtierchen überstehen sogar die extrem lebensfeindlichen Bedingungen des Weltalls (Illustration).

Ein chinesisches Forschungsteam hat Bärtierchen tiefgefroren, mit einem fokussierten Elektronenstrahl tätowiert und erfolgreich wiederbelebt. Wie es berichtet, ließen sich so Muster mit einer Auflösung von bis zu 72 Nanometern auf die Außenhaut prägen. Das belegt erneut die erstaunliche Widerstandskraft der Bärtierchen und zeigt überdies, wie sich lebendes Gewebe mit Strukturen versehen lässt.

Die mikroskopisch kleinen Bärtierchen sind einerseits für ihr pummeliges Äußeres und ihre Tapsigkeit berühmt, die sich auch im Namen des von ihnen gebildeten Tierstamms niederschlägt: Tardigrada bedeutet so viel wie »Langsamgeher«. Andererseits ist ihre Unverwüstlichkeit legendär. Wenn man sie ihrem moosigen Lebensraum entreißt, wo sie im Alltag Algenzellen mümmeln, überleben sie extreme Austrocknung, Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, das Vakuum des Weltraums sowie starke Strahlenbelastung. Dazu rollen sie sich zu resistenten »Tönnchen« zusammen und fahren ihren Stoffwechsel praktisch komplett herunter.

Genau diese Robustheit machte sich Min Qiu von der Westlake University im chinesischen Hangzhou zu Nutze. Die Forschungsgruppe des Optoelektronik-Experten trocknete bei ihren Experimenten die Bärtierchen zunächst, kühlte sie auf unter minus 143 Grad Celsius ab und brachte sie ins Vakuum. Dort bedampfte sie die schlummernden Tardigraden mit Anisol, einem Lösungsmittel mit anisartigem Geruch. In diese Schicht schrieben die Fachleute anschließend feine Muster, und zwar mit Hilfe eines fokussierten Elektronenstrahls. Diese so genannte Elektronenstrahllithografie wird normalerweise in der Halbleiterindustrie zur Herstellung mikroelektronischer Schaltkreise verwendet. Hier nutzte sie das Team, um feine Linien, Punktstrukturen oder das Logo ihrer Universität auf die Cuticula genannte Außenhaut der Tiere zu prägen.

Tätowiertes Bärtierchen | Dieses rehydrierte Exemplar erhielt über den ganzen Körper verteilte Punkte, die in der elektronenmikroskopischen Aufnahme orange eingefärbt sind. Die eingeblendete weiße Linie entspricht einer Länge von zehn Mikrometern.

Anschließend tauten die Tiere auf, rehydrierten allmählich aus ihrer Tönnchenform, fuhren ihre Stummelbeine aus und wurden wieder – für Bärtierchenverhältnisse – lebhaft. Auch nach ihrer Wiederbelebung trugen sie die Muster weiterhin auf ihrem Körper und verhielten sich normal, während die Forschungsgruppe sie zwei Tage lang beobachtete. Diese Prozedur gelang immerhin bei 40 Prozent der Exemplare. Die Forschungsgruppe betont in ihrer Publikation, dass sich die Überlebensrate durch optimierte Prozesse noch verbessern lassen sollte.

Die Experimente unterstreichen nicht nur die generelle Coolness von Bärtierchen. Insbesondere demonstrieren sie, dass Lithografietechniken aus der Halbleiterfertigung unter den richtigen Umständen mit Biogewebe kompatibel sind. Das weist einen Weg für zukünftige Bioelektronik, die biologische und elektronische Bauelemente miteinander kombiniert. Zumindest für Bärtierchen liegt eine Zukunft als Cyborgs nun ein Stück näher.

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  • Quellen
Nano Letters 10.1021/acs.nanolett.5c00378, 2025

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