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Evolution: Tarnung statt Warnung

Gelb-schwarzen Streifenlook versteht im Tierreich jeder, über alle Artengrenzen hinweg: Lass bloß Finger oder Schnauze von mir, es würde dir schlecht bekommen - ob es nun stimmt oder nicht. Seltsam ist nur, dass sich das Modell überhaupt durchsetzen konnte.
<i>Episyrphus balteatus</i>
Zurzeit sind sie manchmal lästig: Wespen, die sich an Salami oder Zwetschgenkuchen laben, sich dabei in Apfelsaft ertränken und Menschen aller Altersklassen erschrecken. Häufig fallen dem Händefuchteln oder der Mückenklatsche dann auf den unscharfen ersten Blick den Wespen ähnelnde Schwebfliegen zum Opfer, die eine ähnlich auffällige schwarz-gelbe Streifentracht tragen, aber völlig harmlos sind. Ihnen zum Verhängnis wird ihre selbst gewählte, im Tierreich allgemeingültige Abschreckungsstrategie: Gelb-schwarz gestreift heißt gefährlich, wehrhaft, ungenießbar oder in sonstiger Weise wenig empfehlenswert für nähere Kontakte – um sich so vor Räubern zu schützen.

Dabei rätseln Wissenschaftler schon lange, wie diese Abwehrstrategie entstehen und sich vor allem erhalten konnte. Denn im ersten Moment bedeutet auffälligeres Äußeres – Warnung hin oder her – vor allem weniger Tarnung vor den hungrigen Augen der Räuber. Somit wächst die Gefahr, doch im Maul oder Magen eines solchen zu landen – und selbst wenn dieser das unerwartet ungenießbare Etwas wieder ausspuckt, dürfte das, wenn überhaupt, kaum unverletzt zu überleben sein.

Beliebt bei solch unerklärlichen Mustern sind Simulationen, um deren Werdegang und das Erfolgsgeheimnis aufzudecken. Also fütterten auch Daniel Franks und Jason Noble von der Universität Leeds ihre Rechner mit virtuellen Populationen von Räubern und Beutetieren. Dabei verpassten sie den Gejagten unterschiedliche Farben, von höchst auffällig bis bestens versteckt, wobei dies nicht zu verwechseln war mit der Möglichkeit, sich zu wehren oder purem Bluff: Beides gab es jeweils auch für jede Farbvariante, und in den verschiedenen Experimenten veränderten die Forscher zudem den Anteil der wehrhaften gegenüber der harmlosen Vertreter. Außerdem ermöglichten sie den Jägern, spezifisch auf diese Information zu reagieren, indem die hungrigen Verfolger beispielsweise bei auffälligen Leckerbissen etwas vorsichtiger agieren konnten.

Wie auch immer Franks und Noble aber die verschiedenen Konstellationen miteinander kombinierten und mit welchen Ausgangssituationen sie auch starteten, das Ergebnis war immer dasselbe: Warnfärbung bewährt sich nicht, im Gegenteil. Die Überlebenschancen lagen grundsätzlich bei Tarnung höher als bei Warnung, und selbst bunt gestartete Populationen entwickelten sich hin zu dezenterem Aussehen. Allerdings gab es hier einen kleinen Fingerzeig, dass Warnung doch einen Vorteil haben könnte: Trotz der Evolution einer kryptischen Färbung blieben die zu Beginn auffälligen Organismen ein klein bisschen bunter als die virtuellen grauen Mäuse, die mehr wehrlose und daher anfälligere Vertreter beinhalteten. Offenbar reichte dieser Vorteil aber nicht aus, um die Warnung der Tarnung vorzuziehen.

Wieso aber haben dann Wespen und Schwebfliegen ihre schicken gelb-schwarzen Streifen? Reine Psychologie, würden Franks und Nobels vielleicht antworten. Denn: Sie hatten in ihren Simulationen einen Punkt nicht berücksichtigt – die Erfahrungen, die sich auf das Verhalten der Räuber ausüben würden. Ein Jäger, der sich den Magen an einer scheinbar äußerlich leckeren Beute verdorben hat, wird vielleicht kein zweites Mal zuschlagen. In den Modellen aber war ihm dieser Lerneffekt – mochte er auch zeitlich begrenzt und irgendwann wieder vergessen sein – nicht gegönnt.

Und hierin könnte, das erklären die Forscher selbst, der Knackpunkt der Geschichte liegen. Ihnen lag zunächst daran, äußere Einflüsse in ihrer Wichtigkeit einzustufen. Jetzt gelte es, ihr Modell mit weiteren Faktoren zu schmücken, welche diese inneren Prozesse bei den Räubern berücksichtigen. Dann vielleicht könnte es endlich gelingen, die abschreckende Farbenpracht zufriedenstellend zu erklären.

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