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News: Tastende Nase

Als vorzüglicher Schwimmer und Taucher bevorzugt der zu den 'aquatischen' Maulwürfen gehörende Sternmull weiche und sumpfige Gegenden Nordamerikas. Seine lichtlose, unterirdische Welt nimmt der Insektenfresser durch seine groteske Nase wahr, die er als Tastorgan umfunktioniert hat. Forscher fanden nun heraus, dass Nerven seines hochsensiblen Sinnesorganes um zusätzliches Territorium im Gehirn kämpfen.
22 rosafarbene, einzeln bewegliche kleine "Finger" schmücken die Nasenspitze des Sternmulls (Condylura cristata), die er weniger zum Riechen, sondern vielmehr zum Fühlen einsetzt. Mithilfe seines Tentakelkranzes erkundet der Sonderling die Wände seiner Tunnels und stöbert millimeterkleine Würmer und Insekten auf. Vermutlich stellt dieser Vertreter aus der Familie der Maulwürfe mit seinem kuriosen Nasen-Taster das buchstäblich zartfühlendste Wesen unter den Säugetieren dar: Mit 100 000 Nervenfasern übertrifft das einzigartige Tastinstrument des Wühltieres die 17 000 der menschlichen Hand um ein Vielfaches. Im Maulwurfsgehirn verarbeitet ein großer Teil der Hirnrinde (Cortex) die Informationsflut, welche die bizarre Rüsselspitze einfängt. Insbesondere eine überempfindliche Nasenfranse, die so genannte taktile Fovea, beansprucht alleine ein Viertel des Gehirnplatzes, der für die Nase reserviert ist.

Ken Catania von der Vanderbilt University in Tennessee hinterfragte nun, wieso ein derartig großer Raum der Hirnrinde den Tentakelwahrnehmungen gewidmet ist. Dazu untersuchte er die Nase und das Gehirn von embryonalen Sternmullen und stellte fest, dass die taktile Fovea bei ausgewachsenen Tieren den kleinsten Fortsatz des Tentakelkranzes bildet, doch im Embryo viel größer und weiter entwickelt ist als alle anderen Nasenfinger. Zudem knüpft die Fovea als erster Teil der Nase Nervenverbindungen zur Cortex.

Catania nimmt an, dass die Nerven miteinander um die Territorien in der Hirnrinde konkurrieren – und die Fovea beansprucht ihren Platz durch ein beschleunigtes Nervenwachstum. "Die frühe Ausdehnung und Reifung verschafft den wichtigsten Körperregionen einen entscheidenden Vorteil beim Erobern der entsprechenden Gehirnregionen", betont Catania.

Wissenschaftler haben lange Zeit debattiert, ob sich die cortikalen "Landkarten" im frühen Embryonalstadium bilden oder erst später durch Aktivität und Erfahrungen. Obwohl Catanias Untersuchungen die frühe Hypothese unterstützen, hält Dale Purves vom Duke University Medical Center es eher für wahrscheinlich, dass beide Theorien in diesen Prozess verwickelt sind.

Die hochempfindliche Fovea des Sternmulls weist Parallelen zu der menschlichen Netzhautgrube auf, der Stelle des schärfsten Sehens im Primatenauge, in welcher die Dichte der Zapfen am höchsten ist: Sie entwickelt sich ähnlich früh und beansprucht ebenfalls viel Platz in der Hirnrinde. Auch das Ausmaß unserer empfindsamen Regionen, wie die Fingerspitzen und Lippen, spiegelt sich in der corticalen "Sinneslandkarte" unseres Körpers wider. Doch Purves betont, dass wir beim Begreifen unserer eigenen "Landkarte" noch nicht weit fortgeschritten sind, und er ist skeptisch, inwieweit der Sternmull den Forschern dabei behilflich ist.

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