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Galaxienhaufen: Tatort Kosmos

Anstatt sich im gesamten Universum gleichmäßig zu verteilen, gruppieren sich Galaxien – getrieben durch die Kraft der Gravitation - zu Tausenden in gigantischen Formationen. Um einen solchen Galaxienhaufen entdeckten Forscher nun untypische Strukturen mit rätselhafter Herkunft.
Galaxienhaufen Abell 3376
Der Forschungsbericht von Joydeep Bagchi und seinen Kollegen liest sich wie eine Detektivgeschichte. Nur geht es darin nicht um einen mysteriösen Todesfall oder das verschwundene Gold einer wohlhabenden Dame. Der Tatort liegt fast 50 Millionen Lichtjahre weit entfernt bei einem Galaxienhaufen namens Abell 3376. Anders als ihren mit irdischen Fällen betrauten Kollegen bleibt Bagchi und Co. also nur der Blick durch ein Teleskop, um die Angelegenheit aufzuklären.

Radioteleskope des VLA | Abell 3376 wurde mit dem VLA (Very Large Array) beobachtet, einer Y-förmigen Fläche von 30 Radioteleskopen mit einem Duchmesser von je 25 Metern. Sie stehen auf den Ebenen von San Agustin in New Mexico.
Aber der Reihe nach. Zunächst einmal hatten die Wissenschaftler vom Inter-University-Centre für Astronomie und Astrophysik im indischen Pune ein ihnen mehr und mehr verdächtiges Objekt entdeckt: Sie beobachteten mit den Antennen des VLA zwei diffuse bogenähnliche Strukturen, die Radiostrahlung aussandten. Auf die Himmelsebene projiziert passen sie sich einer elliptischen Form an, die eine Ausdehnung von etwa sieben mal fünf Millionen Lichtjahren besitzt.

Bogenförmige Strukturen | Das Bild zeigt eine Aufnahme des VLA, auf der die Bögen im Radiobereich zu erkennen sind (rot). Überlagert ist ein optisches Bild der Galaxien und Sterne in dieser Region (blau und weiß).
Bagchi und Kollegen suchten nach optischen Galaxien, die sie mit diese Radioquellen in Verbindung hätten bringen können. Doch sie blieben erfolglos. Dass es sich bei den Bogenstrukturen um Ansammlungen von Radiogalaxien handelt – also Galaxien, die vorwiegend in diesem Spektralbereich strahlen –, hielten die Forscher für unwahrscheinlich. Eine zufällige Überlagerung von Radioquellen im Hintergrund war ebenfalls ausgeschlossen, da diese zu selten sind, um ein derartiges Phänomen zu erzeugen. Woher kam dann also die Energie, die solche Gebilde im Kosmos erschaffen hatte?

Die konkave Form der gigantischen Bögen wies Bagchi und Kollegen auf eine Verbindung mit dem Galaxienhaufen hin. Um der Spur nachzugehen, zogen sie frühere Beobachtungen im Röntgenbereich zu Rate. Diese zeigten eine fadenartige Struktur im Haufen, Galaxien verteilen sich in mehreren kleineren Gruppen entlang einer Achse. Die Gasbewegungen schienen hier unruhig zu sein. Womöglich fand infolge von Formationsprozessen ein energiereiches Ereignis im Haufen statt. Auch andere Indizien aus den alten Daten deuten darauf hin.

Während der Strukturbildung kommt es immer wieder zum gravitativen Kollaps von kleineren Massekomponenten. So wird etwa intergalaktische Materie durch die Gravitation des Haufens angezogen und fällt in die Außenbezirke des Haufens. Darüber hinaus ereignen sich Vermischungsprozesse und Kollisionen von kleineren Galaxiengruppen im Haufenzentrum. Die bei solchen Prozessen frei werdende Energie sollte laut Wissenschaftlern Schockwellen erzeugen, die sich anschließend im intergalaktischen Medium ausbreiten.

An der Front dieser Welle verdichten sich in dem dünnen Gas enthaltende Elektronen und werden auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, wobei sie so genannte Synchrotronstrahlung aussenden. Diese elektromagnetische Strahlung entsteht, wenn die geladenen Teilchen durch ein Magnetfeld abgelenkt werden. Bagchi und sein Team weisen in ihren Teleskopen demnach die im Radiobereich emittierte Synchrotronstrahlung nach.

Simulationen zeigen, dass unter den durchgespielten Szenarien Schockwellen in der Tat sehr plausibel erscheinen. Sie breiten sich genügend weit aus und wären zudem langlebig und energiereich genug, um Elektronen auf derart hohe Energien zu beschleunigen, dass sie die beobachtete Radiostrahlung aussenden.

Welcher Mechanismus genau zur Beschleunigung der Elektronen führt, muss allerdings noch herausgefunden werden – ebenso wie der Ursprung der kosmischen Magnetfelder, welche die Elektronen im intergalaktischen Medium ablenken. Damit haben Bagchi und seine Kollegen also Ansatzpunkte genug, um dem Rätsel auf der Spur zu bleiben. Vielleicht hilft den Forschern ja der neue, in anderen Spektralbereichen geplante Blick auf den Ort des Geschehens, um den Fall endgültig zu den Akten zu legen.

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