Starke Immunreaktion: Tattoos können eine Entzündung in den Lymphknoten auslösen

Es gibt Menschen, die lassen sich freiwillig in kurzer Zeit mehrere hundert- bis tausendmal von einer mit Farbe gefüllten Nadel malträtieren. Was zunächst verrückt klingt, ist inzwischen Normalität: Weltweit ist fast jede fünfte Person tätowiert – Tendenz steigend. Und dabei ist die Sitte des Tätowierens nicht mal eine neue Erfindung: Sogar der Körper der rund 5300 Jahre alten Gletschermumie Ötzi ist von dutzenden Strichfiguren überzogen. Doch bislang ist noch vieles rund um die Gesundheitsrisiken von Tattoos unklar. So wissen Wissenschaftler bis heute nicht genau, wie Tattoos überhaupt unter der Haut überleben, da das Immunsystem ständig versucht, sie zu zerstören. Nun hat ein europäisches Forschungsteam in einem Versuch mit Mäusen herausgefunden, dass Tattoos eine Entzündung in den Lymphknoten auslösen und die Immunantwort auf Impfungen verändern können. Sie berichten davon im Fachmagazin »PNAS«.
Das Team um den Immunologen Santiago Gonzalez von der Staatlichen Universität in Lugano nutzte ein Mausmodell, um die Immunreaktionen auf die Tinte nach dem Tätowieren zu untersuchen. Die Analyse ergab, dass sich die Tinte in den Lymphknoten anreichert, wo sie von Bestandteilen des Immunsystems, den sogenannten Makrophagen, aufgenommen wird. Auf die Aufnahme folgt eine erste Entzündungsreaktion. Die Makrophagen durchlaufen nach dem Kontakt mit den Farbmolekülen einen programmierten Zelltod. »Bemerkenswert ist aber, dass der Entzündungsprozess über die Zeit bestehen bleibt, da wir zwei Monate nach dem Tätowieren weiterhin deutliche Anzeichen einer Entzündung im ableitenden Lymphknoten beobachtet haben«, schreibt das Team.
Überdies stellten die Wissenschaftler fest, dass Tattoo-Pigmente an der Impfstelle die Antikörperreaktion auf den Sars-CoV-2-Impfstoff bei Mäusen wohl verringern. Sie führten dies auf eine verminderte Herstellung des Spike-Proteins zurück. Dieses Protein bedeckt die Oberfläche des Virus wie Stacheln und ist daher gut für unser Immunsystem erkennbar. Durch die Impfung werden normalerweise Antikörper gegen das Spike-Protein vom Immunsystem gebildet und somit eine Erinnerung hinterlegt, die die Person bei einer erneuten Infektion vor dem Virus schützt. Umgekehrt wurde die Immunreaktion auf die Impfung mit einem inaktivierten Grippeimpfstoff allerdings durch die Pigmente verstärkt. Warum genau, ist noch unklar. Auch muss sich noch zeigen, ob die Ergebnisse von Mäusen auf Menschen übertragbar sind.
Auf Anfrage erzählt der Hauptautor der Studie, dass das Projekt rein zufällig begann. »Wir hatten eigentlich nur nach einer möglichst schmerzlosen Variante gesucht, unsere Mäuse zu markieren, als jemand vorschlug, sie zu tätowieren«, sagt Gonzalez. »Wir probierten es aus und machten die erste Beobachtung, die die Studie ins Rollen brachte.« Die Tinte habe sich nach kurzer Zeit im Lymphknoten gesammelt, der sich daraufhin entzündete. »Da wir uns generell mit Entzündungsreaktionen beschäftigen, beschlossen wir, den Prozess genauer zu untersuchen.«
Angesichts des unaufhaltsamen Trends in der Bevölkerung, sich Tattoos stechen zu lassen, seien die Ergebnisse wichtig, um die Öffentlichkeit über das potenzielle Risiko einer durch Tätowierungen veränderten Immunantwort zu informieren, heißt es im Fachartikel. Die Regulierung von Tattoo-Tinten sei weniger streng als die für Erzeugnisse der Pharmaindustrie oder andere Produkte des menschlichen Gebrauchs. Die vorliegende Arbeit sei die bislang umfassendste Studie zu den Auswirkungen von Tattoo-Tinte auf die Immunantwort und unterstreiche die Notwendigkeit weiterer Forschung.
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