Tiernavigation: Wurde das geheimnisvolle »Kompass«-Organ der Vögel endlich gefunden?

Tauben können offenbar das Magnetfeld der Erde wahrnehmen, indem sie winzige elektrische Ströme in ihrem Innenohr registrieren und auswerten. Ein solcher innerer Kompass könnte die Erklärung dafür sein, warum manche Tiere in der Lage sind, über große Entfernungen hinweg erstaunlich präzise zu navigieren. Ein Forschungsteam um David Keays von der Ludwig-Maximilians-Universität München berichtet davon in der Fachzeitschrift »Science«.
Es gibt insbesondere zwei führende Hypothesen dazu, wie Vögel Magnetfelder wahrnehmen. Eine davon ist, dass Vögel dank eines quantenphysikalischen Effekts in ihren Netzhautzellen Magnetfelder »sehen«. Die zweite besagt, dass mikroskopisch kleine Eisenoxidpartikel im Schnabel als winzige Kompassnadeln dienen, die sich entlang der Magnetfeldlinien ausrichten. Es war bislang jedoch weitgehend unbekannt, wo im Gehirn der Tiere die magnetischen Informationen wahrgenommen werden und wie sensorische Neuronen die Empfindlichkeit für elektromagnetische Veränderungen vermitteln.
Bereits im Jahr 2011 fanden Forschende Hinweise darauf, dass Magnetfelder das Gleichgewichtssystem von Tauben beeinflussen – jenes Sinnesorgan, mit dem Wirbeltiere Beschleunigungen (einschließlich der Schwerkraft) wahrnehmen und ihre Balance halten. Dieses System besteht aus drei mit Flüssigkeit gefüllten, senkrecht zueinanderstehenden Kanälen. Weil sie in alle drei Raumrichtungen ausgerichtet sind, können sie die Richtung einer Beschleunigung in ihre x-, y- und z-Komponenten zerlegen und so ans Gehirn weitergeben.
Haben Tauben einen Magnetsinn?
Grundsätzlich ist es denkbar, dass ein leitfähiges Material in einem Organismus elektrische Ströme als Reaktion auf Magnetfelder erzeugt und einem Tier so einen Magnetsinn verleiht – ein Mechanismus, der bereits 1882 vom französischen Zoologen Camille Viguier vorgeschlagen wurde. In früheren Untersuchungen hatte Keays nach einem molekularen Mechanismus für diese Magnetwahrnehmung gesucht und sich dabei von der Biophysik von Haien und Rochen inspirieren lassen. Diese Tiere besitzen Organe, die kleinste elektrische Felder wahrnehmen und ihnen so bei der Beutesuche helfen. Sie produzieren ein Protein, das empfindlich auf Veränderungen der elektrischen Aktivität von Nervenzellen reagiert.
Für die aktuelle Studie entwickelte David Keays mit seinem Team ein Experiment, das aufdecken sollte, wie das Gehirn von Tauben auf Magnetfelder reagiert. Die Wissenschaftler setzen dafür sechs Tauben über eine Stunde lang einem Magnetfeld aus, das etwas stärker war als das Erdmagnetfeld. Die Köpfe der Tiere wurden fixiert, während das Magnetfeld kontinuierlich rotierte – so, als würden sich die Köpfe der Tauben relativ zum Erdmagnetfeld drehen. Anschließend schaute sich das Team die Aktivitätsmuster der Nervenzellen im gesamten Gehirn mit einer speziellen Methode an und verglichen sie mit denen einer Kontrollgruppe, die keinem Magnetfeld ausgesetzt war.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Magnetfelder genau jene Hirnregion stimulieren, die Signale aus dem Gleichgewichtssystem erhält – sowie Bereiche, die verschiedene Sinneseindrücke miteinander verknüpfen. Damit schrumpft die Liste möglicher »Kompass«-Kandidaten auf einen einzigen: das vestibuläre System. Wie die Nervenzellen der Tauben Magnetfelder jedoch tatsächlich wahrnehmen, bleibt weiterhin ungeklärt.
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