Tauchroboter suchen MH370: »Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass sie das Flugzeug finden«

Vor elf Jahren stürzte das Passagierflugzeug MH370 der Malaysia Airlines kurz nach dem Start in Kuala Lumpur in den Indischen Ozean. 239 Menschen kamen ums Leben. Eine großangelegte Suche nach dem Wrack blieb damals erfolglos. Jetzt nimmt die malaysische Regierung einen neuen Anlauf. Das US-Unternehmen Ocean Infinity soll das Wrack finden – mithilfe von Tauchrobotern, die man auch Autonomous Underwater Vehicles nennt, kurz AUVs. Die meterlangen, zigarrenförmigen Fahrzeuge können Tauchgänge von mehreren Tagen absolvieren und dabei den Meeresboden vermessen. Das nun beauftragte Unternehmen hat 2018 schon einmal nach dem Wrack gesucht, allerdings zu der Zeit ebenfalls erfolglos.
Herr Karstensen, haben sich Tauchroboter in den vergangen Jahren so stark weiterentwickelt, dass sich ein zweiter Anlauf für die Suche nach MH370 lohnt?
Ja, in den letzten fünf bis sieben Jahren hat sich sehr viel getan. Besonders zwei Dinge haben die Technik vorangebracht. Zum einen bleiben autonome Tauchroboter heute deutlich länger im Einsatz. Einige Modelle können sogar Einsätze von mehreren Wochen durchführen und dabei bis zu 1500 Kilometer zurücklegen – mit einer einzigen Batterieladung. Daneben ist aber auch die Sensorik viel leistungsfähiger geworden.
Und die ist wichtig, da man dort unten nicht viel sieht.
Genau, der riesige Korridor, in dem das Wrack vermutet wird, ist etwa 5000 Meter tief. Dort unten ist es nicht nur kalt und es herrscht ein extrem hoher Druck, es ist auch komplett dunkel. Im Wasser kann sich Licht auch nur über kurze Entfernungen von vielleicht wenigen zehn Metern ausbreiten. Deshalb muss man andere Methoden zur Suche benutzen.
Wie kommt man an solchen Orten also verschollenen Flugzeugrümpfen auf die Spur?
Eigentlich kann man nur mit Schall arbeiten. Die Verfahren gehen auf ein sehr einfaches Prinzip zurück. Es werden Töne von einem Schiff oder einem Tiefseeroboter ausgesandt, und anhand der Zeitdauer, nach der man dann Töne wiederhört, kann man die Entfernung zu einem Objekt bestimmen. Dieses Objekt kann der Meeresboden sein, oder auch etwas, das auf dem Meeresboden liegt. Diese Technik hat enorme Fortschritte gemacht und heute können wir etwa durch eine Vielzahl von Schallquellen sehr detailgetreu den Meeresboden abtasten. Mit den Verfahren kriegt man wirklich fantastische Aufnahmen vom Meeresboden, die auch extrem hoch aufgelöst sind – viel höher, als man das zum Aufspüren eines Flugzeugwracks benötigen würde. Und ich bin mir sicher, dass Ocean Infinity seine Tauchroboter mit sehr modernen Sonar-Systemen, so nennt man die, ausgerüstet hat. Das, zusammen mit der heute deutlich höheren Einsatzdauer dieser Tauchroboter, führt dazu, dass man ganz andere Messreihen fahren kann als noch vor wenigen Jahren.
Die malaysische Regierung hat das Suchgebiet auf 15 000 Quadratkilometer eingegrenzt. Das entspricht der Fläche von Schleswig-Holstein. Wie geht man bei der Suche in so einem riesigen Gebiet vor?
Zunächst schaut man, wo bereits Tiefendaten vorliegen, und konzentriert sich dann auf die unbekannten Regionen, und zwar mit Sensorik, die an Schiffen verbaut ist. So können große Karten gewonnen werden, die aber auch recht grob sind. Bei der Wassertiefe von 5000 Metern sprechen wir hier von Rastern von etwa zehn Metern. Aber trotz der geringen Auflösung kann man darauf vielleicht verdächtige Hubbel ausmachen, bei denen sich eine nähere Betrachtung mit dem Tauchroboter lohnen könnte und die sich dann idealerweise als Teile des Flugzeugs erweisen könnten.
Aber wurde das nicht vor Jahren schon gemacht?
Ich vermute, dass diese Vorgehensweise auch schon bei früheren Versuchen angewandt wurde. Was sich in den letzten Jahren sehr geändert hat, ist die Möglichkeit, auf bereits existierende Messungen zuzugreifen. Die weltweit anerkannte Initiative Seabed 2030 sammelt alle Tiefenmessungen von Schiffen mit dem Ziel, in 2030 eine komplette Karte des Meeresbodens zu haben. Für die Suche nach MH370 kann das bedeuten, dass die Fläche des völlig unbekannten Meeresbodens kleiner geworden ist.
»Um eine größere Fläche zu vermessen, wird auch schon mal eine Armada von Tauchrobotern ausgebracht«
Und wenn man auf der groben Karte aussichtsreiche Regionen ausgemacht hat, kommen die Tauchroboter ins Spiel: einer oder viele?
Um eine größere Fläche zu vermessen, wird auch schon mal eine Armada von Tauchrobotern ausgebracht, die auch untereinander kommunizieren und konzertiert vorgehen. Da wissen alle, wo sie sind, welcher Teil des Meeresgrunds schon abgetastet wurde, und wo noch weiße Flecken auf der Karte sind. Die Roboter lässt man entweder direkt vom Schiff aus ins Wasser, und dann spiralen die sich in die Tiefe, oder man bringt die mit einem speziellen Launcher auf Tiefe. Das geht schneller und schont die Batterie des Roboters, der dann längere Missionen am Boden fahren kann.
Woher wissen die Roboter, wo sie sich befinden? Dort unten gibt es ja kein GPS.
Die Geräte kommunizieren durchweg akustisch. Jeder Roboter hat einen Sender und einen Empfänger, mit denen Signale mit dem Schiff ausgetauscht werden, das ja GPS besitzt. Darüber kann auch eine Ortung der Tauchroboter durchgeführt werden. Auch diese Technologie hat sich in den letzten Jahren extrem verbessert. Typischerweise legt man außerdem noch sogenannte Transponder am Meeresboden aus. Das sind letztlich Schallquellen. Deren Positionen werden vom Schiff aus auf ein paar Meter genau eingemessen. Die Transponder kommunizieren wiederum mit den Robotern, die sich so genau orten können.
Sind die Tauchroboter am Meeresboden sich selbst überlassen?
Die bekommen schon Bahnen vorgegeben, auf denen sie sich bewegen sollen. Aber die Roboter driften wegen der Ozeanströmung auch immer wieder vom Kurs ab. Deswegen gleichen sie ihre Position ständig über die Transponder oder das Schiff ab und korrigieren ihren Kurs. Das sind sehr schlaue Algorithmen, die darin verbaut sind. So kann man sehr genau abtasten. Aus den Meerestiefenkarten, die jeder Roboter aufzeichnet, ergibt sich dann allmählich eine sehr genaue Karte des Meeresbodens in der Einsatzregion.
Die malaysische Regierung verspricht Ocean Infinity eine Prämie von etwa 70 Millionen US-Dollar. Bezahlt wird aber nur, wenn das Unternehmen das Wrack auch wirklich findet. Ist das ein gutes Angebot?
Ich halte es schon für nicht ganz unwahrscheinlich, dass sie das Flugzeug finden. Es ist ja auch ein Unternehmen, die werden sich das schon überlegt haben, ob sie auf das Angebot eingehen.
Welche Kosten stehen bei so einem Vorhaben an?
Also, die Kosten für so einen autonomen Tauchroboter schätze ich auf fünf bis sechs Millionen Euro, vielleicht auch mehr. Ocean Infinity besitzt eine ganze Reihe von Tauchrobotern. Für das Schiff würde ich mitsamt Spritkosten mit Personal pro Tag ungefähr 50 000 bis 100 000 Euro ansetzen. Und dann kommt noch das Team von Ingenieuren dazu, die direkt am Projekt arbeiten. Wenn Sie dann sieben oder acht Wochen suchen, kommt man auf Kosten in der Größenordnung von vielleicht 4 000 000 Euro – vorausgesetzt, man besitzt die Tauchroboter bereits. Das ist aber nur eine grobe Schätzung. Wie genau im privaten Sektor kalkuliert wird, kann ich nicht sagen.
Die Suche soll am 30. Dezember 2025 beginnen und ist auf 55 Tage angelegt. Warum dieser Zeitraum?
Das liegt wohl einfach daran, dass in der Südhemisphäre dann Hochsommer ist und im südlichen Indischen Ozean dann vergleichsweise ruhige See zu erwarten ist.
»In der Suche sehe ich auf jeden Fall großes Potenzial für die Wissenschaft«
Gibt es andere Beispiele, wo der Ozeangrund so großflächig und detailliert mithilfe von Unterwasserrobotern kartografiert wird?
Vor allem denke ich da an die Meeresgebiete, in denen Tiefseebergbau geplant wird und wo der Meeresboden ebenfalls großflächig und sehr genau kartiert wird. Da will man anstelle eines Flugzeugs dann eben Manganknollen finden – und die sind noch viel kleiner.
Erwarten Sie von der nun anstehenden Suche neue wissenschaftliche Erkenntnisse – auch über das Auffinden des Wracks hinaus?
Wenn das Unternehmen offen seine Meeresboden-Vermessungen teilt, könnte die Wissenschaft viel daraus ziehen. Nicht zuletzt wäre das auch ein gigantischer Schritt für die Seabed-2030-Datenlage in der Region. Besonders toll wäre es, wenn die Firma die Messdaten von den Tauchrobotern zugänglich macht. Aus den Messdaten könnte man auch auf geologische Formationen oder auf spezielle Habitate schließen, also darauf, welche Lebewesen wo leben könnten. Da kann diese Expedition potenziell sehr viel beitragen. Wenn dort auch Kameras zum Einsatz kommen und die Firma die Fotos teilt, könnte tatsächlich Unbekanntes gefunden werden, das wäre super. Über die Biodiversität in der Tiefsee weiß man so wenig. Also, ja, in der Suche sehe ich auf jeden Fall großes Potenzial für die Wissenschaft.
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