Teilchenphysik: Neue Erkenntnisse beim Materie-Antimaterie-Rätsel

Eigentlich dürfte es unser Universum überhaupt nicht geben. Denn die physikalischen Theorien legen nahe, dass beim Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren gleiche Mengen an Materie und Antimaterie entstanden. In diesem Fall hätten sie sich vollständig gegenseitig vernichtet – komplexe Strukturen wie Planeten, Sterne oder Galaxien wären nie entstanden. So ist es offensichtlich nicht gekommen. Im Gegenteil: Heute beobachten wir einen gigantischen Überschuss an Materie; Antimaterie scheint in freier Wildbahn hingegen kaum vorzukommen.
Teilchenphysiker beschäftigt dieses Materie-Antimaterie-Rätsel bereits seit Jahrzehnten. Eine gängige Erklärung ist, dass die so genannte CP-Symmetrie verletzt ist. Diese besagt, dass alle Zusammenhänge und Gesetze gleich bleiben, wenn man Teilchen durch ihre jeweiligen Antiteilchen ersetzt und dabei alle Raumkoordinaten spiegelt. Falls diese Symmetrie jedoch verletzt ist, würden Materie und Antimaterie nicht die gleiche Rolle im Universum einnehmen. Das könnte den beobachteten Überschuss erklären. Das Problem: Zwar wurden bisher Fälle von CP-Verletzungen beobachtet, aber viel zu wenige, um das Ungleichgewicht zu erklären. Doch nun haben Fachleute am größten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem LHC am europäischen Kernforschungszentrum CERN, neue Hinweise auf CP-Verletzungen gefunden. Über ihre Ergebnisse berichten sie in zwei noch nicht begutachteten Arbeiten.
Bisher wurden CP-Verletzungen nur bei so genannten Mesonen beobachtet; dabei handelt es sich um Teilchen, die aus einem Quark und ein Antiquark bestehen. In den 1960er Jahren stellten Forschende fest, dass langlebige K-Mesonen (auch Kaonen genannt) ganz selten in zwei Pionen (ebenfalls Mesonen) zerfallen. Das dürften sie aber nicht, wenn die CP-Symmetrie erhalten wäre. In Baryonen, die aus drei Quarks bestehen (und zu denen beispielsweise Protonen und Neutronen gehören), hat man eine solche CP-Verletzung bisher nie beobachtet. Nun aber berichten die Fachleute vom CERN, Unregelmäßigkeiten in den Zerfällen bestimmter Baryonen und Mesonen gefunden zu haben, die genau darauf hindeuten.
In der ersten Arbeit untersuchten die Forschenden die Daten von Proton-Proton-Kollisionen am LHC. Wenn die Wasserstoffkerne zusammenkrachen, können neue Teilchen entstehen, darunter so genannte schwere Λ-Baryonen, die aus einem Up-, einem Down- und einem Bottom-Quark bestehen. Die Physikerinnen und Physiker zählten die Zerfallsarten von schweren Λ-Baryonen und ihren Antiteilchen. Dabei fanden sie Unterschiede vor, die sich durch eine CP-Verletzung erklären ließen.
In der zweiten Arbeit widmeten sich die Fachleute einem anderen Teilchen, das bei Teilchenkollisionen am LHC entsteht: dem B-Meson, das aus einem Bottom-Antiquark und einem Up-Quark besteht. Dieses kann in ein so genanntes J/Ψ-Meson zerfallen, das aus einem Charm-Quark und -Antiquark besteht, sowie in ein Pion beziehungsweise ein Kaon. Indem die Forschenden auswerteten, welcher Zerfall wie häufig vorkam, fanden sie auch hier Unregelmäßigkeiten vor, die auf eine CP-Verletzung hinweisen.
Allerdings sind die Ergebnisse bisher noch nicht statistisch signifikant genug, um als teilchenphysikalische Entdeckung durchzugehen. Ob CP-Verletzungen wirklich bei den untersuchten Teilchen auftreten, wird sich erst durch künftige Experimente am CERN bestätigen lassen. Diese könnten dann endlich erklären, warum es unser Universum gibt.
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