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Teilchenphysik: Hinweis auf vierte Neutrino-Art entpuppt sich als Illusion

Ein unklares Signal in Experimenten mit Neutrinos hatte Spekulationen befeuert, es könnte eine unentdeckte Variante der seltsamen Elementarteilchen geben. Nun allerdings deuten Auswertungen eines neuen Experiments auf profanere Ursachen hin.
Wellenförmige Linien erstrecken sich aus einem blauen, radialsymmetrischen Gitter. In der Mitte des Bildes befindet sich ein heller Lichtpunkt.
In Strahlen von Neutrinos wechseln die Teilchen zwischen verschiedenen Zuständen. Im Standardmodell der Teilchenphysik sind es drei, aber möglicherweise mischt sich noch eine vierte Art von Neutrino ein.

Jahrelang hatte ein rätselhaftes Signal in Experimenten mit Neutrinos Spekulationen befeuert, es könnte eine unentdeckte Variante der seltsamen Elementarteilchen geben. Eine Messung aus dem Jahr 2018 passte nicht gut zum Standardmodell der Teilchenphysik und schien sich am besten mit einer neuen, exotischen Variante der Teilchen erklären zu lassen.

Nun allerdings haben weitere Auswertungen diese Hoffnung zerschlagen. Wie das Team des MicroBooNE genannten Experiments im August 2025 verkündete, passen die im Lauf von fünf Jahren mit MicroBooNE erhobenen Daten doch zum Standardmodell. Die Signale aus den vorherigen Versuchen dürften somit von anderen Prozessen stammen und wären fälschlicherweise als Anzeichen für eine weitere Neutrinoversion gedeutet worden.

Neutrinos gelten als wichtige Hinweisgeber bei der Suche nach Antworten auf einige offene Fragen im Standardmodell. Dabei handelt es sich um drei Typen von Elementarteilchen, die enorm schwer zu detektieren sind. Außerdem können sich die verschiedenen Neutrinotypen ineinander umwandeln – was es noch schwieriger macht, die ohnehin schon seltenen Einblicke in ihr Verhalten richtig zu interpretieren.

Messungen mit dem Vorgänger von MicroBooNE, einem MiniBooNE genannten Detektor am US-amerikanischen Forschungsinstitut Fermilab, hatten im Jahr 2018 seltsame Anomalien bei der Umwandlung von Myon-Neutrinos in Elektron-Neutrinos offenbart (die dritte Variante der Elementarteilchen heißt Tau-Neutrino, sie spielte hier nur eine Nebenrolle). Der Überschuss ließ sich mit einer vierten, hypothetischen Art von Neutrinos erklären. Diese Möglichkeit sorgte seitdem für rege Diskussionen, aber auch für Skepsis in der Community. Neutrinos lassen sich nicht direkt beobachten, sondern nur indirekt durch ihre gelegentlichen Wechselwirkungen mit herkömmlicher Materie, bei denen Lichtblitze entstehen. Solche Photonen können allerdings aus allerlei Quellen kommen, die sich nur sehr schwer ausblenden und herausrechnen lassen. Stammte das verdächtige Signal möglicherweise von einem unerkannten, weitaus weniger spektakulären Vorgang?

Das kleinere Experiment MicroBooNE sollte dem nachgehen. Es war darauf ausgelegt, den Ursprung der Lichtblitze präziser nachzuvollziehen. Fünf Jahre lang maß das Team und kam nach der Auswertung aller gesammelten Daten schließlich zum ernüchternden Urteil: Alle Messungen stimmen mit den Vorhersagen des Standardmodells überein, ein viertes Neutrino braucht es dafür nicht. Woher die überzähligen Signale beim Vorgängerexperiment kamen, bleibt somit offen. Die Möglichkeit, dass es doch noch eine unbekannte Art von Neutrino gibt, ist aber noch nicht völlig ausgeräumt – auch andere Experimente sammeln immer wieder entsprechende Hinweise. Neutrinos bergen einige Geheimnisse, so viel ist sicher. Ebenso sicher ist, dass Physikerinnen und Physiker noch einiges damit zu tun haben werden, sie zu enträtseln.

Neutrinooszillation

Neutrinos kommen in drei Arten vor und können sich ineinander umwandeln. Wenn eine Quelle (etwa ein Kernreaktor oder ein spezialisierter Beschleuniger) Teilchen einer bestimmten Sorte erzeugt, schwankt die Wahrscheinlichkeit, sie auf ihrem Weg weiterhin in diesem Zustand anzutreffen – je nachdem, welche Strecke L die Neutrinos zurücklegen und welche Energie sie haben. So misst ein Detektor unmittelbar beim Entstehungsort eine andere Zusammensetzung des Strahls als ein zweites, typischerweise hunderte oder tausende Kilometer entfernt installiertes Gerät.

  • Quellen
Abratenko, P. et al., Physical Review Letters 10.1103/x259-z6mf, 2025

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