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Verhaltenspsychologie: Teilen für den Frieden

Die Ngenika und die Wolimbka sind zwei indigene Stämme in Papua-Neuguinea. Außer ihrer Nachbarschaft im westlichen Hochland der Insel haben sie wenig gemein. Sie bekriegen sich nicht, aber sie treiben auch keinen Handel miteinander. Warum sollten sie also der jeweils anderen Sippe irgendetwas Gutes tun, wenn sie nicht selbst davon profitieren?
Dorf der Wolimbka im westlichen Hochland von Papua-Neuguinea
"Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht", lautet ein sarkastisches Sprichwort. Altruistisches Verhalten, von dem der Handelnde selbst erst einmal nicht profitiert, erscheint mit einer solchen Einstellung recht suspekt. Dennoch vermuten Anthropologen in dem aufopfernden Charakterzug einen Sinn – evolutionär gesehen hat das Samaritertum nämlich einen nicht zu unterschätzenden Nutzen: Es stärkt die Gruppenbande.

Teilen oder nicht – der evolutionären Theorie zufolge ist auch diese Frage größtenteils eine der Sippenzugehörigkeit. Denn eine möglichst gerechte Güterverteilung innerhalb der Gruppe beugt Konflikten vor und stärkt so den Zusammenhalt. Da jedoch die nächste Gruppe immer erst einmal die Familie darstellt, sollte der Theorie zufolge auch sie vom altruistischen Verhalten als erste profitieren. Parochialismus nennt der Soziologe dieses evolutionär gesehen vermutlich sehr früh entstandene Verhaltensmuster, als erstes an die nächsten Verwandten zu denken.

Hierzulande gilt Parochialismus vielerorts als eher negativer Charakterzug, der häufig mit der gemeinen Vetternwirtschaft gleichgesetzt wird. In den ländlichen Regionen Papua-Neuguineas jedoch bestimmt er als moralische Norm noch immer das Leben der Einwohner. Denn hier ist jeder seinem "Wantok" verpflichtet, der Gruppe, welche die eigene Sprache spricht. In einem Land mit etwa fünf Millionen Einwohnern und mindestens 800 verschiedenen Sprachen plus dazu gehörigen Dialekten sind das häufig nicht besonders viele Menschen – entsprechend stark ist der soziale Druck, den eigenen sozialen Verpflichtungen nachzukommen.

Auch die Ngenika und die Wolimbka achten ihren Wantok, weiß Helen Bernhard von der Universität Zürich durch einen längeren Aufenthalt in Papua-Neuguinea – und eignen sich deshalb bestens für eine Verhaltensstudie zum Thema. Zusammen mit ihren Kollegen Urs Fischbacher und Ernst Fehr gewann sie daher knapp 200 Mitglieder beider Sippen zu einem Bestrafungsspiel, bei dem eine Person die Möglichkeit erhielt, einen Geldbetrag mit einem zweiten Teilnehmer nach Gutdünken zu teilen oder aber den anderen leer ausgehen zu lassen. Der Geldbesitzer blieb hierbei jedoch nicht unbeobachtet: Ein dritter Proband wurde über seine Entscheidung informiert und konnte diese mit einem eigenen Geldbetrag abstrafen und ihn so um einen Teil des Gewinnes bringen.

Bestrafungsspiel mit Einwohnern Papua-Neuguineas | Die Wirtschaftsforscherin Helen Bernhard, die länger in Papua-Neugiunea gelebt hat, erklärt einem Einheimischen die Spielregeln in der Pidgin-Sprache Tok Pisin, die angesichts der Sprachenvielfalt eine wichtige Verständigungsmöglichkeit darstellt.
Die Ngenika und Wolimbka spielten dies nun in unterschiedlichen Konstellationen durch: Ngenika-Geldgeber und Wolimbka-Empfänger oder umgekehrt, aber auch Geber und Nehmer desselben Clans – und dazu abwechselnd ein Beobachter der beiden Dorfgemeinschaften.

Weil die Teilnehmer am stärksten ihrer eigenen Dorfgemeinschaft verpflichtet waren, vermuteten die Wissenschaftler, dass der Beobachter ungleiches Teilen des Geldbetrages nur dann bestrafen würde, wenn Geber und Nehmer derselben Gruppe angehörten – der Geber also seinen eigenen Wantok benachteiligt habe.

Doch die Forscher täuschten sich: Behielt der Geber von den zehn neuguineischen Kina, die einem Arbeiter-Tageslohn entsprechen, mehr als die Hälfte für sich, wurde er in allen möglichen Kombinationen etwa gleich stark bestraft – egal ob der benachteiligte Nehmer seinem eigenen Clan angehörte oder nicht. Selbst dann, wenn allein der Beobachter der anderen Dorfgemeinschaft angehörte und damit die Ungerechtigkeit der ungleichen Verteilung seine eigene Sippe gar nicht betraf, bestrafte er dennoch in über der Hälfte der Fälle – auf Kosten der eigenen Einnahmen.

Zwar war die Bestrafung eines egoistischen Geldbesitzers sehr viel höher, wenn alle Beteiligten der gleichen Gruppe angehörten. Doch die stärksten Bestrafungen erhielten die Geldgeber, wenn der Benachteiligte und der Beobachter der anderen Dorfgemeinschaft angehörten. Der Geldgeber wurde bestraft, obwohl er den anderen gegenüber laut Wantok eigentlich gar keine moralischen Verpflichtungen hatte.

Bernhard und ihre Kollegen vermuten, dass dies auch abschreckenden Charakter haben soll. Wer es wagt, meiner Sippschaft zu schaden, soll nicht ungeschoren davon kommen. Und in der Tat: Wussten die Geldgeber, dass der Beobachter der fremden Gemeinschaft zugehörte, behielten sie in der Regel weniger Geld für sich als wenn ein eigenes Dorfmitglied den Beobachter spielte. Sie verhielten sich also einerseits parochialistisch, andererseits versuchten sie, es nicht zu übertreiben. So, vermuten die Schweizer Forscher, konnten sie einerseits ihren moralischen Verpflichtungen ihrem Wantok gegenüber gerecht werden und andererseits verhindern, dass ihr Verhalten unnötige Feindschaften hervorrief.

Altruismus dient demnach nicht nur der Stabilisierung der eigenen Gruppenbande, sondern auch der Vermeidung von Spannungen zwischen mehreren Parteien. Friedliches Zusammenleben kostet eben einige Opfer.

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