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Corona-Simulation: Telefondaten deuten auf Superspreader-Orte

Handy-Bewegungsdaten deuten darauf hin, dass sich an einigen Orten besonders viele Menschen anstecken. Hier könnten Maßnahmen ansetzen, schlägt eine Arbeitsgruppe vor.
Je mehr Menschen Kontakt haben, desto größer die Chance, ein Virus weiterzugeben.

Mobilitätsnetzwerke statt Kontaktverfolgung, Telefondaten statt Fallstudien: Ein Computermodell auf Basis von Bewegungsprofilen liefert neue Indizien, wo und wie sich Sars-CoV-2 am besten verbreitet – und wie man es daran hindert. Wie die Arbeitsgruppe um Serina Chang von der Stanford University in »Nature« weiter schreibt, zeige das Modell einerseits, dass ein starker Rückgang der Mobilität auch zu deutlich weniger Fällen führt – und zwar je früher, desto besser. Andererseits legt die Arbeit des Teams nahe, dass auch bestimmte Orte quasi »Superspreader« sind – und dass gezielte Maßnahmen dort womöglich vergleichbar effektiv sind wie bevölkerungsweite Einschränkungen.

Die Simulation reproduziere gut die reale Entwicklung der Fallzahlen in zehn US-Metropolen samt Umland von Anfang März bis Anfang Mai, berichtet das Team, und könne auch die Entwicklung in bestimmten Zeiträumen mit diesem Modell vorhersagen. Grundlage sind anonymisierte Positionsdaten von Handy-Apps und die daraus erzeugten Bewegungsprofile. Die wiederum verbinden 57 000 Nachbarschaften – Gruppen aus bis zu etwa 3000 in einem Gebiet lebenden Menschen – mit 553 000 öffentlichen Orten aller Art, also Restaurants, Bibliotheken oder Geschäften.

So erhielt die Arbeitsgruppe ein dynamisches Netz mit 5,4 Milliarden Verbindungen pro Stunde, in dem sich das virtuelle Coronavirus ausbreitete. Wie Chang und ihr Team berichten, bilde die Computersimulation bereits mit einem sehr einfachen Verbreitungsmodell die grundsätzliche Dynamik der Epidemie ab. Das Modell zeige auch schon bekannte Effekte, zum Beispiel die höhere Gefährdung benachteiligter Gesellschaftsschichten.

Diese Übereinstimmung erlaubt den entscheidenden Blick auf das schlagende Herz der Pandemie: wann und wo sich Menschen mit dem neuen Coronavirus anstecken. Die präzisen Orts- und Verbindungsdaten in dem Modell ermöglichen detaillierte Auswertungen, an welchen Orten die Gefahr am größten ist. Ebenso wie bei Menschen sind die Ansteckungen sehr ungleich verteilt. In dem Modell fanden 85 Prozent der Infektionen an nur zehn Prozent der Orte statt. Ganz oben auf der Liste der Ansteckungsorte sind demnach Restaurants, Cafés und Fitnessstudios sowie religiöse Einrichtung. In Arztpraxen und Geschäften ist das Risiko geringer. Das deckt sich mit Befunden aus Fallstudien.

Der beste Weg, die Ansteckungszahlen zu senken und gleichzeitig möglichst viel Mobilität zu ermöglichen, sei deswegen, die Zahl der Menschen zu reduzieren, die sich gemeinsam in einem Raum aufhalten dürfen, schließt das Team um Chang aus seiner Simulation. Allerdings sind derlei Schlussfolgerungen noch mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sind Kinder und alte Menschen in den Daten unterrepräsentiert, so dass keine Aussagen über Schulen und Seniorenheime möglich sind – damit ist das Modell blind für zwei zentrale Aspekte der Coronavirus-Bekämpfung. Zum anderen ist das Ausbreitungsmodell des Virus in dem Netzwerk bisher sehr simpel gehalten. Deswegen ist unklar, welche Aussagen eine solche Simulation über konkrete Schutzmaßnahmen wie Masken machen kann.

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