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Gravity Probe B: Teure Probe aufs Exempel

Der Sonde Gravity Probe B gelang es zwar, Einsteins Theorie zu bestätigen. Doch der Preis dafür war zu hoch, sagen Kritiker und fordern mehr Wettbewerb unter den Missionen.
Teure Technik
Wissenschaftliche Großtat angesichts gewaltiger Hindernisse? Oder doch eher ein kostspieliges Projekt, dem besser die Starterlaubnis verweigert worden wäre? Beinahe ein halbes Jahrhundert Arbeit steckten Forscher in die "Gravity Probe B" – und 750 Millionen Dollar. Jetzt geht das älteste noch laufende NASA-Programm seinem Ende entgegen. Sein wissenschaftliches Ziel hat es zwar zu einem Gutteil erreicht. Doch die Kritik will einfach nicht verstummen.

Am 4. Mai 2011 stellten die Projektwissenschaftler die Früchte einer fünfjährigen akribischen Datenanalyse vor, deren Durchführung letzten Endes nur der Freigebigkeit einer saudischen Förderstiftung zu verdanken war. Das abschließende Urteil ist bei den "Physical Review Letters" eingereicht, lässt sich aber jetzt schon kurz und knapp zusammenfassen: Einstein hatte Recht. "Ich bin froh und erleichtert, dass wir das zu Ende gebracht haben", sagt Francis Everitt. Der Physiker der kalifornischen Stanford University stand dem Projekt seit seinem Beginn vor.

Teure Technik | Als "Gravity Probe B" schließlich ins All flog, hatten andere Missionen bereits im Wesentlichen dieselben Ziele erreicht. Ein Ranking mit ähnlichen Projekten würde offenbaren, wo teure Fehlinvestitionen drohen.
Für manche seiner Fachkollegen beweist Gravity Probe B allerdings eher eines: dass es sich lohnt, zukünftige Missionen in einen Wettbewerb um Fördergelder treten zu lassen. Nur so lasse sich der wissenschaftliche Ertrag aus den Millioneninvestitionen maximieren. "Ich denke, wir können viel aus Gravity Probe B lernen", meint beispielsweise Neil Cornish von der Montana State University in Bozeman. Seit Jahren schon zweifelt der Physiker am Wert der Mission.

Relativität auf dem Prüfstand

Der Startschuss für die Finanzierung des satellitengestützten Gravitationsmessers fiel bereits im Jahr 1963, als die notwendige Technik für Jahrzehnte noch gar nicht zur Verfügung stand. Erst 2004 konnte die Sonde in die Erdumlaufbahn geschossen werden – an Bord ein Gyroskop aus vier Quarzkugeln mit supraleitendem Niob-Überzug. Einmal auf über 5000 Umdrehungen pro Minute gebracht, erzeugen sie ein magnetisches Feld, mit dem noch feinste Lageveränderungen der Sonde in Bezug auf einen Referenzstern – IM Pegasi – gemessen werden konnten.

Zweck dieser Anordnung war es, zwei wichtige Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie zu bestätigen. Eine ist die geodätische Präzession, bei der die Krümmung der Raumzeit durch ein massereiches Objekt wie der Erde ein leichtes Schlingern der Gyroskope hervorruft. Der andere, wesentlich schwächere Effekt wird durch Gravitomagnetismus ausgelöst: das Verdrillen der Raumzeit durch die Rotation massereicher Objekte. Dieser so genannte Lense-Thirring-Effekt ähnelt dem Drehen eines Löffels in zähflüssigem Sirup. Den ersten Effekt bestätigte Gravity Probe B mit einer Genauigkeit von 0,3 Prozent, den zweiten mit 19 Prozent, erläutert Everitt.

Doch die geodätische Präzession wurde bereits mit annähernd derselben Exaktheit an Laserstrahlen gemessen, die von auf dem Mond stationierten Spiegeln reflektiert wurden. Und das Nachlaufen der Raumzeit trat mit gleicher Genauigkeit bei Schätzungen zu Tage, die aus Positionsdaten der Laser Geodynamics Satellites (LAGEOS) extrahiert wurden. Diese Sonden starten in den Jahren 1976 und 1992. Vor allem aber hatten die Entwickler der Gravity Probe B in der Planungsphase noch Genauigkeiten von 0.01 Prozent beziehungsweise 1 Prozent angepeilt.

Störungen im Betriebsablauf

Beide Teilergebnisse konnten überdies nur unter hohem Aufwand den Daten abgerungen werden, denn während der 17-monatigen Mission tauchten unerwartet elektrostatische Störungen auf, die insbesondere das Lense-Thirring-Signal verrauschten. "Es war eine heroische Datenrettungsaktion", meint Clifford Will von der Washington University in St. Louis, der Vorsitzende des Beirats von Gravity Probe B.

Andere sehen das weniger positiv. Die Komplexität der dazu notwendigen mathematischen Manöver zieht die Aussagekraft der Daten in Zweifel. "Es ist gut möglich, dass Forscher die Berechnung wiederholen und zu ganz anderen Resultaten kommen, wenn sie nicht dieselben Annahmen über die Eigenschaften der Störung zu Grunde legen", findet etwa Ignazio Ciufolini von der Università del Salento im italienischen Lecce, dessen Arbeitsgruppe 2004 die Schätzungen aus den LAGEOS-Daten vorgelegt hatte [1].

Raumzeit mit Dreh | Gravity Probe B hat zentrale Voraussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie bestätigt. Dazu beobachtete sie zwei winzige Veränderung in der Drehachse ihrer Gyroskope.
Eingedenk der Vielzahl bereits erfolgreicher Überprüfungen der Allgemeinen Relativitätstheorie sah sich auch die NASA im Jahr 1995 dazu veranlasst, ein Expertengremium zusammenzurufen. Es sollte klären, ob überhaupt noch Bedarf an Gravity Probe B bestand. Die Runde gab zwar grünes Licht, stellte aber die Mission nicht in direkten Vergleich zu anderen denkbaren Projekten. Ein Fehler, meint Cornish, schließlich würden die meisten gut ausgedachten Missionen sinnvoll aussehen, wenn man sie in Isolation anschaue. "Es ist pure Zeitverschwendung, Missionen für sich allein genommen zu begutachten." Everitt hält ihm entgegen, dass Gravity Probe B gleich mehrmals im Wettbewerb mit konkurrierenden Programmen begutachtet worden sei. Allerdings räumt auch er ein, dass für Experimente in der Grundlagenphysik nicht der gleiche Auswahlprozess gelten würde, mit dem astronomische Missionen auf ihren Nutzen hin bewertet werden.

Letzter Platz in puncto Ertrag

Als 2008 die eigentliche Auswertung der Messdaten anstand, saß Cornish in einem Gutachtergremium, das Gravity Probe B in puncto "wissenschaftlicher Ertrag pro Dollar" auf den letzten Platz von acht seinerzeit aktiven Missionen verbannte. Die NASA entschloss sich daraufhin zu einem außergewöhnlichen Schritt und kappte den Zufluss von Fördergeldern, ohne die Ergebnisse abzuwarten. Der federführenden Stanford University gelang es trotzdem, die Analysen am Laufen zu erhalten: Das Team um Everitt sammelte insgesamt 3,73 Millionen US-Dollar aus privater Hand. Den Löwenanteil stemmte die saudi-arabische Wissenschaftsförderungsgesellschaft King Abdulaziz City for Science and Technology (KACST), vermittelt durch Turki Al Saud, einen saudi-arabischen Prinzen mit PhD aus Stanford und Vizepräsident der Abteilung für Forschung bei KACST.

Dass die Mission nicht vergebens war, findet auch der Gravitationsexperte Bernard Schutz vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. Die Allgemeine Relativitätstheorie sollte auf möglichst viele Arten und Weisen überprüft werden, sagt er: "Dass alle immer wieder auf das gleiche Ergebnis kommen, ist doch genau das, was wir wollen in der Physik. Ich finde das jedenfalls fantastisch." Nur die Verzögerungen beim Start eines Satelliten, der sich als präzisere Variante von LAGEOS eignen würde, bekümmern den Forscher. Das Projekt wurde von Ciufolini bereits in den 1980er Jahren erdacht. "Wir könnten schon seit einem Jahrzehnt damit durch sein", findet Schutz.

Nun soll der Laser Relativity Satellite (LARES), dessen wissenschaftlicher Leiter Ciufolini ist, noch in diesem Jahr von der italienischen Weltraumagentur ins Weltall geschossen werden. Das Team plant, den verdrillenden Nachzieheffekt durch Beobachtung der Umlaufbahn von LARES zu messen, und zwar mit einer Genauigkeit von einem Prozent. Geradezu bescheiden nehmen sich die dafür veranschlagten Kosten aus: Ohne den Transport ins All belaufen sich auf gerade einmal 4 Millionen Euro.

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