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Dimensionen: Theoretisch ist das Universum möglich

Dreimal Raum und einmal Zeit - in diesen Dimensionen sehen wir die Welt. Was uns auf den ersten Blick einleuchtend erscheint, ist aus Sicht der Relativitätstheorie kompliziert verzerrt und mit dem Auge der Quantenmechanik unscharf und irgendwie zeitlos. Doch beherzte Wissenschaftler treten an, um mit ihren Berechnungen tapfer das Universum in der Realität zu halten.
Wer es extrem liebt, muss in der Wissenschaft Fantasie haben. Denn sobald es sich um richtig schwere Brocken, höchstes Tempo oder gewaltige Größenmaßstäbe dreht, geht Newtons Mechanik die Puste aus. Ab dann wird es relativistisch, und das bedeutet: Die Wirklichkeit ist nicht so, wie wir sie sehen. Vor allem Zeit und Raum machen verrückte Dinge. Statt fein säuberlich getrennt nebeneinander zu existieren, vereinigen sie sich zur vierdimensionalen Raumzeit, die obendrein noch verbiegbar ist. Wie eine Stahlkugel ein Sprungtuch nach unten ausbeult, verformen Massen die Raumzeit in ihrer Nähe, sodass andere Objekte auf sie zugelenkt werden und die Zeit umso langsamer verläuft, je stärker die Krümmung ist. Ziemlich abstrus, aber zugleich eine der wichtigsten und erfolgreichsten wissenschaftlichen Theorien der Physik.

Genauso wie die Quantenmechanik. Sie beherrscht das andere Ende der Größenskala. Wenn es so richtig winzig wird und Atome gigantisch wirken, greifen die Aussagen der Quantenmechanik. Selbst der berühmte Physiker Richard Feynman soll gesagt haben, dass niemand auf der Welt dieses theoretische Gebäude so richtig verstanden hat. Wie auch? Wenn Materie sowohl Eigenschaften von Teilchen und von Wellen hat, in verschiedenen widersprüchlichen Zuständen zugleich vorliegen kann und selbst der Raum auf dem Maßstab von 10-35 Metern körnig wird. Wo genau ein Teilchen sich befindet, ist prinzipiell nicht zu sagen, wenn man auch noch etwas über seine Bewegung wissen will. Die Welt löst sich auf in einer Art "Quantenschaum", in dem "daneben", "vorher" und "danach" ihre Bedeutung verlieren.

Das Erschreckendste an Relativitätstheorie und Quantenmechanik ist jedoch: Sie vertragen sich nicht miteinander! Seit 80 Jahren bemühen sich einige der klügsten und abstraktesten Köpfe darum, eine Brücke zwischen diesen erfolgreichen Theorien zu schlagen. Bislang ohne Erfolg. Doch vielleicht haben Renate Loll von der Universität Utrecht in den Niederlanden und ihre Kollegen nun den ersten Zipfel eines vereinigenden Bandes gefunden. Mit sorgfältigen Berechnungen haben die Forscher nachgewiesen, dass aus dem seltsamen Quantenschaum ein vierdimensionales Universum hervorgehen kann. Und aus der Beliebigkeit des Quantenkosmos eine Welt mit Kausalzusammenhängen.

Dafür zerlegten die Physiker den Quantenschaum in winzigste Dreiecke, die alle möglichen Konfigurationen repräsentieren mussten, da in der Quantenwelt ja jeder denkbare Zustand auch tatsächlich realisiert wird. In früheren Arbeiten von anderen Teams ergab dieser Ansatz stets die Aussage, dass unsere Raumzeit nur zwei Dimensionan hat oder unendlich viele. Lolls Gruppe ergänzte das Modell deshalb um eine Vorgabe: Innerhalb eines Dreiecks darf nichts schneller sein als das Licht. Damit gab es eine zeitliche Richtung, die schließlich den Durchbruch brachte: Ja, unter diesen Bedingungen kann es ein Universum mit drei Raum- und einer Zeitdimension geben!

Das Ergebnis mag ein wenig trivial erscheinen, denn wer zweifelt schon an der realen Existenz des Universums? Doch bei aller Bescheidenheit der Aussage ist es die erste tragfähige Verbindung zwischen Quantenmechanik und Relativitätstheorie, die sonst eher als bockige Konkurrenten auftraten. Insofern ist den niederländischen Wissenschaftlern eine wichtige diplomatische Annäherung gelungen, welche die Tür zu einer genialen übergeordneten Theorie einen kleinen Spalt geöffnet hat.

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