Mathematische Logik: Es kann keine Weltformel geben

Seit Jahrtausenden träumt die Menschheit von einer Weltformel: einer Theorie, die alles, was im Universum geschieht, erklären kann. Doch es gab auch schon immer Skeptiker, die daran zweifelten, dass eine solche »Theorie von Allem« überhaupt existieren könnte. Und wie sich nun zeigt, scheinen sie damit Recht zu haben. Physiker um Mir Faizal von der kanadischen University of British Columbia haben mathematisch dargelegt, dass eine potenzielle Weltformel niemals alle physikalischen Phänomene erklären kann und dabei widerspruchsfrei bleibt. Daraus folgern die Autoren in ihrer noch nicht begutachteten Studie, dass stets Vorgänge in der Natur vorkommen, die sich nicht exakt vorhersagen lassen.
Wenn in der Fachwelt von einer »Theorie von Allem« die Rede ist, geht es meist um eine Verbindung von Quantenphysik und Schwerkraft. Eine solche Quantengravitationstheorie soll sowohl Phänomene auf der allerkleinsten als auch auf der allergrößten Ebene beschreiben können: von Quarks, die sich zu Atomkernen verbinden, hin zu gigantischen Galaxienhaufen, die sich durch das expandierende All bewegen. Vor allem jedoch sollen auch Geschehnisse im Grenzbereich beider Welten erklärt werden, wenn Quanteneffekte wie auch die Schwerkraft eine Rolle spielen, etwa im Inneren Schwarzer Löcher. Die Hoffnung der Fachleute ist dabei, dass eine solche Quantengravitationstheorie eine fundamentale Theorie sein könnte, aus der sich alle Vorgänge auf der Welt ableiten lassen.
Eine Theorie der Quantengravitation gibt es bislang noch nicht. Auch wenn Forschende seit mehr als 100 Jahren daran arbeiten, gibt es heute zwar verschiedene, teilweise viel versprechende Ansätze, aber noch kein ausgereiftes Modell, das sich mit experimentellen Beobachtungen abgleichen lässt. Anstatt sich auf einen dieser Kandidaten zu stützen, haben Faizal und seine Kollegen vier grundlegende Eigenschaften untersucht, die eine Theorie der Quantengravitation mit sich bringen müsste, um als Weltformel zu gelten:
1. Effizienz: Die Theorie sollte auf endlich vielen Grundannahmen fußen, so genannten Axiomen.
2. Aussagekraft: Die Theorie muss genügend mathematische Struktur enthalten, um die grundlegendsten Berechnungen zu ermöglichen. Schließlich muss man mit mathematischen Mitteln Vorhersagen ableiten können.
3. Konsistenz: Die Theorie sollte weder mathematische noch physikalische Widersprüche enthalten.
4. Vollständigkeit: Die Theorie soll alle physikalischen Phänomene erklären können.
Wie Mir Faizal und sein Team in der aktuellen Arbeit mathematisch darlegen, kann keine Weltformel existieren, die alle vier Eigenschaften erfüllt. Hauptgrund dafür sind die Unvollständigkeitssätze, die der Logiker Kurt Gödel im Jahr 1931 veröffentlichte. Diese besagen, dass die Mathematik unvollständig ist: Es werden immer wahre Aussagen vorkommen, die nicht zu beweisen sind. Zudem lässt sich nicht garantieren, dass die Mathematik widerspruchsfrei ist. Das Team um Faizal zeigt nun, dass Gödels Argumente, die im 20. Jahrhundert die Fachwelt erschütterten, auch auf das Grundgerüst einer Weltformel anwendbar sind.
Manche Fragen bleiben für immer unbeantwortet
So konnte die Arbeitsgruppe belegen, dass es stets Aussagen (zum Beispiel über physikalische Vorgänge) geben wird, die mit einer Weltformel konsistent sind – auf deren Negation (also die umgekehrte Aussage) das allerdings ebenfalls zutrifft. Solche Fälle sind in der Quantenphysik bereits bekannt, so gibt es nachweislich Quantensysteme, für die sich aus mathematischer Sicht nicht beurteilen lässt, ob sie ein Leiter oder ein Isolator sind. Wie die Forschenden um Faizal nun argumentieren, tauchen solche Unentscheidbarkeiten notgedrungen ebenso in einer Quantengravitationstheorie oder einer anderen »Theorie von Allem« auf.
Die Physiker gehen in ihrer Untersuchung aber auch über die Erkenntnisse von Gödel hinaus. Denn auf seinen Unvollständigkeitssätzen bauen weitere Arbeiten auf, welche die Grenzen der Mathematik aufzeigen. So zum Beispiel der Undefinierbarkeitssatz von Alfred Tarski, der besagt, dass sich der Wahrheitsbegriff nicht innerhalb der Mathematik selbst definieren lässt. »Stephen Weinberg (ein renommierter Physiker, Anm. d. Red.) hatte argumentiert, dass – wenn wir eine vollständige Theorie der Quantengravitation hätten – sich alle wissenschaftlichen Wahrheiten rechnerisch aus den Axiomen dieser Theorie ableiten ließen. Tarskis Undefinierbarkeitssatz zeigt, dass dies unmöglich ist«, schreiben die Autoren in ihrer aktuellen Studie.
Darüber hinaus wenden die Fachleute noch ein drittes Logiktheorem auf eine potenzielle Weltformel an: das Unvollständigkeitstheorem von Gregory Chaitin. Dieses wendet die bisher genannten Erkenntnisse zu Unentscheidbarkeiten auf konkrete Berechnungen an. Demnach lassen sich gewisse Ereignisse, deren Komplexität ein bestimmtes Maß überschreitet (hierbei ist die Komplexität eines Objekts im Sinne von Kolmogorow als kürzeste Länge eines Algorithmus definiert, der nötig ist, um das Objekt zu beschreiben), nicht mehr berechnen. Sprich: Je komplexer die Fragestellung, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich nicht beantworten lässt. »Das Theorem von Chaitin hat tief greifende Auswirkungen auf die Quantengravitation«, schreiben die Autoren. »Viele wissenschaftliche Aussagen in der Quantengravitation, wie diejenigen, welche die Mikrozustände von Schwarzen Löchern beschreiben, sind hochkomplex« – und damit potenziell unentscheidbar. Die Physiker befürchten daher, dass Probleme wie das Informationsparadoxon von Schwarzen Löchern für immer ungeklärt bleiben könnten.
Da sich unentscheidbare Aussagen nicht vermeiden lassen, werden physikalische Theorien immer unvollständig bleiben. Wie Faizal und seine Kollegen argumentieren, wird stets eine übergeordnete »Metatheorie« nötig sein, die eine Weltformel begleitet. Erst mithilfe dieser Metatheorie ließe sich potenziell beweisen, dass eine Quantengravitationstheorie zum Beispiel widerspruchsfrei ist. Das wirft aus wissenschaftstheoretischer Sicht jedoch Probleme auf: Denn die Quantengravitationstheorie kann nicht fundamental – und damit eine Weltformel – sein, wenn sie auf eine übergeordnete Metatheorie angewiesen ist.
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