Tiefsee: Tiefstes Eisriff ist Heimat für zahlreiche Tiere

In mehr als 3600 Metern Tiefe haben Wissenschaftler vor der grönländischen Westküste ein eisiges Riff entdeckt, das aus gefrorenen Gashydraten besteht – das tiefste dieser Art, das bislang gefunden wurde. Und es steckt voller Leben, wie ein Team um Giuliana Panieri von der Universität von Venezien in Mestre berichtet: Das Ökosystem basiert auf Mikroben, die sich von austretenden Kohlenwasserstoffen und Sulfiden ernähren. Bisherige Gashydratriffe wurden in Wassertiefen von »nur« 2000 Metern nachgewiesen, wo Druck und Temperatur bereits ausreichen, damit sich flüchtige Kohlenwasserstoffe verfestigen können.
Auf das Riff aufmerksam wurden die Wissenschaftler, als sie während der Ocean Census Arctic Deep Expedition 2024 aufsteigendes Gas unter ihrem Schiff bemerkten. Sie schickten daher einen ferngesteuerten Tauchroboter in die Tiefe, der schließlich erhobene Strukturen auf dem Tiefseeboden entdeckte, die an die bekannten Schwarzen Raucher erinnern. Anders als bei diesen tritt hier jedoch kein heißes, sehr mineralreiches Wasser aus, sondern Methan, Sulfidverbindungen und sogar Rohöl. Um die Bestandteile zu analysieren, sammelten die Forscher mithilfe ihres Rovers Sediment- und Wasserproben.
In der Kälte und unter dem Druck des Tiefenwassers gefriert ein Teil des Methans zu Gashydraten, eisartigen Verbindungen aus Wasser mit gasförmigen Kohlenwasserstoffen. Diese Gashydrate finden sich beispielsweise in großen Mengen an den Kontinentalabhängen im Ozean und speichern mindestens 20 Prozent des globalen Methanvorkommens in einem relativ stabilen Zustand. Dass sie in Form der Freya-Hügel genannten Riffe derart tief vorkommen können, war allerdings noch nicht bekannt.
Trotz der extremen Bedingungen beobachteten Panieri und Co. zahlreiche Lebewesen im Umfeld der Gasaustritte, darunter Röhrenwürmer, Schnecken und Krebstierchen, die sich von den vorhandenen Bakterienrasen ernähren – oder von den Arten, deren Lebensgrundlage wiederum diese autotrophen Mikroorganismen sind.
Der Untersuchung der schweren Kohlenwasserstoffverbindungen zufolge könnte es sich um die Überreste von Pflanzen handeln, die während des wärmeren Miozäns Grönland vor 23 bis vor 5 Millionen Jahren besiedelt hatten. Diese organischen Substanzen wurden im Lauf der Zeit von Sedimenten überdeckt und entwickelten sich dann unter dem Druck unter anderem zu Erdöl und -gas. Der an der Studie beteiligte Meeresökologe Jon Copley von der University of Southampton vermutet in einer Mitteilung, dass es noch mehr dieser Eisriffe vor den grönländischen Küsten geben könnte. Das Leben an ihnen sei wahrscheinlich mitentscheidend für die Artenvielfalt der Tiefsee vor Ort.
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