Tiere verstehen: Was will die Katze uns sagen?

Das Miiiiaauuuu steigt noch vor der Morgendämmerung auf wie ein Fragezeichen – nur um im Lauf des Tages weitere kreative Formen anzunehmen. Wer mit einer Katze lebt, kennt ihre Laute: ein abgehacktes und weiches Miauen zur Begrüßung, leises Knurren zur Warnung oder ein schläfriges Schnurren. Mehr als 20 Kategorien für Katzenlaute haben Tierverhaltensforscher definiert – abhängig von Klang und Kontext. Dazu zählen etwa Miauen, Fauchen, Trillern, Jaulen und auch eine Art Schnattern.
Akademisch betrachtet gehört also jedes einzelne Miauen in die breite Kategorie »Miau«, die wiederum zahlreiche Varianten umfasst. Das stimmliche Repertoire der Hauskatze ist dabei übrigens deutlich vielfältiger als das ihrer meist schweigsamen wilden Verwandten. Forscher untersuchen sogar, ob Katzen in regionale Dialekte abdriften können, so wie auch die Sprache der Menschen entlang von Rhein oder Elbe variiert.
Doch allein mit dem Miauen ist es nicht getan, denn die Katzen verfügen noch über eine weitere Kommunikationsebene: die körperliche. So wie Menschen mit den Händen gestikulieren, mit den Schultern zucken, die Stirn runzeln und die Augenbrauen hochziehen, unterstreichen Katzen das »Gesagte« mit ihrem Fell und ihren Schnurrhaaren. Ein zuckender Schwanz verkündet Aufregung, abgeflachte Ohren signalisieren Angst, und ein langsames Blinzeln verheißt eine friedliche Stimmung. Felis catus ist eine geschwätzige Spezies, die im Lauf von Tausenden von Jahren der Domestizierung ihre Kommunikation perfekt auf den seltsamen Primaten abgestimmt hat, der den Kühlschrank öffnet.
Was genau Katzen aber mitteilen wollen, bleibt ihren menschlichen Mitbewohnern allzu oft ein Rätsel. Doch eine Lösung in Sicht. In Zukunft könnten ratlose Katzenbesitzer nämlich einfach eine Art Google Translate benutzen: eine App, die das Miauen aufnimmt und in Menschensprache übersetzt – »Schüssel nachfüllen, bitte.« Im Dezember 2024 hat das chinesische Unternehmen Baidu, das sich unter anderem auf künstliche Intelligenz spezialisiert hat, einen Patentantrag für ein Verfahren eingereicht, das Tierstimmen in menschliche Sprache umwandeln soll. Nicht nur die Laute der Tiere soll es erfassen, sondern auch Bewegungen wie Schwanzwedeln und Vitaldaten wie die Herzfrequenz oder die Körpertemperatur. All dies wird dann durch ein KI-System verarbeitet und in menschliche Sprache übersetzt.
Katzen miauen nur gegenüber Menschen
Der Traum von der Entschlüsselung der Katzensprache ist allerdings viel älter als das moderne Deep Learning, also jene Art von KI-basierter Datenverarbeitung, die den Traum nun möglicherweise wahr werden lässt. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts nahmen Forschende das Miauen auf Wachszylindern auf, und in den 1970er Jahren startete der britische Anthrozoologe John Bradshaw eine umfangreiche Aufzeichnung von Hauskatzen-Lauten und deren Bedeutungen. Mehr als 40 Jahre lang sammelte er. Am Ende kam er gemeinsam mit seiner damalige Doktorandin Charlotte Cameron-Beaumont zu dem Schluss, dass das ausgeprägte Miauen der Hauskatze einem ganz bestimmten Zweck dient: dem Umgang mit dem Menschen. Dafür spricht auch, dass erwachsene Katzen in wilden Kolonien fast gar nicht miauen. Sogar Hauskatzen untereinander nutzen Laute wie Miauen kaum, lediglich Jungtiere gegenüber ihren Müttern.
Doch obwohl die Kommunikation von Katzen gegenüber Menschen reich an Anekdoten ist, blieb die formale Literatur dazu bisher dünn: Es gibt zwar Hunderte von Abhandlungen über Vogelgesang und Dutzende über Delfinpfeifen, aber nur wenige über Katzenphonologie. Das könnte sich jetzt ändern, denn das maschinelle Lernen und die Erfolge künstlicher Intelligenz haben das Thema wiederbelebt.
2018 gab es einen ersten Hinweise darauf, dass Computer den Katzen-Code knacken könnten: Damals veröffentlichten der KI-Wissenschaftler Yagya Pandeya von der Kathmandu University und seine Kollegen CatSound, eine Bibliothek mit rund 3000 Aufnahmen, die zehn von den Forschenden definierte Arten von Katzenrufen abdecken – von Fauchen und Knurren bis hin zu Schnurren und Mutterrufen. Jede Aufnahme wurde dann von einer speziellen Software analysiert. Die Software wurde vorher anhand von Musik darauf trainiert, die »Form« eines Geräusches zu beschreiben, also beispielsweise wie sich die Tonhöhe verändert oder wie lang ein Geräusch dauert. Ein zweites Programm ordnete die Laute dann entsprechend den verschiedenen Typen von Katzenrufen zu.
Als das System später mit neuen Aufnahmen getestet wurde, die nicht Teil der Trainingsdaten waren, identifizierte es in 91 Prozent der Fälle den richtigen Ruftyp. Damit zeigte die Studie, dass die zehn von den Wissenschaftlern unterschiedenen Katzenlaute spezifische akustische Fingerabdrücke haben – und dass eine Maschine sie erkennt. Damit war erstmals klar, dass man Katzenlaute automatisch klassifizieren und damit möglicherweise auch übersetzen kann.
Katzen passen ihr Miauen an die Situation an
Seither hat sich in dem Forschungsfeld viel getan. 2019 veröffentlichten Fachleute der Universität Mailand eine Studie, die sich auf Laute konzentrierte, die gezielt an den Homo sapiens gerichtet sind. Dabei ordnete das Forschungsteam das Miauen drei unterschiedlichen Situationen zu: »Warten auf Futter«, »Isolation in ungewohnter Umgebung« und »Putzen«.
Das »Futter«-Miau unterscheidet sich deutlich vom »Wo bist du?«-Miau
Jedes Miauen übersetzten sie dabei in eine Zahlenfolge. Dabei stellten sie fest, dass sich das »Futter«-Miau deutlich vom »Wo bist du?«- oder dem »Putzen«-Miau unterscheidet. Nachdem sie ein Computerprogramm darauf trainiert hatten, diese verschiedenen Formen zu erkennen, testeten die Forscher ihr System ähnlich wie Pandeya und seine Kollegen: Sie konfrontierten es mit Lauten, die nicht Teil des Trainings waren. In bis zu 96 Prozent der Fälle erkannte es den richtigen Ruftyp. Die Studie legt damit nahe, dass Katzen ihr Miauen tatsächlich je nach Situation gezielt anpassen.
Das Softwareunternehmen Akvelon übertrug die Forschungsergebnisse schließlich auf das Smartphone: Die App MeowTalk kann Miauen angeblich in Echtzeit übersetzen. Zum Entwicklerteam gehören unter anderem einer der Forscher von der Universität Mailand sowie ein ehemaliger Alexa-Ingenieur. MeowTalk nutzt maschinelles Lernen, um Tausende eingesendeter Katzenlaute nach Absichten zu kategorisieren, etwa »Ich habe Hunger«, »Ich habe Schmerzen« oder »Ich werde angreifen«.
Eine Validierungsstudie von MeowTalk aus dem Jahr 2021 gibt an, dass die KI in fast 90 Prozent der Fälle richtigliegt. Sollten Katzenbesitzer der Ansicht sein, dass eine Übersetzung falsch ist, können sie diese Rückmeldung in die App eingeben. Daraus lernt dann die dahinterliegende KI.
Systeme zerlegen Katzenlaute wie Fotos
Mit Blick auf die zu Grunde liegenden Algorithmen behandeln die Systeme Katzentonspuren nicht anders als Fotos. Ein aufgenommenes Miau wird zunächst zu einem Spektrogramm: Eine Achse steht für die Zeit, die andere für die Tonhöhe, und Farben oder Helligkeit zeigen die Lautstärke an. Genauso wie KI-Systeme die Schnurrhaare einer Katze auf einem Foto erkennen können, klassifizieren sie auch solche Klangbilder in Form von Spektrogrammen. Dabei können sie die subtilen Unterschiede zwischen verschiedenen Arten von Miauen unterscheiden. Im Jahr 2024 haben Forscher der Universität Duzce in der Türkei dieses »akustische Auge« weiterentwickelt: Sie speisten Spektrogramme in ein so genanntes Vision-Transformer-Modell ein – ein System künstlicher Intelligenz, das die Bilder in Kacheln zerlegt und jeder ein Gewicht zuweist. Dadurch lässt sich ermitteln, welche Teile des Tons dem Miauen seine Bedeutung geben.
Auf der Plattform ResearchGate veröffentlichte der Unternehmer Vlad Reznikov im Mai 2025 zudem eine noch nicht von Fachkollegen überprüfte Vorabversion über die so genannte Feline Glossary Classification 2.3. Dieses System kennt sogar 40 verschiedene Rufarten im Katzenvokabular und teilt sie in fünf Verhaltensgruppen ein. Reznikov verwendet ein maschinelles Lernsystem, um die Klangformen innerhalb einzelner Laute zu identifizieren, und ein weiteres, um zu analysieren, wie sich diese Formen im Verlauf einer einzelnen Vokalisation – also während eines Lautes oder einer Lautsequenz einer Katze – verändern. Heulen dehnt sich, Schnurren pulsiert, und viele andere Lautäußerungen zeigen eigene charakteristische Muster.
Laut Reznikovs Vorabdruck erkennt das Modell Katzengeräusche mit einer Genauigkeit von über 95 Prozent – in Echtzeit. Die Begutachtung der Veröffentlichung steht zwar noch aus, aber wenn das System zuverlässig ein gelangweiltes Jaulen von einem »Wo ist mein Lachs?«-Trällern unterscheiden kann, könnte es zumindest eine Menge Teppiche retten.
Das Vorhaben des chinesischen Unternehmens Baidu geht dabei noch über die reine Klanganalyse hinaus. Laut der Patentschrift stellen sich die Entwickler eine Katze mit einer Art Fitnesstracker vor, der mit einem Babyfon verbunden ist. Darüber erklärt ein KI-Assistent dem Menschen dann, was die Katze sagen möchte. Es bleibt abzuwarten, ob die Kombination dieser Daten die Botschaft des Tieres klarer macht oder eher für Verwirrung sorgt.
»Ich finde es positiv, dass sowohl die Forschungsgemeinschaft als auch die Tierhalter die Technologie annehmen«Brittany Florkiewicz, Evolutionspsychologin
Immer mehr Apps für Haustierbesitzer
Doch nicht nur über die Analyse von Lauten wollen Forschende Tiere und deren Aktivitäten besser verstehen. Die Evolutionspsychologin Brittany Florkiewicz etwa untersucht, wie Katzen die Gesichtsausdrücke anderer Katzen nachahmen. Dabei setzt sie ebenfalls auf maschinelles Lernen. Sie korreliert die Gesichtsausdrücke mit anderen Daten wie der physischen Distanz zwischen den Tieren und schließt so auf ihre Beziehung. »Generell beschleunigt das maschinelle Lernen den Forschungsprozess und macht ihn sehr effizient und genau – vorausgesetzt, die Modelle werden richtig eingesetzt«, sagt sie. Die wachsende Zahl von Apps für Haustierbesitzer zeige, wie sehr die Menschen über innovative Wege nachdenken, um ihre Haustiere besser zu versorgen. »Ich finde es positiv, dass sowohl die Forschungsgemeinschaft als auch die Tierhalter diese Technologie annehmen«, meint sie.
Das Interesse an der Vokalisierung von Tieren endet allerdings nicht bei Katzen. Es erstreckt sich zum Beispiel auch auf deren Lieblingsgericht: Mäuse. Das maschinelle Lernsystem DeepSqueak, das der Psychologe Kevin Coffey von der University of Washington mit seinem Team entwickelt hat, macht im Fall von Mäusen genau das, was andere Systeme bei Katzen tun. Für Menschen ist diese Welt noch viel rätselhafter, auch weil wir die Töne der Nager teilweise nicht hören können. Mäuse singen komplexe Lieder, um füreinander attraktiv zu sein, erzählt Coffey: »Das Balzverhalten von Mäusen ist wirklich interessant.« Mäuse und Ratten kommunizieren normalerweise im Ultraschallbereich. Maschinelles Lernen entschlüsselt dieses für uns unhörbaren Zirpen und Pfeifen und korreliert die Laute mit den Umständen, unter denen die Mäuse sie im Labor von sich geben.
Coffey betont jedoch, dass »der tierische Kommunikationsraum durch das definiert wird, was für die Tiere und ihr Leben wichtig ist: Eine Ratte, eine Maus oder eine Katze sind vor allem daran interessiert mitzuteilen, dass sie soziale Interaktion, Spiel, Futter oder Sex wollen, dass sie Angst haben oder verletzt sind.« Deshalb ist er skeptisch gegenüber den großspurigen Versprechungen von KI-Firmen: »Es ist völliger Unsinn, dass wir den konzeptionellen semantischen Raum der Tiersprachen in unseren integrieren und dann direkt übersetzen können.« Viel interessanter sei es, Stimmen aufzuzeichnen und zu kategorisieren und sie dann mit dem Verhalten der Tiere in Beziehung zu setzen. So erfahre man mehr über das Leben der Tiere und dessen Komplexität.
»Notwendig ist eine solche App nicht, denn Menschen kommunizieren bereits auf dieser Ebene mit ihrem Tier«Kevin Coffey, Psychologe
Er glaube zwar, dass eine App den Menschen helfen könnte, ihre Katze besser zu verstehen und zu erkennen, wann sie zum Beispiel hungrig ist oder gestreichelt werden möchte. Notwendig sei eine solche App aber nicht: »Das können wir schon ziemlich gut. Haustierbesitzer kommunizieren nämlich bereits auf dieser Ebene mit ihrem Tier.«
Artübergreifende Kommunikation
Domestizierte Tiere kommunizieren übrigens auch artübergreifend. In einer Studie aus dem Jahr 2020 zeigten Fachleute, dass Hunde und Pferde sich aneinander anpassen, wenn sie miteinander spielen. Sie ahmen die entspannte Mimik des anderen nach, und sie gehen sogar so weit, sich selbst in ungünstige oder gar gefährliche Situationen zu bringen, um das Spiel im Gleichgewicht zu halten. Florkiewicz glaubt, dass dies zum Teil ein Resultat der Domestizierung sein könnte: Der Mensch habe die Tiere, mit denen er zusammenleben wollte, nach ihren kommunikativen Eigenschaften ausgewählt, denn das erleichtert das gemeinsame Leben.
Die Geschichte von Mensch und Katze nahm vor rund 12 000 Jahren ihren Anfang – in den Getreidespeichern neolithischer Dörfer im Fruchtbaren Halbmond, wo Wildkatzen auf Beutejagd gingen. Wir hatten also mehr als genug Zeit, um uns einander anzunähern. Spätestens um 7500 v. Chr. wurde auf Zypern – einer Insel ohne einheimische Katzen – erstmalig ein Mensch gemeinsam mit einer Katze bestattet. Später verehrten die Ägypter sie; Händler, Seeleute und schließlich die Wikinger nahmen sie mit auf ihre Schiffe. So kamen Katzen in jeden Winkel der Erde.
Heute setzen Wissenschaftler die aktuell ausgefeilteste Technologie der Menschheit ein, um das Innerste dieser Tiere zu ergründen. Aber vielleicht war es auch andersherum, und es waren die Katzen, die die ganze Zeit über uns beeinflusst haben. Und vielleicht beurteilen sie unsere Software mit derselben kühlen Gleichgültigkeit, mit der sie neuen Spielsachen begegnen. Sprache ist schließlich nicht bloß ein Etikett, sondern eine ausgehandelte Bedeutung – und Katzen, als Meister der Zweideutigkeit, ziehen womöglich ein kleines Geheimnis vor.
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