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Verhaltensforschung: Tierische Erdarbeiten

Sie kommunizieren mit Gesten, nutzen Werkzeuge, jagen mit Speeren und führen Krieg: Unsere nächsten Verwandten sind uns nicht nur in ihren Genen ähnlich, Schimpansen ermöglichen uns auch einen Blick in die ferne Vergangenheit der Menschwerdung. Neuestes Beispiel: die Nahrungssuche mit Hacke und Schaufel.
Mingus
Schütteres Waldland überzieht die Hochplateaus und Senken der Ugalla-Region im Westen Tansanias. Glühend heiß, kahl und braun während der Trockenzeit bietet es den hier lebenden Tieren und Menschen phasenweise ein klägliches Auskommen – vor allem wenn sie hohe Nahrungsansprüche pflegen. Und dennoch könnte einst die Wiege der Menschheit so ausgesehen haben: Unter einem ähnlichen klimatischen und ökologischen Szenario soll sich vor rund fünf Millionen Jahren ein ursprünglich im dichten Wald lebender Primat auf zwei Beine aufgerafft und anschließend die Welt erobert haben.

Ugalla-Wald | Sah so einst auch die Wiege der Menschheit aus? In einem ähnlich schütteren Trockenwald könnte sich vor etwa fünf Millionen Jahren ein Primat zum aufrechten Gang entschlossen haben.
Nur gewandelte Geschmäcker konnten dies den Hominiden ermöglichen: Nahrung war im Gegensatz zum ursprünglichen feuchten Regenwald nicht mehr stets verfügbar, flüchtete oder verbarg sich hinter starken Schalen und versteckte sich im Boden, um ungünstige Phasen zu überdauern. Fossile Zähne und Kiefer bezeugen, dass vor etwa drei bis vier Millionen Jahren die bevorzugte Kost wechselte und heftigeres Kauen angebracht war. Flexibilität und Geschick waren gefordert, um die vorhandenen Ressourcen gewinnbringend zu nutzen. Sie revolutionierten letztlich das Gehirn wie die geistigen Fähigkeiten der Menschahnen und regten sie zum Größenwachstum an.

Statt Früchten und leicht zu verzehrenden Insektenlarven standen nun Nüsse und energiereiches Fleisch auf dem Speiseplan, aber auch unterirdische Speicherorgane von Pflanzen könnten eine Rolle gespielt haben – doch gehen hier die Meinungen weit auseinander. Denn im Gegensatz zu rudimentären Steinwerkzeugen zum Nüsse knacken oder Fleisch zerschneiden und deren Spuren an bearbeiteten Knochen hat man bislang noch nichts gefunden, was für effektive Grabungsarbeiten tauglich gewesen wäre. Geräte dieser Art waren aber wohl auch damals dringend nötig, da die Böden in dieser heißen Gegend oberflächlich steinhart austrocknen – mit den Händen allein waren Zwiebeln oder Knollen für die Australopithecinen nicht erreichbar.

Schimpansen-Werkzeuge | Mit diesen Holzstöcken und Rindenstücken haben Schimpansen womöglich im Boden gegraben, um an nahrhafte Knollen und Wurzeln zu gelangen.
Schieden die nährstoffreichen Pflanzenteile daher als Evolutionsturbo aus? Oder fehlen schlicht die Belege für die nötigen Erdarbeiten zur Nahrungsgewinnung – etwa weil die eingesetzten Hilfsmittel vergänglich waren und spurlos verwitterten? Die Schimpansen des Ugalla-Waldlandes könnten diese Fragen nun vielleicht etwas klären, wenn sich die Beobachtungen von Primatenforschern um Travis Pickering von der Universität von Witwatersrand in Johannesburg bestätigen.

Während ihrer Forschungsarbeiten an der kleinen örtlichen Population von Pan troglodytes schweinfurthii, der östlichsten Unterart der Schimpansen, entdeckten sie direkt unter Schlafplätzen der Tiere immer wieder zahlreiche merkwürdige Löcher im Böden. Gleichzeitig lagen ausgekaute oder angedaute Faserbüschel von Wurzeln und Knollen verstreut in der Gegend, was auf regen Konsum der Pflanzenteile schließen lässt – darunter beispielsweise mit dem Ostindischen Pfeilwurz (Tacca leontopetaloides) auch Arten, die von Menschen genutzt werden, und andere, die rohen Kartoffeln gleichen. Da keine anderen Säugetierspuren als jene der Affen zu finden waren, verursachten also wirklich die Schimpansen die Bodenarbeiten und das anschließende Mahl.

"Unterirdische Nahrung war für die frühen Hominiden greifbar"
(James Moore)
Doch mit den bloßen Händen hatten die Primaten das Erdreich nicht aufgebrochen, um an die nahrhafte Kost zu gelangen. Denn an drei der insgesamt elf bearbeiteten Lagerstätten stießen die Forscher auf natürliche Werkzeuge, die augenscheinlich als Hacke und Schaufel eingesetzt worden waren: darunter Holzstöcke mit abgenutzten und dreckverkrusteten Spitzen an den jeweils stärkeren Seiten sowie Rindenstücke, die wohl zum Aufkratzen der Erdoberfläche gedient hatten – für die Wissenschaftler deutliche Belege, dass die Primaten eine weitere technische Innovation für sich erschlossen haben. Kurz zuvor hatte eine andere Forschergruppe im westafrikanischen Senegal gesehen, wie Schimpansen mit Speeren kleinere Affen jagen.

Auf Forschungstrip in Tansania | Einer der beteiligten Wissenschaftler durchstreift den Trockenwald von Ugalla auf der Suche nach Schimpansen und ihren Schlafplätzen.
In Ugalla fehlen hingegen noch direkte Beobachtungen wühlender Schimpansen. Dennoch lassen sich aus den Indizien Rückschlüsse auf das Leben der Australopithecinen ziehen, die eine ähnliche Hirngröße und Handformung hatten: "Wir können nicht linear daraus folgern, dass unsere Vorfahren damals genauso handelten wie die Primaten heute. Die Ugalla-Schimpansen legen jedoch nahe, dass unterirdische Nahrung für die frühen Hominiden greifbar war", so der an den Arbeiten beteiligte James Moore von der Universität von Kalifornien in San Diego.

"Dies bringt unsere aktuellen Hypothesen ins Wanken"
(James Moore)
Nur eines passt nicht ganz ins Bild. Theoretisch sollten die Affen – wie die Australopithecinen – nur in den trockenen Notzeiten auf die mühselig erreichbare Kost zurückgreifen. Doch daran hielten sich die Tiere nicht, sie degustierten ausschließlich während der Regenzeiten die Nahrung aus der Erde, obwohl es ringsum an leichter zugänglichem Fressbaren nicht mangelte. "Dies bringt unsere aktuellen Hypothesen ins Wanken, was diese Pflanzenteile für die Entwicklung der Hominiden bedeuteten", kommentiert Moore.

Einige der gesuchten Wurzeln weisen jedoch pharmazeutischen Wert auf, sodass die Schimpansen sie vielleicht eher als natürliche Apotheke denn als Magenfüller nutzen wollten. Es bietet sich aber auch noch eine weniger romantische Erklärung an: Die Böden Ugallas verbacken während der Trockenzeit dermaßen hart, dass die Forscher sie selbst mit modernem Werkzeug kaum aufbrechen konnten.

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