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Tierische Navigation: Bienen nutzen kognitive Landkarte

Präzisionsnavigation trotz winzigem Hirn: Bienen scheinen über eine Art innere Umgebungskarte zu verfügen - ganz ähnlich wie der Mensch. Das zeigte sich, als Forscher den Sonnenkompass trickreich störten.
Karte im Kopf

Bienen nutzen, wie Vögel und Schmetterlinge, einen Sonnenkompass zur Navigation. Säugetiere hingegen finden ihren Weg meist durch Landmarken, die sie auf einer kontinuierlichen Landkarte im Hirn verorten. Nun jedoch zeigen neue Forschungen: Auch Bienen könnten diese Art der Navigation verwenden – eine Leistung, die man ihnen angesichts ihres winzigen Gehirns kaum zutrauen mag.

Unser Wissen um die komplexe Navigationsfähigkeit der Bienen könnte um eine Dimension reicher geworden sein. "Es ist überraschend, dass ein derart kleines Gehirn zu solchen umfassenden Erinnerungen in der Lage ist, dass man sie als kognitive Karte bezeichnen kann", sagt Studienautor und Neurobiologe Randolf Menzel von der Freien Universität Berlin.

Karte im Kopf | Im Bienenhirn, genauer gesagt den beiden Pilzkörpern, scheint sich ein Navigationssystem zu verbergen, das komplexer ist als gedacht.

Die jetzt von ihnen veröffentlichte Arbeit zeigt, dass die Tiere bei ihrem Rückweg zum Stock nicht auf die Sonne angewiesen sind. Stattdessen scheinen sie auf eine Art kognitive Karte zurückzugreifen, die aus im Gedächtnis gespeicherten Schnappschüssen der Landschaft besteht.

Auf unbekannten Wegen nach Hause

Im Säugetiergehirn ist es der Hippocampus, der als Ursprung der kognitiven Karte gilt. Auf ihre Dienste greifen wir Menschen tagtäglich zurück, zum Beispiel wenn wir spontan mit dem Finger in Richtung unseres Zuhauses weisen – das funktioniert oft selbst in fensterlosen Gebäuden. Wir orientieren uns dabei, indem wir unsere eigene Position zur Umgebung in Beziehung setzen.

Menschen "können im Allgemeinen in Richtung auf ihr Zuhause zeigen, auch wenn sie es nicht sehen können und der Weg dahin durch eine Wand verläuft, die sie nicht passiert haben", erklärt Fred Dyer, Verhaltensbiologe von der Michigan State University in East Lansing, der an der aktuellen Studie nicht beteiligt war. Bienen, so schlussfolgern nun die Forscher um Menzel, scheinen zu etwas ganz Ähnlichem in der Lage zu sein, allerdings auf niedrigerem Niveau.

"… ein erster, wenn auch flüchtiger Einblick in die kognitive Welt der Bienen."Fred Dyer

Das testeten sie mit einem Trick: Sie brachten den Sonnenkompass ihrer Bienen durcheinander, indem sie ihnen ein Anästhetikum gaben und so die innere Uhr der Tiere verstellten. Nach dem Aufwachen wurden die Tiere von Menzel und Kollegen einige hundert Meter vom Stock entfernt frei gelassen. Die Forscher nutzten dann ein so genanntes harmonisches Radar, um den Flugweg der besenderten Tiere nachzuverfolgen.

Bienen flogen zunächst falsch, dann machten sie kehrt

Wurden die Bienen an einer ihnen nicht näher bekannten Stelle freigesetzt, schlugen sie zunächst die falsche Richtung ein, flogen also vom Stock weg statt darauf zu. Dafür machen die Wissenschaftler den verdrehten Sonnenkompass verantwortlich: Wegen der verschobenen inneren Uhr dachten die Bienen, es sei Morgen, und irrten sich folglich auch in ihrer Annahme, wo die Sonne stehen müsste. "Dann aber machen sie kehrt und ignorieren die Information aus dem Sonnenstand", sagt Menzel. "Sie scheinen sich auf etwas anderes zu beziehen" – vermutlich eben eine kognitive Landkarte, meinen der Forscher und sein Team.

Laut Dyer liefert die Studie von Menzel und Kollegen gute Belege dafür, dass Bienen nicht mittels einer Art Vektoraddition navigieren, die am Sonnenstand verankert ist: "Es bedeutet immer einen Fortschritt, wenn man eine Hypothese ausschließen kann." Mit dem Einsatz des Radars und des Narkosemittels hätten es die Berliner Forscher geschafft, einen ersten, wenn auch flüchtigen Einblick in die kognitive Welt der Bienen zu bekommen, lobt Dyer.

Allerdings sei er noch nicht davon überzeugt, dass Bienen tatsächlich mit Hilfe einer inneren Karte navigieren. Die Insekten könnten sich auch an Geländemerkmalen orientieren, die von der Sonne unabhängig sind, ganz ähnlich wie ein Seemann, der Leuchttürme als Anhaltspunkte verwendet. Das sei nicht dasselbe wie eine kognitive Karte, die es ihrem Besitzer ermöglicht, einen noch nie begangenen Weg zu einem nicht sichtbaren Ziel zu finden, ohne dabei auf Orientierungsmarken angewiesen zu sein.

Menzel hofft darauf, seine Ergebnisse bei künftigen Studien weiter verfeinern zu können. Seiner Meinung nach enthält die kognitive Karte der Bienen keine Details, sondern hilft ihnen nur, sich an grobe Zusammenhänge in ihrer Umgebung zu erinnern. Noch genaueren Einblick in die Geisteswelt der Insekten sollen jetzt Laborversuche liefern: Menzel plant, die Nervensignale von Bienen aufzuzeichnen, während die Tiere durch Irrgärten fliegen, in der Hoffnung, mehr über ihre kognitiven und navigatorischen Leistungen in Erfahrung zu bringen.

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