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Verhaltensforschung: Tierische Steinzeit

In Experimenten konnten Kapuzineräffchen schon öfter unter Beweis stellen, dass sie knifflige Probleme mit Hilfe von Werkzeugen lösen können. Für ihre freilebenden Artgenossen sind solche intelligenten Verhaltensweisen eine Selbstverständlichkeit.
Kapuzineräffchen
Solange der Regen fällt, leben die Kapuzineräffchen (Cebus apella libidinosus) im brasilianischen Serra da Capivara Nationalpark wie im Schlaraffenland: Die Früchte wachsen den vorwiegend auf Bäumen lebenden Tieren quasi direkt in den Mund. Doch mit dem bequemen Leben ist es aus, wenn die Trockenzeit beginnt. Dann steigen die Äffchen aus den Wipfeln herab und suchen auch auf dem Boden nach Nahrung. Dort locken in der Erde verborgen Wurzeln und Knollen – doch wie sollen die Tiere an die Leckereien herankommen? Mit bloßen Händen ist das Graben schließlich sehr mühsam.

Kapuzineraffe | Ein männlicher Kapuzineraffe im Geäst
In Gefangenschaft lebende Kapuzineraffen benutzen in schwierigen Situationen Werkzeuge, um derartige Probleme zu lösen. In freier Wildbahn hingegen wurden sie bisher kaum einmal beim Gebrauch technischer Hilsmittel beobachtet. Antonio de A. Moura und Phyllis Lee vom Darwin College der Universität Cambridge fanden nun heraus, dass die kleinen Primaten in Brasilien fast täglich mit Hilfe von Werkzeugen auf Nahrungssuche gehen [1].

Am häufigsten suchen sich die Affen Steine als Hilfsmittel, um sich Knollen, Wurzeln und Insekten auszugraben. Dazu schlagen sie mehrmals mit dem Stein auf den Boden und scharren gleichzeitig mit der anderen Hand die gelockerte Erde beiseite. Diese Technik ist nicht etwa eine Exklusiventwicklung einer einzigen Affenhorde, sondern unter den brasilianischen Kapuzuineräffchen weit verbreitet: Die Forscher beobachteten sie bei mehreren Gruppen, die weiter als zwanzig Kilometer auseinander leben.

Steine dienen den geschickten Primaten aber nicht nur als Schaufel, sondern auch als Hammer: Sie klopfen damit Samen und hohle Äste auf und zerkleinern sich Knollen zu mundgerechten Häppchen. Auch Stöcke, denen sie häufig zuerst einmal die Blätter entfernen, setzten sie bei der Futtersuche ein. Sie stochern mit ihnen in Löchern und Ritzen nach Insekten, Honig oder Wasser.

Nahrungsengpässe können also offenbar den Erfindergeist anregen und Tiere zum Werkzeuggebrauch animieren. Den brasilianischen Kapuzineraffen eröffnen diese technischen Hilfsmittel mindestens drei neue Nahrungsquellen, die ihnen sonst verschlossen blieben: die Wurzeln von Thiloa glaucocarpa, die Samen von Maniokpflanzen sowie die Früchte des Amberbaums (Hymenaea courbaril).

Derartige kognitve Bewältigungen von Umweltproblemen sind aber keineswegs ein Monopol von Primaten. Auch andere Tiere setzen bei der Futtersuche Werkzeuge ein – vor allem Rabenvögel verwenden sie in freier Wildbahn und zeigen sich in Gefangenschaft immer wieder geschickt darin, die ihnen gestellten Aufgaben zu lösen. Nathan Emery und Nicola Clayton von der Universität Cambridge verglichen nun verschiedene Experimente mit Rabenvögeln mit den komplexen kognitiven Leistungen von Affen. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass für intelligente Handlungen wie den Gebrauch von Werkzeugen vier kognitive Faktoren notwendig sind [2].

Zunächst müssen die Tiere verstehen, wie die benutzten Werkzeuge funktionieren; kämen sie ja sonst gar nicht auf die Idee, sie auszuprobieren – außer ihnen wäre die Verhaltensweise angeboren. Affen und Vögel verfügen aber noch über eine weitere Fähigkeit: Flexibilität: Sie sind in der Lage, in verschiedenen Situationen eine generelle Regel zu erkennen und dieser entsprechend flexibel zu reagieren. Als weitere Voraussetzung für intelligentes Handeln bringen sie ein gewisses Maß an Imagination mit: Sie können sich im Geist einen Lösungsweg vorstellen, bevor sie diesen ausprobieren. Und schließlich überlegen sich sowohl Rabenvögel als auch Primaten ein Stück weit, was auf sie zukommen könnte. So verstecken Vögel Nahrung in der Erwartung, später einmal Hunger und gerade nichts Essbares in Schnabelnähe zu haben, und Affen schleppen Steine mit sich herum in der Annahme, diese bei Gelegenheit als Werkzeug verwenden zu können. Die Tiere legen also eine gewisse Voraussicht an den Tag.

Emery und Clayton nehmen an, dass die Kombination dieser vier Fähigkeiten, nämlich Ursachenkenntnis, Flexibilität, Imagination und Prospektion, die Grundlage intelligenten Handelns ist. Da sich die Gehirne von Vögeln und Affen jedoch in ihrer Struktur unterscheiden, müssen sich die kognitiven Fähigkeiten in den beiden Tierklassen unabhängig voneinander auf Grund ähnlicher Anforderungen in konvergenter Evolution entwickelt haben. Intelligenz ist also keineswegs zwangsläufig auf ganz bestimmte Hirnstrukturen angewiesen.

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