Direkt zum Inhalt

TILLING-Verfahren: Gene verändern ohne Gentechnik

Per Mutagenese entstehen neue Pflanzensorten zunächst rein zufällig. Die TILLING-Methode sucht anschließend aber im Erbgut der Gewächse gezielt nach bestimmten Veränderungen.
Eine Nahaufnahme einer blauen DNA-Doppelhelix vor einem dunklen Hintergrund. Ein Abschnitt der Helix ist hervorgehoben und leuchtet in einem hellen Gelbton, was auf eine besondere Bedeutung oder Veränderung hinweist. Es sind keine Menschen im Bild. Das Bild vermittelt ein wissenschaftliches Thema, möglicherweise Genetik oder Biotechnologie.
Mit erbgutverändernden Chemikalien lassen sich Punktmutationen ins Genom einer Pflanze einführen. Sie betreffen jeweils einen einzelnen »Buchstaben« des genetischen Codes und verteilen sich zufällig über das gesamte Erbgut. Moderne DNA-Sequenzierungsmethoden erlauben es, aus der Vielzahl erzeugter Mutanten solche auszuwählen, die sich zum Weiterzüchten eignen.

Auf Nutzpflanzen richten sich heutzutage große Erwartungen. Da sie die wichtigste Nahrungsquelle der Menschheit sind, sollen sie hohe Erträge bringen, wohlschmeckend sein und bei alldem möglichst wenig empfindlich oder sogar resistent gegenüber Schädlingen. Angesichts des voranschreitenden Klimawandels sollen sie außerdem noch Hitze, Wassermangel und versalzte Böden tolerieren können. Herkömmliche Formen der Pflanzenzucht, etwa die Kreuzungszüchtung, stoßen hier an Grenzen: Sie benötigen Jahrzehnte, um neue Sorten hervorzubringen, was vor dem Hintergrund der aktuellen globalen Umweltveränderungen einfach zu langsam ist. Zwar steht mit der »Genschere« CRISPR-Cas ein effektives Werkzeug zur Verfügung, um das Erbgut von Pflanzen vergleichsweise rasch zu modifizieren, doch der Anbau entsprechend veränderter Gewächse ist in der EU streng reguliert und in der Praxis nahezu ausgeschlossen. Abhilfe schaffen könnte eine wenig bekannte Züchtungsmethode namens TILLING

TILLING steht für »Targeting Induced Local Lesions in Genomes«, in deutscher Übersetzung etwa: »Abzielen auf herbeigeführte lokale Läsionen im Erbgut«. Mit lokalen Läsionen sind kleine Veränderungen in der Basensequenz der DNA gemeint, so genannte Punktmutationen. Sie betreffen jeweils nur eine Nukleinbase, also einen einzelnen »Buchstaben« des genetischen Codes. Die TILLING-Methode hat zum Ziel, in bestimmten Genen Veränderungen herbeizuführen, die ein Merkmal der Pflanze spezifisch modifizieren.

Das Verfahren setzt auf eine Kombination von zwei Vorgehensweisen. Zum einen werden zahlreiche Punktmutationen mit erbgutverändernden Chemikalien erzeugt – meistens mit Ethylmethansulfonat. Zum anderen versucht man, die Art der verursachten Mutationen mit systematischen Testverfahren (»Screenings«) schnell aufzuklären und geeignete Mutanten für die weitere Zucht auszuwählen. Als TILLING im Jahr 2000 der Fachöffentlichkeit vorgestellt wurde, diente die Hochleistungsflüssigkeitschromatografie (HPLC) als gängige Screening-Methode. Heute hingegen setzen die Fachleute in der Regel moderne DNA-Sequenzierungsmethoden ein, mit denen sich die Basensequenz eines DNA-Strangs rasch ermitteln lässt.

Erbgut unter Beschuss

Punktmutationen zu erzeugen, indem man Pflanzensamen mit physikalischen oder chemischen Verfahren behandelt, ist ein bereits seit rund 90 Jahren praktizierter Ansatz. Schon in den 1930er Jahren entstand die Tabaksorte »Chlorina« durch Behandlung von Pflanzenmaterial mit Röntgenstrahlen. Es folgten zahlreiche weitere Nutzpflanzen, die mithilfe einer solchen »physikalischen Mutagenese« erzeugt wurden. Später kam als erbgutverändernde Methode noch die chemische Mutagenese hinzu, also das Erzeugen von Mutationen mittels aggressiver Chemikalien. »Ein Großteil der heutigen Getreidesorten ist irgendwann einmal bestrahlt worden«, berichtet der Genomforscher Frank Hartung vom Julius Kühn-Institut in Quedlinburg.

Themenwoche »Revolution auf dem Acker«

Zwischen den wilden Süßgräsern, die die Menschen in der Jungsteinzeit anbauten, und den heutigen Getreidesorten liegen Welten. Jahrtausendelange Züchtung hat die Erträge vervielfacht, die Ernten erleichtert und die Pflanzen widerstandsfähiger gegen Schädlinge gemacht. Mit dem rasanten Fortschritt der Molekularbiologie nimmt diese Entwicklung noch einmal drastisch an Fahrt auf. Wie funktioniert moderne Pflanzenzucht, welche Methoden stehen hierfür zur Auswahl? Was ist Genomeditierung und wofür braucht man Pangenomik? Wieso regen sich viele über Grüne Gentechnik auf, aber kaum jemand darüber, dass ein Großteil der heutigen Ackerpflanzen schon einmal mit ionisierenden Strahlen beschossen worden ist? In dieser Themenwoche beantworten wir das und zeigen, wohin sich die moderne Landwirtschaft entwickelt.

  1. Genomeditierung: Revolution in der Pflanzenzucht?
  2. Grüne Gentechnik: »Wir müssen endlich eine gescheite Risikoforschung entwickeln«
  3. Infografik: So geht Pflanzenzucht
  4. Erbgutanalysen: Mit Pangenomik zum Getreide der Zukunft
  5. PhänoSphäre: Ein Hightech-Gewächshaus für die Pflanzenforschung
  6. TILLING-Verfahren: Gene verändern ohne Gentechnik

Alle Inhalte zur Themenwoche »Revolution auf dem Acker« finden Sie auf unserer Themenseite »Landwirtschaft«.

Weil diese Art des Hervorrufens von Mutationen eine lange Tradition hat und bisher keine negativen Auswirkungen bekannt sind, gilt die Mutagenese als sicher in der Anwendung – und zudem nicht als Gentechnik. Deshalb können Pflanzen, die per TILLING entstanden sind, in der EU angebaut werden. Denn die genetischen Veränderungen, die sie aufweisen, könnten natürlichen Ursprungs sein. »Grundsätzlich können solche Punktmutationen auch vom Sonnenlicht verursacht werden«, erläutert Jost Muth vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME in Aachen. Hinzu kommt, dass mit TILLING lediglich arteigene Gene verändert werden, die dem Genpool der jeweiligen Spezies angehören. Das Verfahren überschreitet also keine Artgrenze, wie es bei transgenen Organismen der Fall ist, beispielsweise Pflanzen, in die Bakteriengene eingepflanzt wurden.

Kartoffeln mit besserer Stärke

Jost Muth wendet die TILLING-Methode schon seit vielen Jahren an. Er und sein Kollege Dirk Prüfer, der an der Universität sowie am Fraunhofer IME in Münster tätig ist, befassen sich vor allem mit verbesserten Kartoffelsorten. Dabei arbeiten sie mit einem großen Kartoffelzuchtunternehmen zusammen.

In einem Projekt ging es den Forschern darum, die Zusammensetzung der Stärke in der Kartoffel zu modifizieren. Kartoffelstärke besteht aus den Verbindungen Amylopektin und Amylose, die sich zwar beide aus Glukosemolekülen zusammensetzen, aber jeweils mit unterschiedlichen Verknüpfungen untereinander. Papier-, Garn- und Klebstoffhersteller benötigen nur Amylopektin; die Amylose stört ihre Verarbeitungsprozesse. Es kostet die Hersteller viel Energie und Wasser, die Wirkung der Amylose einzudämmen. Kartoffeln, deren Stärkeanteil (fast) nur aus Amylopektin bestünde, wären deshalb für die industrielle Nutzung vorteilhaft.

Amylose und Amylopektin | Stärke, wie sie beispielsweise aus Kartoffeln gewonnen wird, besteht aus Glukose-Einheiten, die untereinander über chemische Verbindungen verknüpft sind. Es lassen sich zwei Verknüpfungsformen unterscheiden: Amylose mit linear-kettenförmiger Anordnung der Glukose-Einheiten (oben) und Amylopektin mit verzweigter Struktur (unten). Papier-, Garn- und Klebstoffhersteller benötigen meist nur letztere Form, weshalb sie an Pflanzen interessiert sind, deren Stärkeanteil möglichst ausschließlich aus Amylopektin besteht.

Das Problem dabei: Kartoffelpflanzen sind meist tetraploid, besitzen also vier vollständige Chromosomensätze. Möchte man ein bestimmtes Gen ausschalten, genügt es nicht, dies auf einem Chromosom zu tun, sondern man muss es auf jeweils allen vier hinbekommen. Zudem erfordert es bei der Kartoffel einen hohen Aufwand, Samen zu erzeugen, denn die Pflanzen werden üblicherweise vegetativ (ungeschlechtlich) vermehrt, nämlich durch Einpflanzen von Setzkartoffeln. Prüfer, Muth und ihr Team unterzogen rund 30 000 Kartoffelsamen einer Mutagenese und sequenzierten anschließend das Erbgut von 3000 Gewächsen. In elf Fällen fanden sie eine inaktivierende Mutation in jenem Gen, das die Pflanze zur Herstellung von Amylose benötigt. Durch Züchtung gelang es, diese Mutation reinerbig zu machen, also dafür zu sorgen, dass alle vier Genkopien deaktiviert werden.

Ein großer Nachteil von Mutageneseverfahren liegt darin, dass sie völlig unspezifisch sind

Ein großer Nachteil von Mutageneseverfahren liegt darin, dass sie völlig unspezifisch sind: Neben einigen gewünschten Mutationen erzeugen sie viele weitere zufällige, die sich über das gesamte Genom verteilen. »Dieser Mutagenese-Ramsch muss anschließend wieder herausgezüchtet werden, das kann mehrere Jahre dauern«, erklärt Prüfer. Durch Kreuzungen mit Hochleistungssorten werden beispielsweise ergiebige Erträge oder Resistenzen gegenüber Schädlingen in die neue, per Mutagenese erzeugte Sorte hineingezüchtet.

TILLING und Eco-TILLING

TILLING bietet aber einen bedeutenden Pluspunkt gegenüber klassischen Züchtungsmethoden: Anhand der Erbgutsequenz der behandelten Pflanzen lassen sich Exemplare mit den gewünschten Mutationen identifizieren, ohne darauf warten zu müssen, dass sich das entsprechende Merkmal in den Tochterpflanzen ausprägt. Zudem erlaubt es TILLING, Mutationen für die Zucht zu nutzen, die nur anhand der DNA-Sequenz feststellbar sind, sich aber nicht im Erscheinungsbild (dem Phänotyp) der Pflanze äußern.

Bei dem Verfahren analysieren die Fachleute allerdings erst die zweite Generation nach dem Eingriff. Behandeln sie beispielsweise Getreidesamen mit mutagenem Ethylmethansulfonat, säen sie die Körner der daraus entstehenden Pflanze erneut aus. Denn jene Pflanze ist ein Mischwesen (»Chimäre«), in dem einige Zellen die gewünschte Mutation aufweisen, andere aber nicht. Erst in der zweiten Generation gibt es Pflanzen, welche die Mutation im gesamten Organismus tragen. »In diesen finden wir die Mutation, falls sie vorhanden ist, weitgehend homogen verteilt«, berichtet Muth.

Eine Variante der TILLING-Methode ist das sogenannte Eco-TILLING. Hier erzeugen die Züchter keine genetischen Veränderungen per Mutagenese, sondern sie untersuchen das Erbgut wilder Verwandter der Nutzpflanze, um dort Genvarianten zu finden, die verbesserte Merkmale versprechen. Diese kreuzen sie dann in die Nutzpflanze ein. Mitunter fahnden sie nach vorteilhaften Mutationen auch im Erbgut gezüchteter Varianten, die nie als Sorte in den Handel gekommen sind, aber einzelne nützliche Merkmale aufweisen.

Enorme Fortschritte beim Sequenzieren

TILLING profitiert davon, dass das Sequenzieren von DNA-Sequenzen in den zurückliegenden Jahren enorme Fortschritte gemacht hat. »Als Jost Muth und ich mit dem Sequenzieren begonnen haben, dauerte die Aufklärung einer 200 Basenpaare langen Sequenz zwei Wochen; heute kann man ein ganzes menschliches Genom in wenigen Stunden sequenzieren«, verdeutlicht Prüfer die rasante Weiterentwicklung auf dem Gebiet. Nicht nur die Sequenziertechnik selbst, auch die Rechenleistung der verarbeitenden Computer sowie der Umfang der Genomdatenbanken haben einen riesigen Sprung gemacht.

Diese Datenbanken sind von großer Bedeutung, denn nur in DNA-Sequenzen mit bekannter Basenabfolge lassen sich im Rahmen des TILLING-Verfahrens überhaupt Mutationen finden. Mittlerweile sind nach Angaben von Hartung die Genome von mehr als 1000 Landpflanzen sequenziert, und die Daten stehen für Sequenzanalysen und -vergleiche zur Verfügung.

Mitte 2022 haben Fachleute eine neue Screening-Methode vorgestellt: FIND-IT (»Fast Identification of Nucleotide variants by droplet DigITal PCR«, auf Deutsch etwa: schnelle Identifizierung von Nukleotidvarianten mittels digitaler Polymerasekettenreaktion in Tröpfchen). Das Verfahren erlaubt Mengenbestimmungen anhand einzelner DNA-Moleküle, was ein sehr schnelles Screening auf spezifische genetische Varianten ermöglicht. Mit FIND-IT ließen sich allein bei der Gerste die genetischen Varianten von 500 000 Pflanzen in kurzer Zeit durchsuchen. Dabei wurden 125 abgeschaltete Gene und weitere interessante Varianten identifiziert, berichtete eine Forschungsgruppe um Miriam Szurman-Zubrzycka von der Schlesischen Universität Katowice (Polen) im Jahr 2023.

Gerste | Eine der wichtigsten und ältesten Getreidearten ist die Gerste. Sie dient unter anderem zur Bierherstellung, liefert aber auch Mehl für Grütze, Graupen oder Brote. Gerste gehört zu den Nutzpflanzen, auf die das TILLING-Verfahren bereits angewendet worden ist.

Komplizierte politische Aspekte

TILLING kommt unter anderem bei einem Projekt zur Weiterzucht der Futterpflanze Rotklee zum Einsatz, an dem Hartung mitwirkt. »Das war vom Bundeslandwirtschaftsministerium der letzten Bundesregierung ausdrücklich so gewünscht«, erklärt der Forscher. »Denn die neue Sorte sollte auch für den Ökolandbau geeignet sein.« Da TILLING nicht als Gentechnik eingestuft ist, kam es dafür in Frage. Ohne die politische Vorgabe hinsichtlich des Ökolandbaus wäre es zu aufwändig gewesen, die Methode züchterisch anzuwenden, gibt Hartung zu.

Denn längst gibt es mit CRISPR-Cas oder TALEN sehr effiziente Methoden der Genomeditierung, mit denen Wissenschaftler viel präziser ins Erbgut eingreifen können als per chemischer Mutagenese. Doch die aktuelle Gesetzgebung in der EU erschwert es enorm, diese Verfahren außerhalb der Forschungslabore einzusetzen. Das wurde spätestens mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Juli 2018 deutlich: Demnach fallen genomverändernde Methoden wie CRISPR-Cas unter die strengen Gentechnik-Regelungen, die in den frühen 1990er Jahren beschlossen wurden, und sind für die Sortenzüchtung praktisch nicht anwendbar. Da hilft es auch nicht, wenn nur arteigene Gene modifiziert werden und die resultierenden Veränderungen nicht von natürlichen Mutationen unterscheidbar sind.

Ohne die politische Vorgabe hinsichtlich des Ökolandbaus wäre es zu aufwändig gewesen, TILLING züchterisch anzuwenden

Seit 2023 liegt ein Entwurf der EU-Kommission vor für eine Reform der Gentechnik-Regelungen. Das EU-Parlament hat 2024 einer leicht veränderten Fassung zugestimmt, doch die zuständigen Landwirtschaftsministerien der EU-Staaten haben sich im EU-Ministerrat noch nicht auf eine gemeinsame Position einigen können. Wann es zu einer Novellierung des entsprechenden Gesetzes kommt, ist derzeit nicht absehbar. Ebenso wenig, wie das reformierte Gentechnikgesetz am Ende aussehen wird, etwa hinsichtlich einer Kennzeichnungspflicht. Bis das geklärt ist, dürfte TILLING weiterhin eine Rolle spielen. Selbst Muth, der schon lange mit dem Verfahren arbeitet, räumt ein: »Der Hauptvorteil des TILLING-Ansatzes bei Kartoffeln liegt darin, dass er nicht als Gentechnik eingestuft ist.«

Die Zukunft von TILLING

Ist TILLING also ein Zuchtverfahren mit Ablaufdatum? Das sieht die Gruppe um Miriam Szurman-Zubrzycka anders: »Der größte Vorteil von TILLING gegenüber transgenen Techniken liegt in der Anwendbarkeit auf alle Arten, unabhängig von Genomgröße und Transformationspotenzial«, schreibt das Team in einem Fachartikel.

Das kann der Bioinformatiker Martin Mascher vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Seeland-Gatersleben bestätigen. Er war 2022 an einem Forschungsprojekt beteiligt, das den Nutzen von TILLING bei der Züchtung von Gerste untersucht hat. Mascher zufolge lassen sich viele Getreidearten und -sorten bislang nur schwer mit genomeditierenden Verfahren wie CRISPR-Cas bearbeiten. Eine Ausnahme bei der Gerste sei die Sorte Golden Promise, für die es effiziente Protokolle für Gentransformationen gebe. »Diese Sorte wird vor allem von schottischen Whisky-Herstellern verwendet und spielt in anderen Anbaugebieten, etwa in Deutschland, praktisch keine Rolle.«

Szurman-Zubrzycka und ihre Kollegen schreiben weiter: »Ein wesentlicher Vorteil von TILLING ist die Langlebigkeit einer einmal etablierten TILLING-Plattform, die sowohl für Vorwärts- als auch für Rückwärts-Screenings eingesetzt werden kann.« Bei einem Vorwärts-Screening hat man bei einer Pflanze auf dem Feld ein vorteilhaftes Merkmal entdeckt und versucht nun, die genetische Ursache für dieses neue Merkmal zu finden. Beim Rückwärts-Screening entdeckt man eine Mutation in einem Gen und versucht herauszufinden, was sie bei der gewachsenen Pflanze bewirkt.

Große genetische Variationsbreite

Als weiteren Vorteil der TILLING-Methode benennt die Gruppe um Szurman-Zubrzycka: »Es sind keine komplexen Gewebekulturen zur Aufzucht der veränderten Pflanzen erforderlich, für die manche Arten oder Genotypen nicht geeignet sind.« Prüfer sieht zudem einen Pluspunkt des Verfahrens, wenn es darum geht, neue Eigenschaften zu finden. So könnte im Zuge des Klimawandels der Bedarf nach Pflanzen wachsen, die weniger empfindlich gegenüber Hitze und Wassermangel sind. »Zu diesem Zweck ließen sich in umfangreichen, züchterisch stabilisierten TILLING-Populationen im Feldanbau eventuell einzelne Pflanzen identifizieren, die unter veränderten Klimabedingungen eine erhöhte Anpassungsfähigkeit zeigen«, schlägt Prüfer vor. Denn Pflanzenpopulationen, die per TILLING verändert worden sind, weisen immer eine gewisse genetische Variationsbreite der Individuen auf, die es wahrscheinlich macht, ein gesuchtes vorteilhaftes Merkmal bei einer Untergruppe der Gewächse zu finden.

TILLING ist zwar mit viel Aufwand verbunden, bietet derzeit aber den großen Vorteil, dass damit gezüchtete Nutzpflanzen in der EU zugelassen sind. Selbst wenn die EU-Institutionen beschließen sollten, die Genschere CRISPR-Cas in der Pflanzenzucht künftig weniger streng zu regulieren, lässt sich TILLING wahrscheinlich weiterhin sinnvoll anwenden. Etwa, wenn die Nutzung der Genschere schwierig oder unmöglich ist oder wenn völlig neue Pflanzeneigenschaften gesucht werden, deren Erzeugung sich schwer planen lässt.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen

Jiang, C. et al., Plant Communications 10.1016/j.xplc.2022.100317, 2022

Jost, M. et al., Methods in Molecular Biology 10.1007/978–1-4939–8944–7_6, 2019

Knudsen, S. et al., Science Advances 10.1126/sciadv.abq2266, 2022

Muth, J. et al., Plant Biotechnology 10.1111/j.1467–7652.2008.00340.x, 2008

Sharp, P., Dong, C.M., Methods in Molecular Biology 10.1007/978–1-4939–0446–4_13, 2014

Szurman-Zubrzycka, M. et al., Frontiers in Plant Science 10.3389/fpls.2023.1160695, 2023

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.