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News: Tödlich kalte Winter

Wie war das Wetter, sagen wir, Anfang November, 34 Millionen Jahre vor heute? Fossile Gehörsteinchen von Fischen lüften das Geheimnis. An jedem Tag wuchsen sie ein Stückchen und bauten dabei je nach Temperatur unterschiedliche Mengen der schweren und leichten Sauerstoffisotope ein. Mithilfe winziger Proben rekonstruierten Wissenschaftler so das Wetter an der Wende vom Eozän zum Oligozän.
Vor 34 Millionen Jahren muss irgendetwas geschehen sein, was das Ende einer Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten besiegelte. Tatsächlich kam es an jener Grenze vom Eozän zum Oligozän zum größten Massensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier am Ende der Kreide. Doch damals traf kein Meteorit die Erde, und auch die Temperaturen schienen unverändert. Der Grund für das Massensterben blieb lange ein Rätsel.

Nun ist es gelüftet: Schuld waren doch die Temperaturen, dass vor der Küste Floridas beispielsweise fast 90 Prozent der Gehäuse-bildenden Planktonarten ausstarben. Über das Jahresmittel betrachtet wiesen die Rekonstruktionen der Temperaturwerte zwar kaum dramatische Änderungen auf. Mithilfe einer neuen Methode konnten Linda Ivany vom Department of Earth Sciences der Syracuse University und ihre Kollegen nun aber zeigen, dass für die meisten Organismen die kalten Winter zum Verhängnis wurden (Nature vom 19. Oktober 2000).

Das Geheimnis des Verfahrens liegt in seiner großen Auflösung. Bisher konnten die Forscher mit der Verteilung der Sauerstoffisotopen nur mittlere Jahrestemperaturen rekonstruieren. Der Arbeitsgruppe von Linda Ivany gelang nun hingegen eine Auflösung in der Größenordnung von Wochen. Die Grundlage dafür waren fossile Otolithen, Gehörsteinchen aus Calciumcarbonat, die sich im Labyrinthorgan von Fischen finden. Mit ihrer Hilfe hält der Fisch im Wasser das Gleichgewicht. Die Wissenschaftler fanden sie vor der amerikanischen Golfküste in den tertiären Schichten des Überganges vom Eozän zum Oligozän.

Das besondere an diesen Gehörsteinchen ist, dass sie ein zonares Wachstum aufweisen. Ganz ähnlich wie die Ringe eines Baumes, zeugen auch die einzelnen Zonen der Otolithen vom Alter des Fisches. Allerdings ist hier die Auflösung sehr viel höher als bei den Jahresringen der Bäume. Die Steinchen legen nämlich an jedem Tag um eine Schicht zu. Und je nachdem, wie kalt es ist, ändert sich in dem neugebildeten Carbonat das Verhältnis des schweren 18O zum leichteren 16O. Auf diese Weise kann man aus den einzelnen Schichten der Otolithen sehr genau den Temperaturverlauf zu damaliger Zeit ablesen.

Zunächst mussten Kyger Lohmann vom Department of Geological Sciences der University of Michigan und William Patterson vom Department of Earth Sciences der Syracuse University aber noch mit einigen technischen Schwierigkeiten kämpfen. Da die Otolithen nur drei bis vier Millimeter dick sind, standen nur winzige Calciumcarbonatmengen zur Verfügung, um das Verhältnis von den schweren zu den leichten Isotopen zu ermitteln. Am Ende repräsentierte jede Mikroprobe einen Zeitraum von rund zwei Wochen. Zum ersten Mal konnten die Wissenschaftler auf diese Weise Jahreszeiten vor mehr als 30 Millionen Jahren rekonstruieren.

Das Ergebnis ist eindeutig. Während die sommerlichen Temperaturen in dieser Region unverändert waren, rutschte das Thermometer im Winter mit einem Mal um durchschnittlich vier Grad Celsius nach unten – für die meisten planktonischen Meeresbewohner war dies das Todesurteil. Dem Fisch aber, dessen Gehörsteinchen heute in den Sedimenten vor Florida zu finden sind, haben die kalten Winter nichts anhaben können, und so verriet er das lang gehütete Geheimnis um das Ende so vieler Meeresbewohner.

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