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»Legal Highs«: Tödliche Kräutermixturen

Kaum ein Konsument von Badesalzen und Kräutermischungen weiß, was da eigentlich drinsteckt. Mediziner warnen deshalb vor den unkalkulierbaren Risiken dieser neuen psychoaktiven Substanzen.
Badesalz und Tinktur

Am 12. Juli 2016 spielten sich in New York Szenen ab, die als »Zombie-Ausbruch« Schlagzeilen machten. 33 Menschen wurden im Stadtteil Brooklyn beobachtet, wie sie »zombieartig« durch die Straßen irrten, mit leerem Blick und langsamen, mechanischen Bewegungen. Das Geschehen beschrieb das »New England Journal of Medicine« als »Massenvergiftung«: In Blut und Urin der untersuchten Personen ließ sich eine bis dahin relativ unbekannte Designerdroge nachweisen, das »AK-47 24 Karat Gold«.

Wie genau es zu dem Massenrausch kam, steht nicht in dem Bericht, dafür aber eine detaillierte Analyse des Wirkstoffs. Er zählt zu den neuen psychoaktiven Substanzen (NPS), besser bekannt als »Legal Highs«. Da viele von ihnen als Nebenprodukt aus der Pharmaforschung entstanden sind, nennt man sie auch »Forschungschemikalien«, darunter die in »AK-47 24 Karat Gold« enthaltene, von Pfizer entwickelte Substanz AMB-FUBINACA oder AB-FUBINACA. Unter wohlklingenderen Namen wie »Spice«, »K2«, »Meow Meow«, »Ivory Wave«, »Flakka« und »Mexxy« werden sie ganz offen im Internet angeboten – als vermeintlich harmlose Kräuter- und Räuchermischungen, Badesalze oder legale Alternativen zu Cannabis, die einen schnellen und sicheren Rausch, Entspannung oder Konzentration versprechen.

Seit bald 15 Jahren drängen diese angeblich harmlosen und legalen psychoaktiven Substanzen mehr und mehr in Klubs, Jugendzentren, Schulen und Universitäten. Mittlerweile gibt es laut dem European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) allein in Europa etwa 1000 verschiedene NPS; jährlich kommen weltweit zirka 250 weitere hinzu. Der Zuwachs in der EU hat sich zwar seit 2015 verlangsamt, die sichergestellten Mengen steigen jedoch stark an.

Aber einige dieser Substanzen sind nicht legal, und unabhängig von ihrem rechtlichen Status kann der Konsum tödlich enden. 2017 starben Angaben des Bundeskriminalamts zufolge 185 Menschen, nachdem sie NPS oder synthetische Opioide (Schmerz- oder Betäubungsmittel) als Mischungen konsumiert hatten – fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Zahl der offiziellen Todesopfer liegt damit zwar noch verhältnismäßig niedrig, doch die Dunkelziffer könnte hoch sein, wie das BKA nahelegt: Bei diesen Todesursachen sei »auf Grund der schwierigen Erkennbarkeit von einem größeren Dunkelfeld auszugehen«. Denn mit gängigen Analysemethoden ließen sich viele NPS bisher weder im Blut noch im Urin nachweisen.

Die rechtliche Lage

Trotz der hohen Risiken ist der Verkauf vieler NPS noch immer nicht verboten. Am 21. Juni 2017 trat zwar die 18.  Verordnung zur Änderung von Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes in Kraft, mit der das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) aus dem Jahr 2016 ergänzt wurde. Das NpSG deckt bisher jedoch nur zwei Stoffklassen von NPS ab. Als 2010 die ersten Substanzen in Europa verboten wurden, dauerte es nicht einmal vier Wochen, bis die verbotenen Substanzen mit kleinen chemischen Veränderungen auf den Markt kamen und damit wieder als legal galten. Laut Bundeslagebild zur Rauschgiftkriminalität von 2017 stammen viele dieser NPS aus dem ostasiatischen Raum. Dort werden sie als Reinwirkstoffe hergestellt und nach Europa verschifft. Vor allem in den Niederlanden, Belgien und Spanien, aber auch in Deutschland werden sie im Internet offen verkauft und per Post an die Konsumenten geschickt. Auf den Packungen ist zwar vermerkt, dass das Produkt nicht für den menschlichen Konsum geeignet ist. Weitere Warnhinweise gibt es jedoch zumeist nicht.

Diese Erfahrung machten auch die New Yorker Mediziner mit ihren Patienten: Keiner der klassischen Drogentests fand eine Substanz im Urin oder Blut. Erst Spezialtests konnten Abbauprodukte von AMB-FUBINACA nachweisen. So verwundert es nicht, dass Wissenschaftler, Ärzte, Behörden und Ermittler den Konsum von NPS bisher kaum erfassen können. Erschwerend kommt hinzu, »dass NPS ein Überbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher neu auftretender Substanzen ist«, erläutern Bernd Werse und Daniela Müller vom Centre for Drug Research an der Goethe-Universität in Frankfurt.

Dabei schätzen Experten die NPS als gefährlicher ein als viele altbekannte illegale Drogen, unter anderem, weil sie meist nicht nur eine einzelne Substanz, sondern eine Mischung enthalten. Laut dem Pharmakologen Colin Davidson von der University of Central Lancashire in Großbritannien besteht ein großes Problem darin, »dass wir kaum wissen, womit wir es zu tun haben. Während wir bei klassischen Drogen in den Notaufnahmen zumindest erahnen können, was uns erwartet, weiß bei den Legal Highs oft keiner, was der Patient konsumiert hat, wie er reagieren wird und was man ihm an Medikamenten geben kann.«

»Während wir bei klassischen Drogen in den Notaufnahmen zumindest erahnen können, was uns erwartet, weiß bei den Legal Highs oft keiner, was der Patient konsumiert hat, wie er reagieren wird und was man ihm an Medikamenten geben kann«
Colin Davidson, Professor für Pharmakologie und Biomedizin an der University of Central Lancashire in England

Häufig wüssten nicht einmal die Patienten selbst, was die Mischungen enthalten und welche Dosis lebensgefährlich sein könnte. Während bei Cannabis, Koks oder Heroin Erfahrungswerte bekannt sind, fehlt es daran gerade bei neuen NPS, ebenso wie an Angaben zum Wirkstoffgehalt. So drohen verstärkte Nebenwirkungen oder sogar eine lebensbedrohliche Überdosis.

In der Wissenschaft kommt das Problem nur langsam an. »In den vergangenen 10, 20 Jahren wurden weniger als 100 Forschungsstudien zu Legal Highs veröffentlicht«, berichtet Davidson, der seit Jahren in dem Bereich forscht und immer wieder auf die Gefahren aufmerksam macht. Auch das EMCDDA tut sich mit der Einschätzung der Risiken schwer, weil es kaum Untersuchungen dazu gibt – die nötigen randomisierten Studien sind Mangelware, da sehr riskant. Die wenigen Publikationen würden jedoch warnen: Viele NPS hätten sich in Tierversuchen sofort auf Gehirn, Herz-Kreislauf-System, Leber und Nieren ausgewirkt. Langzeitstudien sprechen zusätzlich von schweren Nieren- und Blasenschäden, irreparablen Muskelschäden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, kognitiven Einbußen, Schlaganfällen und vielem mehr.

Drogenkonsum in Deutschland

NPS lassen sich anhand ihrer Substanzklassen und Wirkorte einteilen: in synthetische Cannabinoide, halluzinogene Wirkstoffe, opioidartige Substanzen und amphetaminähnliche Stimulanzien. In Europa sind laut EMCDDA die synthetischen Cannabinoide am verbreitetsten. In Europa landeten sie vermutlich 2004 das erste Mal auf dem Markt. Seitdem ist ihr Anteil stark gestiegen und macht heute 45 Prozent aus.

»Selbst wenn man sich an angeblich sichere Dosierungen der so genannten Kräutermischungen hält, kann man sie immer noch leicht überdosieren, wenn auf einem Teil der Mischung wesentlich mehr Cannabinoide gelandet sind als auf anderen«
Colin Davidson, University of Central Lancashire

Synthetische Cannabinoide binden alle an den gleichen Rezeptor, den Cannabinoidrezeptor. Die bekanntesten sind »Spice«, »K2« und »Noids«, daneben findet man online »Mr. Nice Guy«, »Summit«, »Blonde«, »Green Buddha«, »Barely Legal« und das eingangs erwähnte »AK-47«. Häufig werden die Cannabinoide auf Pflanzenteile aufgesprüht und unter dem Label Kräutermischungen verkauft. Wie viel davon und wie gleichmäßig sie sich auf den Pflanzen verteilen, ist unklar. »Das ist eines der großen Probleme«, sagt Davidson. »Selbst wenn man sich an angeblich sichere Dosierungen der so genannten Kräutermischungen hält, kann man sie immer noch leicht überdosieren, wenn auf einem Teil der Mischung wesentlich mehr Cannabinoide gelandet sind als auf anderen.« Synthetische Cannabinoide werden vorrangig geraucht; es gibt sie aber auch als Flüssigkeit für E-Zigaretten oder als Mixturen in Tabletten.

Die meisten synthetischen Cannabinoide entspannen und geben ähnlich wie Cannabis das Gefühl, »stoned« oder »zugedröhnt« zu sein, was viele Konsumenten als angenehm empfinden. Als Angstlöser sind sie vor allem bei jungen Leuten beliebt. Doch oft verursachen sie stärkere, kürzer andauernde Symptome als zum Beispiel Cannabis: Sie halten zwischen einer halben Stunde und zwei Stunden an, können aber wie ein alkoholbedingter Kater noch am nächsten Tag zu spüren sein. Zu den belegten, teils lebensbedrohlichen Nebenwirkungen zählen Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Erbrechen, schwere Angstzustände und Schlafstörungen, Halluzinationen und Psychosen, Stoffwechselentgleisungen und Pneumonien. Auch Nierenversagen und Aggressionen wurden beobachtet, und erste Fallstudien fanden Hinweise auf eine körperliche Abhängigkeit.

Neben den synthetischen Cannabinoiden sind vor allem die zu den Stimulanzien zählenden synthetischen Cathinone verbreitet, darunter Mephedron (»Meow Meow«). Es kann das Gehirn langfristig schädigen und ist seit 2010 in Europa verboten. Die synthetischen Cathinone werden häufig als Badesalze in Form von Pulver oder Kapseln vertrieben und können geschnupft, gespritzt oder geschluckt werden. Sie setzen wie die meisten Drogen an Membrantransportern im Gehirn an, besonders an jenen, die Dopamin, Serotonin und Noradrenalin in die Zellen hinein- und aus ihnen heraustransportieren. Ein Hotspot für die Aktivität ist der Nucleus accumbens, ein Teil des Belohnungszentrums im Gehirn. NPS erhöhen den Dopaminspiegel und stimulieren so diesen Kern, was in der Regel kurzzeitig Euphorie hervorruft und wach macht – aber auch zu einem hohen Abhängigkeitsrisiko beiträgt.

Synthetisches Cannabinoid

Wie eine internationale Überblicksstudie zeigt, kommt es bei wiederholtem – und manchmal sogar beim ersten – Konsum häufig zu Paranoia und Halluzinationen, Desorientierung und Verwirrtheit bis hin zum Delirium, mit Symptomen wie Agitiertheit und Aggressionsausbrüchen. Auch Muskelspasmen, Herzerkrankungen und Arrhythmien sind demnach nicht selten. Langfristig drohen Muskelschäden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und irreparable Nierenschäden sowie erhöhter Blutdruck.

Die glücklichen »Zombies« von Brooklyn

Das im Blut eines New Yorker »Zombie«-Patienten gefundene synthetische Cannabinoid wirkte zwar vielfältig: Er konnte kaum sprechen, bewegte sich unkontrolliert, und seine Augen reagierten stark verzögert. Mit AMB-FUBINACA hatte er aber eine Variante erwischt, die zwar das zentrale Nervensystem beeinträchtigt, im übrigen Körper jedoch seltener lebensbedrohliche Symptome verursacht als andere synthetische Mixturen. Auch die übrigen 32 Patienten hatten Glück: 18 von ihnen mussten im Krankenhaus behandelt werden, aber alle überlebten ohne bleibende Schäden. Hätten sie zufällig eine nur geringfügig andere Art von Legal High erwischt, wären sie vielleicht nicht als Untote in die Annalen der Medizin eingegangen, sondern als 33 weitere Todesopfer eines verbreiteten Irrglaubens: dass etwas Legales doch nicht so gefährlich sein kann.

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