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Vulkanausbrüche: Tödliche Wolken gleiten auf Luftkissen

Die Hälfte aller Vulkanopfer geht auf ihr Konto, und sie töten noch in dutzenden Kilometern Entfernung. Ein spektakuläres Experiment zeigt nun, was die Glutwolken so tödlich macht.
Abguss eines Opfers des Vesuvausbruchs in Pompeji.

Das Gefährlichste an einem Vulkanausbruch ist nicht die Lava. Weit mehr als die Hälfte aller Opfer sterben durch heiße Wolken aus Asche und Gas, die mit der Geschwindigkeit eines Kleinflugzeuges vom Gipfel des Vulkans heranrasen. Eine Besonderheit macht diese pyroklastischen Ströme ebenso heimtückisch wie mysteriös: Sie verhalten sich mehr wie eine Flüssigkeit als ein klassischer Erdrutsch – und können so dutzende Kilometer vom Vulkan entfernt immense Schäden anrichten. Die antike Stadt Pompeji lag etwa zehn Kilometer Luftlinie vom Gipfel des Vesuvs entfernt, doch die Glutwolken hatten noch in dieser Entfernung genug Kraft, um Häuser zu beschädigen und die Mehrzahl der gefundenen Opfer zu töten.

Pyroklastische Ströme entstehen bei heftigen Vulkanausbrüchen, wenn die kilometerhohe Säule aus Gesteinstrümmern und Asche über dem Vulkan durch die Schwerkraft in sich zusammenzubrechen beginnt. Doch wieso die Ascheströme in flachem Gelände nicht versiegen, sondern mit hoher Geschwindigkeit über Hügelrücken, durch gewundene Flusstäler und sogar hunderte Meter über offenes Wasser rollen, ist nach wie vor rätselhaft. Durch eine Reihe von Experimenten ist jetzt eine Arbeitsgruppe um Gert Lube von der Massey University in Neuseeland der Antwort auf diese Frage ein gutes Stück nähergekommen. Wie die Forscher jetzt in »Nature Geoscience« berichten, führen die in der Wolke gefangenen Gase und den hohen Scherkräften in dem sich schnell bewegenden Material zu einem Überdruck. Dadurch strömt Gas an die Unterseite der Glutwolke, so dass die Asche wie auf einem Luftkissen gleitet.

Glutwolken-Experiment der Arbeitsgruppe um Lube

Das Team ließ in mehreren Versuchen heiße, original vulkanische Asche aus der Eruption des Taupo im Jahr 232 unserer Zeitrechnung aus bis zu fünf Meter Höhe auf eine Rutsche fallen, um den Kollaps der vulkanischen Aschesäule zu simulieren. Dabei stellte es anhand von Videoaufnahmen fest, dass sich innerhalb des entstehenden Aschestroms zwei Bereiche bilden: Von außen sieht man nur einen davon, die spektakulär aussehenden, blumenkohlartigen Aschewolken der äußeren Zone, die nur einen geringen Bruchteil der Masse enthalten. Im Herz der Glutwolke dagegen entsteht ein dichter Unterstrom aus 40 Prozent Asche und 60 Prozent vulkanischen Gasen, der sich sehr schnell bewegt und in seinem Inneren einen Überdruck erzeugt – Letzteres zeigte die Arbeitsgruppe um Lube mit begleitenden Computersimulationen.

Die digitalen Modelle zeigen, dass dann etwas Bemerkenswertes passiert: Der hohe Druck in der Masse aus Gas und pulverisiertem Gestein lässt den gesamten dichten Unterstrom der pyroklastischen Wolke abheben wie ein Luftkissenfahrzeug. Unter dem Strom bildet sich eine etwa zwei bis vier Zentimeter dicke Schicht, die nur etwa halb so viel Asche enthält wie die Schicht darüber, und deswegen auch nur ein Viertel der Reibung erzeugt, die man bei einem Erdrutsch mit dieser Vulkanasche erwarten würde. Das Ergebnis ist eine positive Rückkopplung: Der Unterstrom beschleunigt sehr stark, und die dadurch entstehenden Scherkräfte erhöhen wiederum den Überdruck im Gas, der das Luftkissen stabilisiert.

Dadurch erreichen die Ströme einerseits ihre enorme Geschwindigkeit und andererseits ihre bemerkenswerte Reichweite – beides ist in den Videos vom Experiment der Arbeitsgruppe gut zu erkennen. Auch Berechnungen an realen pyroklastischen Strömen zeigten, dass das Modell die mutmaßlichen Reibungsverhältnisse solcher vulkanischer Phänomene gut nachbilde, so das Team um Lube. Aber möglicherweise habe der Luftkissenmechanismus viel weitreichendere Bedeutung: Auch große Lawinen und Schuttströme sind manchmal »hypermobil« – viel schneller und langlebiger als erwartet. Fachleute vermuten schon lange, dass Unebenheiten im Untergrund dazu führen, dass Luft unter solchen Strömen eingefangen wird. Doch möglicherweise erzeugen auch diese Phänomene ihr eigenes Luftkissen.

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