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Chemiewaffen: Tödlicher Einsatz in Syrien?

In Syrien sollen chemische Kampfstoffe wie Sarin eingesetzt worden sein. Für die USA wäre das ein Anlass, militärisch einzugreifen. Was lange nur ein Verdacht war, scheint jetzt durch Analysen bestätigt zu werden.
Syrischer Soldat mit ABC-Maske

Unabhängige Experten für chemische Waffen halten die Behauptung der USA, Großbritannien und Frankreichs für glaubwürdig, dass die syrische Regierung derartige Kampfmittel gegen die Rebellen im Land eingesetzt habe. Allerdings betonen sie auch, wie schwer solche Aussagen zu bewerten sind, solange nicht mehr Details darüber bekannt sind, woher die Daten stammen und worauf sich die Analysen der drei Regierungen stützen.

Syrischer Soldat mit ABC-Maske | Ein syrischer Soldat in ABC-Schutzausrüstung während der Vorbereitung auf den zweiten Golfkrieg 1991.

Am 13. Juni erklärte die US-Regierung, die amerikanischen Geheimdienste hätten nun "hohe Gewissheit", dass die syrische Regierung mehrmals im letzten Jahr chemische Kampfstoffe wie Sarin eingesetzt hat. Dabei seien etwa 100 bis 150 Menschen gestorben. Zu diesen Schlüssen waren auch Großbritannien und Frankreich diesen Monat gekommen.

Die drei Regierungen gaben an, dass sie sich auf Zeugenaussagen verließen, wann, wie und wo die Chemiewaffen eingesetzt worden sind. Außerdem gebe es Berichte von Symptomen, die mit einem Chemiewaffeneinsatz in Verbindung gebracht werden können. Laboruntersuchungen an Blut- und Urinproben haben demnach auch gezeigt, dass Menschen mit Sarin in Kontakt gekommen seien. Die Experten weisen jedoch darauf hin, dass Herkunft und Geschichte solcher Proben manchmal unklar ist. Um als glaubwürdiger Beleg dienen zu können, muss die so genannte Verwahrungskette den tatsächlichen Ursprung der Proben garantieren.

Verwahrungskette der Proben

Chemische Kampfstoffe hinterlassen Abbauprodukte in Blut und Urin der Betroffenen, die man durch Massenspektrometrie (MS) nachweist. Dazu werden die Proben erst aufgereinigt und die enthaltenen Verbindungen mit speziellen chemischen Gruppen gekoppelt. Im Massenspektrometer sortiert man die gesuchten Moleküle und ihre Bruchstücke dann nach Masse und Ladung und vergleicht das entstehende Spektrum mit einer Probe bekannter Zusammensetzung.

"Jemand muss bestätigen können, dass die Proben die ganze Zeit in ihrer Verwahrung waren und niemand sie verändern konnte", sagt Alastair Hay, Experte für chemische Kampfstoffe an der University of Leeds. Hay hat unter anderem die Chemiewaffenangriffe auf kurdische Siedlungen im Irak untersucht. Allerdings geht er davon aus, dass Frankreich und Großbritannien "sich sicher zu sein scheinen, Daten von mehr als akzeptabler Qualität zu besitzen".

Im Moment sind keine Informationen über die Qualität der Verwahrungskette öffentlich – allerdings haben die beteiligten Länder geheime Informationen an ein unabhängiges Team der Vereinten Nationen weitergegeben. Bisher war Syrien aber nicht bereit, dem Team unter Leitung des schwedischen Wissenschaftlers und früheren UN-Waffeninspektors Åke Sellström Zugang zum Land zu gewähren, um die Situation in Augenschein zu nehmen.

Die Vereinigten Staaten haben inzwischen eingeräumt, dass zwar Proben von Personen vorhanden sind, die mit Sarin in Kontakt kamen, dass die Proben aber keine Aussagen darüber zuließen, "wann und wo die Betroffenen mit dem Kampfstoff in Kontakt kamen und wer dafür verantwortlich war". Syrische Regierung und Rebellen beschuldigen sich gegenseitig, chemische Kampfstoffe eingesetzt zu haben. Auszuschließen, dass die Rebellen verantwortlich sind, ist für die USA und andere Regierungen entscheidend, wenn es um eine mögliche Intervention in Syrien geht.

Giftgas oder zerstörte Chemiefabrik?

Will man nachweisen, dass eine Person mit einem Nervengift wie Sarin in Kontakt kam, konzentriert man sich auf Methylphosphonsäureester, die primären Abbauprodukte dieser Kampfstoffe. Diese Substanzen sind stabil und wasserlöslich und können so in Blut und Urin nachgewiesen werden. Insbesondere sind diese Methylphosphonsäureester spezifisch für Nervengase und von den Abbauprodukten chemisch ähnlicher Pestizide wie Parathion leicht zu unterscheiden.

Augenzeugenberichte von Chemiewaffeneinsätzen können unzuverlässig sein. Zeugen führen möglicherweise Symptome wie Atemnot auf verbotene chemische Waffen zurück, obwohl die Ursache auch Tränengas oder andere legale, nichttödliche Waffen sein können. Videos aus dem Kampfgebiet, die die erste Anschuldigungen von Chemiewaffeneinsätzen belegen sollten, zeigen nach Ansicht internationaler Experten denn auch eher Symptome, die denen einer Chlorverätzung ähnlicher sind. Das könnte zum Beispiel auf einen Bombenangriff auf eine nahe gelegene Fabrik zurückgehen, erklärt Susannah Sirkin, Beraterin der Organisation Ärzte für Menschenrechte – der Organisation, die 1988 die erste Belege für die irakischen Massaker an Kurden mit chemischen Waffen lieferte.

Als langjährige Aktivistin gegen chemische Waffen sei sie die Letzte, sagt Sirkin, die die Bedeutung eines Chemiewaffeneinsatzes in Syrien anzweifeln würde. Gleichzeitig allerdings starben in dem Konflikt bisher etwa 93 000 Menschen, während die USA von nur etwa 100 bis 150 Toten durch chemische Kampfstoffe ausgehen. Es könne keinen Zweifel geben, dass die syrische Regierung schon mit konventionellen Waffen schwere Kriegsverbrechen begangen hat, sagt Sirkin. "Aus Sicht der Menschenrechte sind schon andere Rote Linien lange überschritten."

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