Töte mich: Ameisenpuppe ruft ihre eigenen Henker

Ist eine Ameisenpuppe der invasiven AmeisenartLasius neglectus tödlich infiziert, sendet sie ein chemisches Warnsignal an ihre Kolonie. Die Arbeiterinnen reagieren sofort: Sie packen den erkrankten Nachwuchs und reißen Löcher in seinen Kokon. Die sonst so fürsorglichen Ameisen tragen Ameisensäure auf, die wie ein Desinfektionsmittel wirkt. Sie töten damit auch die Puppe, die den Alarm ausgelöst hat. Das todbringende Warnsignal hat ein Forschungsteam um Sylvia Cremer vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) und Thomas Schmitt von der Universität Würzburg im Fachjournal »Nature Communications« beschrieben.
Die Forscher infizierten Puppen mit dem Pilz Metarhizium brunneum und beobachteten, wie sich deren chemische Signatur veränderte. Nur kranke Arbeiterpuppen, die sich in der Nähe von Nestgenossen befanden, produzierten auffällig hohe Mengen zweier spezieller Kohlenwasserstoffe. Diese Substanzen dienten als Signal: Die Arbeiterinnen packten die entsprechenden Puppen aus ihren Kokons aus und töteten sie, noch bevor der Pilz infektiöse Sporen bilden konnte. So verhinderten sie, dass sich die Krankheit innerhalb der Kolonie weiter ausbreitete.
Um zu prüfen, ob die chemischen Veränderungen tatsächlich das zerstörerische Verhalten auslösen, bestrichen die Forscher gesunde Puppen mit Extrakten signalgebender Puppen. Auch diese wurden von den Arbeiterinnen eliminiert. Die chemischen Stoffe reichen also allein aus, um die drastische Reaktion auszulösen. Bemerkenswert ist die Präzision des Signals: Es muss empfindlich genug sein, um alle tödlich erkrankten Puppen zu erkennen, und zugleich so spezifisch, dass keine gesunden oder heilbaren Ameisen geopfert werden. Auf diese Weise schützt jedes Tier frühzeitig die Kolonie vor ernsten Gefahren.
Bei infizierten Königinnenpuppen trat das chemische Alarmsignal nicht auf – vermutlich, da ihre Immunabwehr stärker ist, so die Forscher. Während die Infektion bei Arbeiterpuppen stetig zunahm, drängte die Immunabwehr der Königinnenpuppen die Pilzbelastung auf ein Drittel des Ausgangswerts zurück. Die Studie zeigt damit ein fein abgestimmtes Zusammenspiel aus individueller und sozialer Immunität. Statt alle Infizierten pauschal zu töten, ermöglicht es eine differenzierte Entscheidung. Die Forscher vergleichen dies mit dem »Find me and eat me«-Signal im menschlichen Körper, mit dem sterbende Zellen Immunzellen anlocken. Auch hier dient das System dem Schutz des Gesamtverbands. Ganz selbstlos ist das Verhalten der Ameisen allerdings nicht. Es steigert ihre sogenannte inklusive Fitness: Überlebt die Kolonie, profitieren auch die Gene der sterbenden Puppe – ein Effekt, der die Evolution solcher Signale begünstigt hat.
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