Tollwut: Impfköder für Hunde sollen die Tollwut besiegen

Nur durch einen Trick fanden Soa Fy Andriamandimby und ihr Team heraus, wie es um die Hunde in einem madagassischen Küstenörtchen steht. Die für Zoonosen zuständige Virologin des hiesigen Pasteur-Instituts ließ dort zunächst nur Proben von Nutztieren nehmen. Erst beim zweiten Termin kamen die Hunde dran. Andersherum hätte es keine Daten zu Rindern, Schweinen oder Schafen gegeben. Denn, wer hier einmal einen Hund berührt, wird »fady« – und künftig am Dorfrand abgewiesen.
Dieses Tabu aus dem kulturell und ethnisch vielfältigen Land verdeutlicht: Ohne die Menschen vor Ort ist es schwer, eine Zoonose wie Tollwut zu tilgen. Deswegen bekämpft man derartige Seuchen weltweit mit dem One-Health-Ansatz, bei dem man die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt als Ganzes betrachtet. Bis 2030, das haben die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und andere Partner beschlossen, soll kein Mensch mehr an hundevermittelter Tollwut sterben. Derzeit sind es in den Endemiegebieten Asiens und Afrikas jährlich noch über 60 000 – meist Kinder. Sie stecken sich fast ausschließlich über infizierte Hunde an.
Dabei wäre die vernachlässigte Zoonose vergleichsweise einfach vermeidbar. Nicht zuletzt auf Grund der 140-jährigen Erfahrung mit Impfstoffen gegen Lyssaviren, zu denen auch der Erreger der Tollwut gehört. Wenn es gelingt, 70 Prozent der Hunde über mindestens fünf Jahre zu immunisieren, bricht die Infektionskette zusammen. Das allerdings ist schwierig an Orten mit frei umherlaufenden Hunden. Die oft scheuen Tiere einzufangen und einzeln mit Spritze und Nadel zu impfen, ist ein enormer Aufwand.
Köder statt Nadel
Einen Ausweg bietet nun eine andere Art von Impfung. Im Herbst 2024 autorisierte die Europäische Arzneimittelagentur die erste Vakzine per Impfköder für Hunde. Solche Vakzinen werden bei Hunden bereits experimentell oder per Off-Label-Use eingesetzt. Doch die Zulassung sei ein wichtiges Signal, argumentieren Thomas Müller und Conrad Freuling vom Nationalen Referenzlabor für Tollwut am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI). Besonders betroffene Länder in Asien und Afrika sähen so, dass Europa dem oral verabreichten Impfstoff vertraue.
Bei Wildtieren wie Fuchs, Marderhund oder Waschbär trugen Impfköder seit den 1970er Jahren maßgeblich dazu bei, die terrestrische Tollwut in Europa zu tilgen. Sie lösten die weder nachhaltige noch ethisch unproblematische massenhafte Vergiftung von Füchsen ab. Den Status quo hält die regelmäßige Köderverteilung in Impfgürteln zu angrenzenden Endemiegebieten aufrecht. Die Abstände zwischen den Köderkampagnen sind so gewählt, dass auch der Nachwuchs rechtzeitig geimpft wird und keine Impflücken entstehen.
Nun gibt es solche Impfköder ebenfalls für Hunde, die für die meisten Tollwutfälle bei Menschen verantwortlich sind. Die orale Immunisierung ist eher eine Kau- als eine Schluckimpfung. Denn: Der Impfstoffblister im Köder muss mit den Zähnen aufgebissen werden. Nur so gelangt die Flüssigkeit auf die Maulschleimhaut und kann die erforderliche Immunreaktion in den Rachenmandeln auslösen. Und das nachhaltig. Die Kauimpfung ist eine angepasste Lebendvakzine. Der Fachtierarzt für Virologie Thomas Müller geht davon aus, dass bereits eine einzelne Dosis lebenslangen Tollwutschutz bietet.
Erste Erfolge machen Hoffnung
Die Forscher des FLI zählen weltweit zu den erfahrensten Experten bei der Bekämpfung von Lyssaviren. Im tollwutgebeutelten Namibia bauten sie ein beispielhaftes Tilgungsprogramm auf, zu dem auch ein groß angelegter Feldversuch mit der oralen Immunisierung gehörte. Für diesen zogen die Veterinärmediziner mit einem lokalen Team von Haus zu Haus und verteilten, unter großem Zuspruch der Bevölkerung, Impfköder an tausende Hunde. Am Ende waren in kürzester Zeit 88 Prozent der Tiere geimpft. Das Ergebnis zeige, dass es unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist, Hunde ausschließlich per Köder zu impfen, so Freuling. Und das zwei- bis viermal so effizient verglichen mit Impfungen per Injektion. Für die Tilgung der durch Hunde vermittelten Tollwut könnte dieser Erfolg in Namibia anderen afrikanischen und asiatischen Staaten als Vorbild dienen.
Noch gibt es nur den einen zugelassenen oralen Impfstoff und noch ist dieser teurer als die per Injektion verabreichten. Außerdem ist er recht kompliziert herzustellen und vor allem instabil: Bei Transport und Handhabung muss man besonders auf die Kühlkette achten. Allein deshalb ist die Köderimpfung noch nicht überall einsetzbar. Aktualisierte Empfehlungen setzen auf eine passende, machbare Strategie: eine gefüllte Toolbox mit Aufklärungsmaterialien, Impfstoffen und Technik. Im enorm betroffenen Indien gibt es zudem beispielsweise eine App, die essenziell dabei hilft, die Immunisierung zehntausender Streuner zu tracken.
Bis zur Ausrottung der Seuche ist ein langer Atem nötig. Politisch motivierte Kürzungen bei der Zoonosen-Bekämpfung, Wissenschaftsfeindlichkeit oder bewaffnete Konflikte können eine konsequente Strategie und so den dauerhaften Erfolg unterbinden. Wichtig ist das gemeinsame Vorgehen benachbarter Staaten. Denn: Einzelne tollwutfreie Gebiete umgeben von nach wie vor befallenen Regionen sind nur schwer frei von der Seuche zu halten.
Einfacher könnte es da ein Inselstaat wie Madagaskar haben. Offiziell bestätigt sind etwa zehn Todesfälle pro Jahr. Epidemiologische Schätzungen gehen allerdings von einer bis zu hundertfach höheren Inzidenz aus. Bis 2023 setzte das Land hauptsächlich auf Aufklärung und die Postexpositionsprophylaxe. Diese Notimpfung verhindert – sofern man sie schnell genug nach einem Biss verabreicht – zuverlässig eine Tollwuterkrankung. Jedoch ist sie nicht für alle zugänglich. Und obwohl sie vielen Menschen einen qualvollen Tod erspart, packt sie die Zoonose nicht bei der Wurzel: dem Hauptüberträger Hund.
Auf der Suche nach einer angepassten Strategie
Um ein nachhaltigeres Bekämpfungskonzept zu entwickeln, brauchte die Virologin Andriamandimby aber verlässliche Daten. Um die zu beschaffen, erstellte ihre Doktorandin Marie Hermelienne Volasoa die bis dato umfassendste Umfrage zur Tollwut auf der Insel – mit Veterinären aller 117 Distrikte Madagaskars. Unterstützt wurden sie von der Schweizer Epidemiologin Anou Dreyfus, die vernachlässigte Zoonosen über den One-Health-Ansatz erforscht.
Neben Besonderheiten wie dem Hundetabu stießen die Wissenschaftlerinnen in Madagaskar auch auf typische Probleme mangelnder Infrastruktur: Konsequente Diagnostik und Vorsorge war mangels Ressourcen ebenso unmöglich wie, flächendeckend Proben von kranken Menschen und Tieren zu nehmen. Trotz großen Engagements erreichten bisherige Impfkampagnen auf der Insel nie die benötigte Immunisierungsquote von 70 Prozent. Einmal seien auch Impfköder eingesetzt worden, erzählt Andriamandimby. Damals habe es leider ein Formproblem gegeben: Ausgerechnet in Gestalt von Würstchen sei die Kauvakzine an Hunde verteilt worden. Für die von einer schweren Hungersnot gezeichneten Menschen im Süden des Landes war das schwer zu akzeptieren.
Trotz solcher Rückschläge schließt die Kauimpfung besonders für frei umherlaufende Hunde die womöglich entscheidende Lücke bei der Bekämpfung der Tollwut. Zwar ist das Ziel, die hundevermittelte Tollwut bis 2030 zu eliminieren, mittlerweile unrealistisch, doch auch Dreyfus bezeichnet die orale Impfung als Gamechanger. Nicht zuletzt wegen des auf Madagaskar verbreiteten Tabus: Hunde in »fady« Gegenden können so berührungsfrei immunisiert werden. Dennoch wünscht sich die Virologin zusätzlich auch anthropologische Studien, etwa um das Hunde-Tabu zu ergründen und künftig besser damit umzugehen. Sie plädiert dafür, mit den betroffenen Menschen vor Ort eine One-Health- Strategie zu erarbeiten – so ließe sich auch gemeinsam eine geeignete Verpackung für die Impfköder finden.
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