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News: Tomaten in Birnenform

Die meisten Wildfrüchte sind rund, und das Fruchtfleisch umhüllt gleichmäßig verteilte Samen. Doch hat die Natur durchaus auch birnenförmige Varianten vorgesehen, deren molekularen Schalter Forscher nun in Tomaten genauer charakterisieren konnten.
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Jeder Biss zählt: Zusätzlich zum leckeren Fruchtfleisch sollten möglichst gleich mehrere Samen den Magen des hungrigen Tieres füllen, das einer Pflanze als Verbreitungsvehikel dient. Darum sind die Früchte wildlebender Bäume und Sträucher in der Regel rund und die Samen darin gleichmäßig verteilt – egal, welcher Teil nun verschlungen wird, ein paar pflanzliche Nachkommen sind so auf jeden Fall dabei.

Birnen gehen dagegen das Risiko ein, ihren Früchten einen langen Hals zu gönnen – reine Energieverschwendung im Sinne der Verbreitung. Aber es ist offenbar ein Anblick, der dem Menschen gefällt, denn in der Palette der gezüchteten Obst- und Gemüsevarianten ist ein deutlicher Trend zur Birnenform erkennbar. Für die Gestalt verantwortlich ist womöglich nur ein einziges Gen, das Steven Tanksley von der Cornell University und seine Kollegen nun in Tomaten genauer unter die Lupe genommen haben.

Die Forscher machten sich zunutze, dass Anfang des 20. Jahrhunderts schon einmal birnenförmige Tomaten auf dem Speiseplan standen. Damals beschrieben Wissenschaftler das so genannte ovate-Gen auf Chromosom 2 als einzelne, rezessive Erbanlage, welche die beliebte Gestalt erzeugte. Und seit wenigen Jahren ist bekannt, dass derselbe Kandidat auch der Aubergine ihre charakteristische Birnenform verleiht.

Nun haben Tanksley und seine Mitarbeiter in verschiedenen Teilen von Tomatenpflanzen die Abschrift des Gens – die RNA – isoliert, daraus die entsprechende DNA-Sequenz rekonstruiert und schließlich vervielfältigt. Als sie diese klonierte Erbanlage anschließend mit der Basenabfolge in Pflanzen mit runden Früchten verglichen, kamen sie tatsächlich einigen kleinen, aber feinen Unterschieden auf die Spur.

Nur eine davon liegt jedoch in einem Abschnitt, der auch wirklich abgelesen wird. Und obwohl nur eine einzelne Base ausgetauscht wird, sind die Folgen deutlich: Sie bewirkt, dass im Erbgut der Pflanzen mit birnenförmigen Früchten ein vorzeitiges Stoppschild in der DNA-Sequenz entsteht. Das daraus gebildete Protein ist daher nicht vollständig und vermutlich nicht funktionstüchtig.

Welche Aufgabe das Protein nun genau hat, konnten die Wissenschaftler noch nicht ermitteln. Aus der Aminosäuresequenz leiten sie ab, dass es wasserliebend ist. In keiner der verfügbaren Protein-Datenbanken war jedoch eine ähnliche Sequenz aufzuspüren, die einen Hinweis auf die Funktionsweise gegeben hätte – vielleicht sind Tanksley und seine Mitarbeiter sogar einer ganz neuen Klasse von regulatorischen Genen auf die Spur gekommen.

Das ovate-Gen wird – in seiner ursprünglichen wie in seiner veränderten Form – nur in den Fortpflanzungsorganen sowie einer engen Zeitspanne hergestellt, beginnend zehn Tage vor der Entfaltung der Blüten bis acht Tage danach. Dann beginnen die entsprechenden Eiweißgehalte in den sich entwickelnden Früchten wieder zu sinken. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass das Protein vielleicht im Halsbereich der Früchte das Wachstum unterdrückt und somit runde Früchte entstehen. Denn als die Forscher die ursprüngliche Gen-Variante für das funktionierende Protein in ihre Pflanzen mit den birnenartigen Tomaten einschleusten, zeigten diese wieder die vertraute runde Form.

Irgendwann im Laufe der Evolution standen den Pflanzen also womöglich einmal beide Wege offen – zu runden und zu birnenförmigen Früchten. Da sich letztere aber zur Samenverbreitung weniger eignen, könnte sich mit ovate ein Kontrollmechanismus entwickelt haben, der diese Gestalt in der Regel unterbindet – weil die Natur von der Birnenform weniger überzeugt war als wir heute auf dem Wochenmarkt.

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