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Tonga-Vulkan: Mysteriöse Wellen in der Atmosphäre entdeckt

In Satellitendaten zeigt sich ein konzentrisches Muster von Schwerewellen, wie es noch bei keinem Vulkanausbruch beobachtet wurde. Nach wie vor ist rätselhaft, was es erzeugte.
Die gewaltige Eruption war noch in den Vereinigten Staaten zu hören

Der Vulkanausbruch im pazifischen Inselstaat Tonga am Wochenende hat ein rätselhaftes Wellenmuster in der Atmosphäre hinterlassen: sich ringförmig ausbreitende Schwerewellen, die in Satellitenaufnahmen sichtbar werden. Nach wie vor können sich Fachleute nicht erklären, was genau sie ausgelöst hat. Sicher ist bislang nur, dass sie mit der heftigen Eruption des Vulkans Hunga Tonga-Hunga Ha'apai in Verbindung stehen. Der Ausbruch am 14. Januar hat womöglich große Teile der Inseln verwüstet und unter einer Ascheschicht begraben.

Das atmosphärische Phänomen sei »wirklich außergewöhnlich«, sagt Lars Hoffmann, Atmosphärenforscher am Forschungszentrum Jülich, »so etwas haben wir noch nie zuvor in den Daten gesehen«.

Die Wellen wurden auf Bildern entdeckt, die der Atmospheric Infrared Sounder (AIRS) an Bord des Aqua-Satelliten der NASA gemacht hat. Er hat in den Stunden nach dem Vulkanausbruch das betroffene Gebiet überflogen. Seine Messwerte zeigen Dutzende von konzentrischen Kreisen. Jeder steht für eine sich schnell bewegende Welle in der Atmosphäre, die von der Meeresoberfläche bis zur Ionosphäre reicht. Fachleute gehen davon aus, dass die Wellen den Globus inzwischen mehrfach umrundet haben.

»Das Instrument ist jetzt seit gut 20 Jahren in Betrieb und wir haben noch nie so ein schönes konzentrisches Wellenmuster gesehen«, sagt Hoffmann.

Ringe über dem Pazifik | Der Atmospheric Infrared Sounder des Satelliten Aqua nahm dieses Bild der Schwerewellen auf. Am unteren Bildrand sind die Umrisse Neuseelands zu sehen, links die des australischen Kontinents.

Atmosphärische Schwerewellen entstehen, wenn die Luftmoleküle in der Atmosphäre vertikal bewegt werden und nicht horizontal wie zum Beispiel bei Schallwellen. Sie bilden sich unter anderem dann, wenn der Wind beim Aufstieg über einen Berggipfel an Geschwindigkeit gewinnt, oder als Folge von Konvektion in lokalen Wettersystemen.

Die Auf- und Abwärtsbewegung überträgt Energie und Impuls durch die Atmosphäre. Sichtbar wird sie mitunter in der Wolkenbildung: Die Wolken in großer Höhe zeichnen dann das Wellenmuster nach.

Warum sind solche Wellen nicht bereits früher aufgefallen?

Theoretisch könnte das rasche Aufsteigen von heißer Luft und Asche über einem ausbrechenden Vulkan Schwerkraftwellen in viel größerem Maßstab auslösen. Diese hätten dann allerdings bereits bei früheren Eruptionen entdeckt werden müssen. Seit Mai 2002 ist das AIRS-Instruments im All, doch es nichts dergleichen hat bislang aufgezeichnet.

»Das ist es, was uns so verblüfft«, sagt Corwin Wright, Atmosphärenphysiker an der University of Bath, Großbritannien. »Es muss etwas mit der Physik hinter diesem Ausbruch zu tun haben, aber wir wissen noch nicht genau, was.«

Wright und seine Kollegen vermuten, dass eine chaotische Ansammlung heißer Gase in der oberen Atmosphäre die Wellen auslöst. Das heiße Gas »steigt weit hinauf in die Stratosphäre und wirbelt die Luft durcheinander«, sagt er.

Der Ausbruch des Vulkans Hunga Tonga-Hunga Ha'apai war im gesamten Südpazifik und sogar in Teilen der Vereinigten Staaten zu hören. Viele Regionen Tongas sind von Asche bedeckt. Über die Situation vor Ort gibt es aktuell nur wenige Informationen, denn Strom, Telefon und Internet sind weiterhin ausgefallen. Das macht es den Hilfsorganisationen schwer zu beurteilen, in welchen Ausmaß Menschen verletzt wurden oder gar zu Tode kamen.

Ein komplexer Vorgang in der oberen Atmosphäre

Wright war der Erste, der die Wellenmuster in den von Hoffmann gelieferten Daten entdeckte. Seiner Meinung nach zeigen sie eine Mischung aus verschiedenen Wellengrößen und -arten, was für komplexe Verhältnisse in der atmosphärischen Konvektion spreche. Es würden eine Menge Dinge gleichzeitig passieren, sagt der Forscher. »Davon gehen wir zumindest momentan aus. Wir konnten uns das Phänomen aber auch erst ein paar Stunden ansehen.«

Auslöser für die Entdeckung war ein Tweet von Scott Osprey, Klimawissenschaftler an der Oxford University. Darin wandte er sich am 15. Januar an Wright: »Wow, ich frage mich, wie groß wohl die atmosphärischen Schwerewellen dieser Eruption sind!?«

Die Eruption habe die Wellen möglicherweise nur deshalb ausgelöst, weil sie so schnell vonstattenging, überlegt Osprey. Der Ausbruch »scheint innerhalb von Minuten vorbei gewesen zu sein«, aber die Wucht der Explosion könnte die starken Schwerewellen hervorgerufen haben.

So kurz der Ausbruch war, so langwierig sind womöglich seine Auswirkungen. Schwerewellen können die zyklische Umkehrung der Windrichtung in den Tropen stören, so Osprey, und das könnte sich auf das Wettergeschehen bis nach Europa auswirken. »Wir werden sehr genau hinschauen, wie sich das entwickelt«, sagt er.

Die »spektakulären« Bilder der Eruption und die gesammelten Daten gäben jede Menge Stoff für spannende Forschungsarbeiten, sagt Vicki Ferrini, eine Meeresgeophysikerin an der Columbia University in New York. Gleichzeitig macht sie sich wie viele andere auch Gedanken um die Menschen in Tonga, über deren Lage nach wie vor keine Gewissheit herrscht.

Neuseeländische Forscher beobachten unterdessen, ob der Vulkan Anzeichen für einen weiteren Ausbruch zeigt. Man halte weiterhin das Ohr an den Boden, sagt Shane Cronin, Vulkanologe an der University of Auckland. Womöglich werde der Vulkan mit großen Mengen Magma aus dem Untergrund versorgt, dann könnte es weitere explosive Eruptionen geben. Hat er aber seinen eigentlichen Vorrat erschöpft, stünden wohl nur noch kleinere Ausbrüche an. Die blieben dann größtenteils unter der Meeresoberfläche verborgen.

Redaktionelle Mitarbeit: Smriti Mallapaty

Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikel wurden die Schwerewellen an einer Stelle als Gravitationswellen bezeichnet. Wir haben den Übersetzungsfehler inzwischen beseitigt.

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