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Bio-Sensorik: Toxikologie-Umschulung für den Rasenmäher

Noch nie von Phytoremediation gehört? Hierzu braucht es nur ein paar robuste Pflanzen und eine alte Uran-Mine, schon kann's losgehen: schwermetallsaugendes Grünzeug gegen schwermetallverseuchte Böden, fertig ist die Sanierungsalternative. Zur Not tun das Gleiche auch Bakterien. Aber Schafe?
Lamm
Ein weit gehend unterschätztes Henne-Ei-Problem der Haustierforschung ist die Schaf-Hund-Frage: Wer diente dem Menschen eigentlich zuerst? Vermutlich ist es tatsächlich der heute beste Feind aller friedlichen Jogger, aber ganz sicher kann man nicht sein – immerhin seit vielleicht schon 8000 Jahren schätzt Homo sapiens auch die Vorzüge von Ovis gmelini, dem Wildschaf, und seinen späteren Abkömmlingen so sehr, dass er die Tiere zu seinen eigenen gemacht hat.

Also: Selbst wenn zu diesen Zeiten so mancher Waldläufer schon ein hierarchiehöriges Wolfswesen an seine Seite dressiert hatte – manch' Schäfer hatte bestimmt zuerst schon selbstständig für widerkäuend-wandelnde Wollknäuel gesorgt, bevor er den Wert von sabbernden Polizeistreifen einsah, die seine blökenden Begleiter gekonnt umherhetzen. Und vielseitiger als ein Hund ist so ein Schaf schließlich allemal. Bevor nun die Hundfraktion aufheult: Das ist nur die Schlussfolgerung aus, erstens, seriösen Angeboten des Naturschutzbund Deutschlands NABU und, zweitens, den Forschungen von Experten um Jennifer Sneddon von der Liverpooler John-Moores-Universität.

Zuerst zu Letzterer: Die Zoologin beschäftigt sich so intensiv mit Schafen, dass sie den feinen Unterschied zwischen "North Ronaldsay" und "Swaledale" ganz genau kennt, geschweige denn die Vorzüge der Shetland-Rasse. Alle diese unterschiedlichen Grasfresser nahmen an einem aufschlussreichen Experiment teil: der Um-die-Wette-Schwermetalleinlagerung.

Die Regeln des Wettkampfes, aufgestellt von Sneddon und Co, sind ganz einfach: Man bringe Schäfchen auf eine Test-Wiese in Wales sowie des nordenglischen Lake Districts und lasse sie dort grasen. Anschließend schere und wasche man die Wolle der Tiere und bestimme den Metallgehalt im Wollrückstand. Daraus lassen sich dann einige durchaus verlässliche Rückschlüsse auf den Grad der Umweltbelastung der regionalen Böden ziehen, so Sneddon: Bei Blei und Kupfer korreliert die Woll-Wertskala zum Beispiel sehr genau mit den mit althergebrachten und aufwendigen Messmethoden ermittelten Schwermetallwerten aus lokalen Fließgewässern.

"Privatanwender sind nicht unsere Zielgruppe"
(Alexander Tarantoga)
Schafe könnten demnach durchaus als eine neue Art von Bioindikatoren für die Schwermetallbelastung bestimmter Habitate dienen, schließt Sneddon – sobald ein paar mit der ärgerlich unverlässlichen biologischen Varianz der Grasfresser einhergehenden Unwägbarkeiten einkalkuliert werden. Dazu zählt etwa die im Experiment beobachtete Tatsache, dass männliche Schafe deutlich mehr Metall in ihre Wolle einlagern als weibliche. Die Forscher vermuten hier einen Zusammenhang mit dem hormonellen System: Androgene, die männlichen Sexualhormone, könnten die Einlagerung in die Wollhaare begünstigen.

Offensichtlich aber wird die Metalleinlagerung nicht nur durch das Geschlecht der Tiere beeinflusst, auch die unterschiedlichen Schafrassen inkorporieren unterschiedliche Metalle unterschiedlich effizient. Kupfer beispielsweise fand sich trotz niedriger Vor-Ort-Konzentrationen vermehrt im Schurrückstand der North-Ronaldsay-Rasse, die nur wild auf der gleichnamigen Orkney-Insel vorkommt und sich im Normalfall ausschließlich von trocken gefallenen Algen ernährt. Gleichzeitig scheinen die kleinwüchsigen Shetland-Schafe mehr Blei einzulagern als Swaledales – eine Rasse, die wegen ihrer genügsamen Unerschrockenheit gerne an abgelegenen Klippen und Hanglagen gehalten wird.

Eine Miet-Schafherde | Eine Schafherde in Baden-Würtemberg – ähnliche Gruppen verleiht der NABU im Bundesland seit einigen Jahren als Mietrasenmäher. Als Schwermetall-Detektoren eingesetzte Schafherden dürften dagegen eher freilaufend statt in umfriedeten Bereichen eingesetzt werden. Nur so sei gewährleistet, dass die Forscher aus den anschließenden Wollanalyse-Ergebnissen einen repräsentativen Mittelwert der örtlichen Gesamt-Bodenbelastung errechnen können, so die Forscher.
Womit wir beim NABU sowie den Plänen von Alexander Tarantoga sind: Der Zoologie-Kollege von Sneddon von der Tichiana-Universität arbeitet an der Kommerzialisierung der grasenden Heavy-Metal-Detektoren, und sein konzeptionelles Vorbild ist eben die deutsche Naturschutzorganisation. Deren praktische Umweltarbeit besteht "längst nicht mehr nur aus Nistkästen, Krötenzäunen und Streuobst" – vielmehr zählen zum Angebot auch "Lebendige Rasenmäher". Über das gleichnamige Projekt können sich interessierte Grundstückbesitzer seit einigen Jahren Skudden oder Rhönschafe mitsamt Weidezäunen für einen gewissen Zeitraum mieten, um lästigen Bewuchs naturgerecht niedrig zu halten.

Die Erkenntnisse von Sneddon könnten auf ein derartiges Konzept übertragbar sein, meint Tarantoga: Einmal geeichte, gemischgeschlechtliche und dann mietbare Swandal- oder Shetland-Herden könnten um die Schwermetall-Belastung von Bödens quasi en passent – pardon, en broutent, also im Vorbeigrasen bestimmen: Testweise zunächst dort, wo sie ohnehin als kulturlandschaftsprägendes Element akzeptiert sind. Tarantoga bleibt dabei realistisch: "Privatanwender mit einem kleinen Rasenstück im Vorgarten sind dabei nicht unsere Zielgruppe." Die Genauigkeit der Methode sei aber durchaus vergleichbar mit herkömmlichen Methoden – und zum Langzeit-Monitoring etwa auf Industriebrachen definitiv eine Alternative. Bleibt nur zu hoffen, dass es den Schafe an solchen Einsatzorten überhaupt schmeckt.

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