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Toxische Positivität : Zwanghaft gute Laune

»Denk doch mal positiv!« Ratschläge wie dieser können auch nach hinten losgehen: Nicht jeder Erfahrung lässt sich etwas Gutes abgewinnen. Warum negative Gedanken manchmal völlig in Ordnung sind.
Rosafarbene Brille auf rosafarbenem Hintergrund
Manchmal macht es glücklicher, die rosarote Brille für eine Weile abzusetzen. Vor allem, wenn man mit seinem positiven Denken nur den Erwartungen anderer entsprechen will.

»Denk positiv!«, »Kopf hoch!«, »Good vibes only!«: Im Alltag wird uns oft suggeriert, Glück sei lediglich eine Frage der Einstellung. Jeder Rückschlag soll als Herausforderung, jede Krise als Chance begriffen werden, um einem negativen Mindset bloß keinen Platz zu lassen. Viele Menschen leiden allerdings darunter, diesen Anspruch einer krampfhaften Zuversicht nicht erfüllen zu können – ein Phänomen, das inzwischen auch unter dem Namen »toxic positivity« bekannt ist, giftige Positivität.

Dass Optimismus schlecht sein soll, klingt erst einmal wenig intuitiv. Und in der Tat, darauf deuten zahlreiche Studien hin, tut uns positives Denken grundsätzlich gut. So ist eine positive Grundhaltung zum Beispiel mit mehr Zufriedenheit, weniger Herzerkrankungen und einer insgesamt längeren Lebenserwartung verbunden.

»Es ist günstig, die Welt ein wenig rosarot zu sehen«, sagt auch Astrid Schütz, Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Bamberg, die 2007 gemeinsam mit ihrem Kollegen Lasse Hoge das Buch »Positives Denken. Vorteile – Risiken – Alternativen« veröffentlichte. »Personen, die nicht depressiv sind, sehen die Dinge sowieso eher positiv verzerrt.« Laut der Psychologin hilft diese Sichtweise, nicht in Pessimismus zu verfallen und einen hoffnungsvollen Blick auf das Leben zu bewahren.

Wenn Optimismus über das Ziel hinausschießt

Es gibt aber auch Situationen, in denen eine positive Einstellung tatsächlich mehr schaden als nutzen kann. Etwa, wenn dadurch negative Emotionen unterdrückt werden. Dass das Beiseiteschieben von schlechten Gefühlen keine gute Taktik ist, um seine Emotionen zu regulieren, fand bereits 2006 die amerikanische Forscherin Laura Campbell-Sills heraus. Gemeinsam mit ihrem Team zeigte sie 60 Versuchspersonen mit einer Angst- oder affektiven Störung einen Film, der üblicherweise negative Emotionen bei den Zuschauern hervorruft. Die eine Hälfte der Teilnehmenden bekam die Anweisung, ihre Emotionen zu unterdrücken; die andere Hälfte sollte sie einfach akzeptieren. Vor, während und nach der Vorstellung maßen die Forscher das subjektive Stressempfinden sowie verschiedene körperliche Parameter der Testpersonen. Obwohl sich beide Gruppen während des Films ähnlich stark gestresst fühlten, zeigte die Akzeptanzgruppe im Anschluss weniger negative Gefühle, außerdem hatte sie eine niedrigere Herzfrequenz. Negative Emotionen zu unterdrücken heißt also nicht, dass man sie zwangsläufig weniger spürt, schlussfolgern die Wissenschaftler. Vielmehr werden sie, wie weitere Forschung offenbarte, dadurch womöglich nur noch belastender.

Glück besonders wertzuschätzen, scheint manchmal nicht mehr, sondern weniger glücklich zu machen

Ebenso nachteilig kann es sich auswirken, gute Laune gewissermaßen auf ein Podest zu heben. Das zeigte 2011 eine Arbeit eines Forschungsteams um die Wissenschaftlerin Iris Mauss: Probandinnen, die angewiesen wurden, Glück als besonders wichtig zu betrachten, erlebten Glücksgefühle anschließend weniger intensiv als eine Kontrollgruppe. Der Effekt kam vermutlich dadurch zu Stande, dass die Teilnehmerinnen enttäuscht von ihren eigenen Gefühlen waren. Ein Paradox, folgerte die Forschungsgruppe: Glück besonders wertzuschätzen, scheint manchmal nicht mehr, sondern weniger glücklich zu machen. 2014 entdeckten Wissenschaftler sogar einen Zusammenhang zwischen dem ständigen Streben nach Glück und Depressionen. Und auch aktuelle Forschung zeigt: Fortwährend die Relevanz des Glücklichseins zu betonen, führt zu Grübeln und Frustration, wenn man dem eigenen Anspruch nicht gerecht werden kann.

Negativen Gefühlen keinen Platz einzuräumen hilft niemandem

Oft kommt der Druck, die Dinge positiv zu betrachten, nicht von innen, sondern von außen – aus sozialen Netzwerken oder Gesprächen mit Freunden. Immer wieder signalisiert zu bekommen, dass Missmut und Ärger keinen Platz haben, verstärkt negative Gefühle allerdings eher, als sie verschwinden zu lassen. Das musste auch die Autorin Anna Maas lernen, nachdem die Geburt ihres ersten Kindes schwierig verlief. Sie hätte die traumatische Erfahrung gerne aufgearbeitet, fühlte sich aber von ihrem Umfeld wenig verstanden. Verstärkt wurde ihr Eindruck durch Sätze wie: »Sei doch einfach froh, dass es euch jetzt gut geht!« Unangenehme Gefühle hätten keinen Platz gehabt, berichtet Maas. »Ich hatte das Gefühl, ich wäre undankbar, wenn ich jetzt nicht rundum glücklich bin.«

»Es ist normal und menschlich, auch mal mit den Nerven am Ende zu sein«Anna Maas, Autorin

Dieser Anspruch, jedem Rückschlag, jeder negativen Erfahrung oder Empfindung doch noch einen positiven Dreh zu geben, war für Maas und viele andere Menschen zu Beginn der Pandemie besonders präsent. Während sich die Autorin um Kinderbetreuung und Existenz sorgte, stieß sie in den sozialen Netzwerken immer wieder auf Beiträge, deren Subtext vermittelte: »Die Krise ist deine Chance!« In ihrem Sachbuch »Die Happiness-Lüge – Wenn positives Denken toxisch wird« von 2021 rechnet sie deshalb mit dem Phänomen der toxischen Positivität ab: »Es liegt nicht immer alles am Mindset. Es ist normal und menschlich, auch mal mit den Nerven am Ende zu sein.«

Eine Arbeit des Psychologen Egon Dejonckheere zeigt, wie eng der gesellschaftliche Anspruch, glücklich zu sein, mit dem Wohlbefinden verknüpft ist. Der Niederländer befragte im Jahr 2022 gemeinsam mit mehr als 40 Kolleginnen und Kollegen 7443 Personen aus 40 Ländern und verglich diese Werte mit dem »World Happiness Index« der jeweiligen Länder. Dabei entdeckte er, dass der schädliche Einfluss erzwungener Positivität offenbar vom gesellschaftlichen Klima abhängt: Vor allem in Ländern mit hohem Glücksindex war der empfundene Druck, möglichst zufrieden zu sein, mit einem schlechteren Wohlbefinden assoziiert. Die Autoren schließen daraus, dass sogar ein hohes nationales Glücksniveau schaden kann, wenn es den Mitgliedern einer Gesellschaft den Eindruck vermittelt, negative Gefühle seien nicht erwünscht.

Von der toxischen zur gesunden Positivität

Doch wie gelingt es, einen Mittelweg zwischen Pessimismus und toxischer Positivität zu finden? Gesunder Optimismus zeichne sich nicht dadurch aus, negative Gefühle beiseitezuschieben, sondern dadurch, sich die Hoffnung auf ein gutes Ende zu bewahren, erklärt Astrid Schütz: »Optimisten erkennen zwar, dass etwas negativ ist, aber sie haben die Hoffnung, dass es positiv ausgeht.« Eine bewährte Strategie aus der Psychotherapie, um mit Unangenehmem umzugehen, ist das Reframing – das Neuinterpretieren negativer Gefühle. Unangenehme Emotionen werden dabei aus einem neuen Blickwinkel betrachtet, ohne sie zu unterdrücken, denn das würde kognitive Ressourcen kosten und wäre deshalb belastend. Andere wirksame Methoden aus der Achtsamkeitsforschung beruhen darauf, negative Emotionen anzunehmen und erst einmal zu akzeptieren. In manchen Fällen lohnt es sich außerdem, unangenehme Gefühle genauer zu betrachten – so kann Angst etwa vor Gefahren warnen und Ärger Grenzüberschreitungen signalisieren.

Ab und an lässt sich negatives Denken sogar gezielt als Strategie einsetzen, sagt Astrid Schütz: »Vor Herausforderungen kann es hilfreich sein, sich genau zu überlegen, was schiefgehen könnte.« Basierend auf diesen Überlegungen lassen sich dann konkrete Pläne entwickeln. Gerade bei diffusen Ängsten hilft es häufig, eine Situation einmal bewusst mit negativem Ausgang durchzudenken, denn konkrete Folgen sind oft weniger beängstigend als schwammige Befürchtungen.

In den sozialen Medien formiert sich inzwischen eine Bewegung gegen die allgegenwärtige Positivität. Influencerinnen weisen darauf hin, dass auch ihr Leben nicht immer perfekt ist, zeigen sich mal weinend oder wütend. Im Podcast »Drinnies« begrüßen die Hosts ihre Zuhörer regelmäßig mit dem Satz: »Wir hoffen, es geht euch gut – wenn nicht, is' auch okay.« Damit greifen sie auf, was auch die Forschung jüngst herausgefunden hat: Ob positiv oder negativ, am wichtigsten ist es, dass sich die eigenen Gefühle richtig anfühlen. Ganz gleich, was das eigene Umfeld oder die Gesellschaft davon hält.

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