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Titelhandel: Traditionsreiches Doktorengeschacher

Wer sich heute den Doktortitel nicht ehrlich erarbeitet, muss damit rechnen, enttarnt zu werden. Früher aber waren gekaufte akademische Würden durchaus üblich und eine wichtige Geldquelle für die Universitäten. Bis sich Wissenschaftler wehrten.

Wer einen Doktortitel trägt, hat viele lange Nächte in dunklen Laboren oder vor dem heimischen Rechner hinter sich. So zumindest war die allgemeine Vorstellung bis zu den Skandalen um die aberkannten Doktortitel von Karl-Theodor zu Guttenberg und Annette Schavan. Der Handel mit Doktortitel oder der Verdacht einer allzu leicht vergebenen Doktorwürde sorgt in den Medien immer wieder für einen Aufschrei der Entrüstung. Dabei ist das Phänomen dieses akademischen Titelhandels weder neu, noch wurde es in der Vergangenheit als sonderlich anrüchig betrachtet. Nicht grundlos sagt Ulrich Rasche, Historiker an der Universität Wien, daher: "Der aktuellen Debatte um den Doktorschwindel fehlt die historische Dimensionierung." Mit seinem Aufsatz Geschichte der Promotion in absentia legte er eine Studie vor, in der er die Entwicklung der Promotion untersuchte, und förderte dabei erstaunliches zutage.

Ulrich Rasche

Bereits im 18. Jahrhundert wurde an vielen Universitäten die Möglichkeit geschaffen, eine Promotion zu erlangen, ohne selbst vor Ort sein zu müssen (in absentia). Es genügte eine entsprechende berufliche Stellung zu haben, in der eine akademische Ausbildung vorausgesetzt werden konnte. Der Anwärter auf den Titel brauchte nur eine kleine Probeschrift bei der entsprechenden Fakultät einzureichen. Die Professoren prüften noch die "Dignität" des angehenden Doktors und vergaben in der Folge, ohne eine weitere Bewertung seiner wissenschaftlichen Fähigkeiten, den heiß begehrten Titel.

Widerstand aus der Wissenschaft

Dass diese Vergabepraxis bereits damals nicht von allen Professoren kritiklos hingenommen wurde, zeigt das Beispiel des Göttinger Professors Christian Adolf Klotz. Anlässlich der 1764 von seiner Philosophischen Fakultät vergebenen ersten Promotion in absentia, schrieb dieser an seine Kollegen: "Er könne nicht entscheiden, ob der Mann, ein Lehrer aus Osterode, den Titel wirklich verdiene, aber er wisse, dass dieser keineswegs der Verfasser der eingeschickten Probearbeit sei." Rasche sagt: "Vom 16. bis weit in das 18. Jahrhundert hinein war es üblich und es galt keinesfalls als anrüchig, dass die Professoren gegen statutenmäßig festgesetzte Bezahlung die Doktorarbeiten ihrer Kandidaten verfasst haben."

Die Warnungen Klotz' zielten zwar vordergründig auf die laxe Vergabepraxis, hatten dabei jedoch auch einen ernsten ökonomischen Hintergrund. So schrieb Klotz weiter: "Ich halte überhaupt die Gewohnheit, Abwesenden den Magistertittel zu ertheilen für eine der Ehre einer Academie überaus nachtheilige Sache. Wenigstens hat Wittenberg es größtentheils dieser Ursache zuzuschreiben, daß man sich schämt zu gestehen, daselbst Magister geworden zu seyn." Die ehemalige Universität Wittenberg hatte sich in den vorhergehenden Jahren einen allseits bekannten Ruf als herausragender Doktorhändler erworben. So sind dort Fälle bekannt, bei denen durchfahrenden Kaufleuten, für einen entsprechenden Obolus, die begehrten akademischen Titel ans Revers geheftet wurden. Klotz fürchtete, dass schlussendlich nur noch der Preis über die Vergabe entscheiden würde und die wissenschaftliche Befähigung daneben zweitrangig würde.

Nicht nur prestigeträchtig, sondern auch lukrativ: Der Doktorhut

Um verstehen zu können, warum Universitäten des eingehenden 19. Jahrhunderts solche Möglichkeiten für eine Promotion schufen, braucht es einen Blick auf die Finanzierung der Professorengehälter. So sorgte der Staat zwar durch einen direkten Zuschuss oder indirekt durch eine Dotation mit Grundbesitz an die Universitäten für ein Fixum der Professorengehälter. Dieses reichte jedoch bei Weitem nicht aus. So wurden den Professoren bei ihrem Ruf an einen Lehrstuhl zusätzlich zum Grundgehalt noch Einnahmen aus Vorlesungshonoraren, Autoren- und Gutachtenhonoraren und schlussendlich Promotionseinnahmen zugesichert. Eine Verschärfung der Promotionsordnung an einer Universität musste daher direkt zu Gehaltseinbußen der dortigen Professoren führen.

Universitäten in der Geldklemme

Der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende Rückgang der Studierendenzahlen verschärfte die finanzielle Situation vieler Universitäten. Insbesondere die Professoren an Universitäten finanzschwacher Erhalterstaaten waren nun gezwungen, sich zusätzliche Einnahmen zu beschaffen. Die Ausweitung der Promotion in absentia war daher die nächstliegende Lösung des Problems. Denn im Zuge dieser Vergabepraxis traten die bis dahin üblichen Feierlichkeiten an den Universitäten zunehmend in den Hintergrund. Zuvor mussten die angehenden Doktoren ein aufwendiges Zeremoniell mit anschließendem opulenten Mahl finanzieren. Auch wenn ein Doktor nicht anwesend war, musste er seinen Beitrag dazu leisten. Da nun jedoch immer mehr Doktoren abwesend waren, traten die Feierlichkeiten in den Hintergrund. Die dafür zu entrichtenden Gebühren jedoch blieben erhalten. Dadurch wuchs schlagartig die finanzielle Bedeutung der Promotion in absentia. Denn wurde das Geld nicht für die Feierlichkeiten ausgegeben, konnte es direkt in die Taschen der Professoren fließen.

Um den Markt für akademische Titel anzuheizen, begannen verschiedene Universitäten nun damit ihre Vergabepraxis anzupassen und eine entsprechende "Produktpflege" zu betreiben. Die Philosophische Fakultät der Universität Jena war, so Rasche, eine der Fakultäten, in der diese Entwicklung in Reinkultur vorherrschte. So fragte der dortige Dekan Justus Christian Hennings 1793: "Sollte es nicht ein Reiz zum promoviren seyn, wenn wir ausdrücklich auf das Diplom das Wort Doctor philosophiae mit setzen?" In den folgenden Jahren sprach es sich unter den Studenten herum, dass in Jena der Titel besonders leicht zu haben sei, und führte dort zu einer regelrechten Flut an Promotionen. So brachte es die Berliner philosophische Fakultät zwischen 1832 und 1865 auf etwa 370 Promotionen. Die deutlich kleinere philosophische Fakultät in Jena vergab im gleichen Zeitraum insgesamt 1867(!) Doktortitel, mit Ausnahme von 19 Fällen, alle in absentia. Neben Jena sorgte die Universität in Rostock für eine wahre Flut an Doktoren in absentia. Nachdem Gießen 1849/50 an das Eisenbahnnetz angeschlossen war, reisten auch dort die Kandidaten zu Hunderten an. Ein studentisches Spottlied aus dieser Zeit lautete daher: "Auf der Eisenbahn in Giessen, thät mich etwas sehr verdriessen: trotz allem Widersprechen reichte man mir in den Waggon ein philosophisches Doctordiplom – ich musste aber dafür 60 Gulden blechen!"

Der junge Karl Marx im Jahr 1836 | Ausschnitt aus der Lithographie von D. Levy(-Elkan): Die "Trierer" vor dem "Weißen Roß" in Godesberg

Dass diese Praxis auf Dauer nicht unwidersprochen bleiben konnte, liegt auf der Hand. Bereits in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts erkannte man in Preußen, dass die eigene, einige Jahre zuvor beschlossene Promotionsreform nicht greifen konnte, solange es für Studenten ein leichtes war, einen akademischen Grad einfach an einer anderen Universität zu kaufen. In Berlin war es im Gegensatz zu Jena, Rostock oder Gießen üblich, dass ein Absolvent für einen Doktortitel sowohl eine Dissertation, eine mündliche Prüfung, als auch eine Disputation – alles in lateinischer Sprache – vorweisen musste. Vermutlich waren es auch diese hohen Hürden, die der Universität Jena ihren bislang bekanntesten Absolventen einbrachten. 1841 wurde dort Karl Marx, wie zuvor Hunderte von Absolventen, allein aufgrund einer von ihm eingesandten deutschen Abhandlung in absentia promoviert. Die Historiker aus den kommunistischen Staaten begründeten seine Universitätswahl immer mit der antihegelianischen Gesinnung der Philosophischen Fakultät in Berlin. Es liegt jedoch auf der Hand, dass sich auch Marx der deutlich leichteren Promotionsmöglichkeit in Jena bewusst war und dieser Umstand daher einen nicht unbedeutenden Anteil an seiner Entscheidung für Jena trug.

Deutschlandweite Standards

Für die Universität in Berlin, die versuchte ihre eigenen hohen Standards deutschlandweit durchzusetzen, wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Praxis der Promotion in absentia zu einem immer größeren Ärgernis. 1876 startete daher der Berliner Ordinarius und Althistoriker Theodor Mommsen eine regelrechte Pressekampagne gegen die betreffenden Universitäten. Insbesondere die Philosophische Fakultät der Universität Rostock wurde zu seiner Zielscheibe. Dort hatte 1873 ein Absolvent das Konzept einer Vorlesung des drei Jahre zuvor gestorbenen Berliner Historikers Philipp Jaffé als Promotion eingereicht. Da in Rostock niemand das Plagiat bemerkte, wurde die Promotion einfach durchgewinkt. Mommsen machte den Fall publik und schlachtete ihn genüsslich aus. Nach nur sechs Tagen musste die Universität Rostock zurückrudern und den Titel aberkennen.

In der Folge brachen die Promotionszahlen in Rostock ein. Wurden dort zwischen 1872 und 1875 noch 371 Titel vergeben, waren es zwischen 1876 und 1879 nur noch 49. Auch die Philosophische Fakultät in Jena bekam die Kampagne Mommsens zu spüren. So sanken auch dort die Promotionszahlen ins Bodenlose. Rasche sagt über die Attacke Mommsens: "Er hatte leicht reden, Mommsen hatte eine sehr gut bezahlte Position an der Berliner Universität. Die Jenaer Professoren dagegen hatten das Gehalt einer Krankenschwester." Für diese Professoren bedeutete das Ende der Promotion in absentia zeitgleich auch das versiegen einer ihrer wichtigsten Einnahmequellen. Klaus Ries, Historiker für Universitätsgeschichte an der Universität Jena sagt: "Die Universität der damaligen Zeit hatte ein großes Interesse an dem auf diese Weise zu verdienenden Geld."

Theodor Mommsen im Jahr 1863

Das endgültige Aus für den Handel mit Doktortitel kam jedoch nicht durch den Ordinarius Mommsen. Zwar zeigte seine Kampagne durchaus Wirkung. Der starke Föderalismus des Deutschen Kaiserreiches schob seinem Ansinnen, eine einheitliche und wissenschaftlichen Standards genügende Promotionsordnung zu schaffen, jedoch einen Riegel vor. Erst Jahrzehnte später sollte das endgültige Aus für die universitären Titelhändler kommen. In einem Erlass des Reichs- und preussischen Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 11. September 1935 heißt es: "Auf keinen Fall darf der Doktorgrad aus Gewohnheit oder anderen Gründen als Zusatz zu einem Staats- oder ähnlichem Examen aufgrund einer formalen Leistung verliehen werden. Die Doktoranden sollen die wirklichen Schüler und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Dozenten sein." Erst die zentrale Gewalt des Naziregimes hatte die nötige Durchsetzungskraft, die bis dahin immer noch vorhandenen unterschiedlichen Praktiken zu vereinheitlichen und damit alle bis dahin noch offenen Schlupflöchern zu schließen.

Die in der jüngeren Vergangenheit neu aufgeflammten Kämpfe um die Vergabepraxis der Doktortitel zeigen erneut, wie bedeutend für weite Teile der Öffentlichkeit die Würde dieses Titels immer noch ist. Zumindest bei dieser Sache hat sich im Laufe der Geschichte nichts geändert. Der Einspruch Theodor Mommsens und seine Wirkung auf den Titelhandel des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist vergleichbar mit den Kämpfen der heutigen Plagiatsjäger. Das endgültige Verschwinden der Promotion in absentia, als auch die Aberkennungen verschiedener Doktortitel in der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass ein solcher Widerspruch sehr erfolgreich sein kann.

Für Karl Marx zumindest muss festgehalten werden, dass sich sein Schmalspurtitel nur bis 1989 gelohnt hat. "Nach der Wende wurde seine Büste abgehängt und in den Keller gestellt", sagt Ries. Allerdings, so gibt auch er schmunzelnd zu, hatte dies vermutlich weniger zu tun mit der nun vorhandenen Möglichkeit offen über seinen gekauften Doktorgrad zu sprechen, als vielmehr einfach nur mit dem Untergang des kommunistischen Systems in Ostdeutschland.

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