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News: Tragischer Teufelskreis

Viele Menschen halten Paracetamol für ein harmloses Schmerzmittel, obwohl es zu schweren Leberschäden führen kann. Ein Rezeptor eignet sich möglicherweise zur Entwicklung neuer Gegengifte.
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Jeder von uns hat vermutlich ein paar Paracetamol-Tabletten in seiner Hausapotheke, und wohl kaum einer würde zögern, sie zu benutzen, wenn er denn von Kopfschmerzen oder Fieber geplagt wird. Unbestritten leistet die Substanz in dieser Hinsicht bereits seit über 30 Jahren gute Dienste.

Weit weniger bekannt ist dagegen, dass Paracetamol in höherer Dosis zu schweren Leberschäden, zu Leberversagen und damit auch zum Tod führen kann. So zählt die Giftinformationszentrale Mainz allein in den Ländern Rheinland-Pfalz und Hessen durchschnittlich fast 700 Fälle von Paracetamol-Vergiftungen pro Jahr, teilweise mit tödlichem Ausgang. Bei den Medikamenten-Intoxikationen ist Paracetamol damit als Einzelsubstanz trauriger Spitzenreiter, wobei die Vergiftung sowohl aus Unachtsamkeit oder in suizidaler Absicht erfolgen kann – einfach deshalb, weil das Mittel in jedem Medikamentenschrank oft auch in größerer Menge zu finden ist.

Die dabei entstehenden Leberschäden sind schon länger wissenschaftlich erklärbar: Verantwortlich dafür ist das giftige Abbauprodukt NAPQI (N-Acetyl-p-Benzochinon-Imin), das von Leberenzymen der CYP-450-Familie aus Paracetamol gebildet wird. Normalerweise kann es der Körper sehr rasch durch Kopplung an das Peptid Glutathion neutralisieren. Gehen allerdings die Glutathion-Vorräte des Körpers im Zuge einer Überdosis zu Neige, häuft sich toxisches NAPQI an und tötet Leberzellen ab.

David Moore und seine Kollegen des Baylor College of Medicine in Houston entdeckten bereits vor einigen Jahren, dass ein Rezeptor namens CAR (constitute androstane receptor) dabei eine wichtige Rolle spielt, denn er reguliert die Antwort der Leber auf Medikamente und andere Gifte. Wird er aktiviert, nimmt die Produktion der CYP-450-Enzyme zu, sodass solche Stoffe schneller aus dem Körper entfernt werden können. Was eigentlich eine sehr sinnvolle Schutzfunktion ist, kann aber gelegentlich auch gefährliche Folgen haben, wenn dadurch zum Beispiel vermehrt toxische Zwischenprodukte wie NAPQI entstehen.

In ihren gegenwärtigen Experimenten wollten die Forscher nun untersuchen, ob der CAR-Rezeptor auch mit Paracetamol in Verbindung steht. Sie kreierten dazu Knockout-Mäuse, denen dieser Rezeptor fehlte, und verabreichten ihnen hohe Dosen des Medikaments. Es zeigte sich, dass diese im Vergleich zu normalen Mäusen höhere Konzentrationen vertragen konnten.

Moore schließt daraus, dass hohe Paracetamol-Dosen den CAR-Rezeptor aktivieren und einen Teufelskreis einleiten, durch den das Medikament seine eigene Toxizität erhöht, weil mehr toxisches NAPQI gebildet wird.

In einem weiteren Versuch erhielten gesunde Mäuse außer Paracetamol auch die Substanz Androstanol, welche die Aktivität der CAR-Rezeptoren verringert. Unter dem Mikroskop entdeckten Moore und seine Kollegen, dass in dieser Gruppe die Leberzellschäden deutlich geringer waren als bei Mäusen, die kein Androstanol eingenommen hatten. Selbst wenn die Substanz eine Stunde nach dem Paracetamol eingenommen wurde, konnte sie Leberschäden fast vollständig verhindern.

Medikamente, welche den CAR-Rezeptor hemmen, könnten sich deshalb als neue Gegenmittel bei Paracetamol-Vergiftungen eignen. Sie würden dann auch auf einem anderen Wirkmechanismus beruhen als die bisher einzige dafür verwendete Substanz Acetylcystein, welche dem Körper hilft, die Glutathion-Speicher wieder aufzufüllen.

Jetzt müssen die Wissenschaftler nur noch einen CAR-Hemmer finden, der auch beim Menschen wirkt, denn Androstan wirkt nur bei Mäusen. Dieser könnte dann auch Leberschäden verhindern, die durch andere Substanzen verursacht werden, für die es momentan noch kein Gegenmittel gibt.

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