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News: Transport mit Haken

Wenn Mutationen unterschiedlicher Gene zu verschiedenen Krankheiten führen, erwartet man normalerweise keine Gemeinsamkeiten. Neurofibromatose und Alzheimer-Erkrankung aber scheinen ähnlicher als gedacht: Sie sabotieren einen gemeinsamen, grundlegenden Zellmechanismus.
Die Funktion eines Gens aufzuklären ist ein schöner Erfolg, schafft für die Wissenschaft aber oft mehr Fragen als Antworten. So wächst das Wissen um genetische Krankheitsursachen zwar stetig – eine Therapie ist damit allerdings noch fern. Denn die verschiedenen Auswirkungen krankmachender Mutationsprodukte sind derzeit häufig unüberschaubar.

Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Neurofibromatose: Seit mehr als zehn Jahren schon sind Mutationen zweier Gene – "Neurofibromin" und "Merlin", auch bekannt als NF1 und NF2 – als Auslöser der Nervenkrankheit identifiziert worden. Warum oder auf welche Weise der Ausfall von NF1 und NF2 solch vielfältige Folgen nach sich ziehen kann, lag bislang jedoch im Dunkeln. Die Erkrankung nimmt zwar meist einen milden Verlauf, kann aber zu Erblindung, Hörverlust, Skelettfehlbildungen, Tumoren und geistigen Entwicklungsstörungen führen.

Die ersten erfolgreichen Schritte auf dem mühsamen Weg zur weiteren Erforschung der Neurofibromatose haben nun Forscher des Wistar Instituts um Ramin Shiekhattar getan. Mit biochemischen Methoden identifizierten sie verschiedene Proteine, die unter natürlichen Bedingungen mit den Genprodukten von NF1 und NF2 größere Komplexe in Nervenzellen bilden. Wie die Forscher nun herausfanden, enthalten die Komplexe neben NF1 und NF2 ein altbekanntes und interessantes Protein: das Kinesin-1.

Kinesin-1 ist innerhalb von Zellen häufig für die Beförderung größerer Frachten zuständig: etwa beim Transport von Zellorganellen oder Boten-RNAs und der Aufteilung der Chromosomen bei der Zellteilung. In Nervenzellen dient Kinesin-1 beispielsweise als Motorprotein, welches größere Proteinkomplexe durch die langgestreckten Neuronen der Zellen bewegt.

Da auch NF1 und NF2 im Komplex mit Kinesin-1 vorliegen, scheinen die beiden Proteine zusammen mit dem Antriebsprotein für Transportprozesse innerhalb der Nervenbahnen notwendig zu sein. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass der Ausfall des geregelten neuronalen Transports für die Ursache der mentalen Störungen von Neurofibromatose-Patienten verantwortlich ist.

Überraschenderweise scheinen zwischen der Neurofibromatose und einer weiteren neuro-degenerativen Krankheit Parallelen zu existieren, denn auch das bei der Alzheimer-Erkrankung wichtige Protein APP ist – wie vor kurzem entdeckt wurde – stets eng mit Kinesin-1 assoziiert. "APP spielt dabei offenbar die Rolle eines Hakens oder Abschleppseils zwischen der zu transportierenden Ladung und dem Kinesin-1-Motor", erklärt Shiekhattar und vermutet hinter NF1 die gleiche Funktion. "Die Ursachen der Alzheimer-Erkrankung und der Neurofibromatose fußen eindeutig auf einem gemeinsamen zellulären Mechanismus."

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